Julian Baumgartlinger sieht die Entwicklung der Nationalmannschaft in Gefahr: „Die Stunde null steht bevor.“
Wien. Es herrscht eine seltsame Stimmung im Dunstkreis der österreichischen Fußballnationalmannschaft. Die Gefühlslage ist gemischt, Teamchef und Spieler schwanken zwischen Wehmut, Vorfreude und Ärger. Wehmut, weil sich die Ära Marcel Koller zum Leidwesen praktisch aller Teamspieler ihrem Ende zuneigt. Das Heimspiel in der WM-Qualifikation gegen Serbien (Freitag, 20.45 Uhr, live ORF eins) dürfte zur Abschiedsvorstellung des Schweizers auf heimischem Boden werden. Denn dass Koller die Mannschaft beim Freundschaftsspiel im November (Gegner vermutlich Uruguay) noch betreut, gilt als äußerst unwahrscheinlich.
Vorfreude herrscht auf ein prall gefülltes Happel-Stadion, ein solches war nach den ausbleibenden Erfolgen zuletzt keine Selbstverständlichkeit mehr. Das Gros der Zuschauer macht sich allerdings nicht auf den Weg, um dem 56-jährigen Koller die letzte Ehre als Teamchef zu erweisen. Mindestens 25.000 der Freitagmittag rund 40.000 abgesetzten Karten gingen an serbische Anhänger, das ÖFB-Team erwartet ein gefühltes Auswärtsspiel. „Aber das hat uns auf dem Platz nicht zu stören. Jeder spielt lieber vor vollen Rängen“, sagte Koller, der personell aus dem Vollen wird schöpfen können. Auch der zuletzt kränkelnde Marko Arnautović meldete sich rechtzeitig fit.
Ärger herrscht innerhalb der Mannschaft aufgrund der vielen Nebengeräusche der vergangenen Wochen. Sie sind zum ständigen Begleiter geworden, erschweren die Aufgabe, sich auf das Fußballspielen zu konzentrieren. Kommunikation und Vorgehen einiger Landespräsidenten in der Causa Koller haben auf Spielerseite Emotionen hervorgerufen, Marc Janko und Arnautović fanden kritische Worte in Richtung des ÖFB.
Sechs-Augen-Gespräch
Die „Presse“ vermeldete am Mittwoch das nahende Ende von Sportdirektor Willi Ruttensteiner in der für Samstag anberaumten Präsidiumskonferenz, der Oberösterreicher soll durch den derzeitigen U19-Teamchef Peter Schöttel ersetzt werden. Am Donnerstag ergriff Kapitän Julian Baumgartlinger das Wort, er sagte: „Man kann sich von diesen Themen nicht lösen, sie nicht einfach ausblenden. Es ist schade, aber die Stunde null steht bevor. Das wäre nicht notwendig.“ Baumgartlinger verwies auf die Errungenschaften Ruttensteiners, sprach von einer positiven Entwicklung. „Seine Analysen waren auf den Punkt genau, er hat mit Koller immer die richtigen Worte gefunden.“
Der 29-Jährige forderte von Verbandsseite mehr Professionalität, es ginge nun darum, schnellstmöglich klare Lösungen zu finden. „Wir brauchen eine Lösung im Sinne der Mannschaft, sonst sehe ich das Trainingslager im November in Gefahr. Und in weiterer Folge auch die Entwicklung der Mannschaft.“
Auch deshalb wurde ein Sechs-Augen-Gespräch zwischen Präsident Leo Windtner, Janko und Baumgartlinger geführt. Es soll ein ehrlicher, offener Austausch stattgefunden haben. „Er (Windtner, Anm.) weiß, wie die Mannschaft denkt und was wir brauchen, um wieder ohne Fragezeichen im Kopf Fußballspielen zu können.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2017)