Weltmeister der Verschwendung

FUSSBALL - FIFA WM 2014, Vorschau
FUSSBALL - FIFA WM 2014, Vorschau(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Fotoarena)
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Über ganz Brasilien verteilen sich betonierte Zeugnisse planerischer Ineffizienz und gebrochener Versprechen. Kaum je zuvor war eine Fußball-WM so schlecht vorbereitet.

Es ist nicht die Hitze, die den Besucher erschlägt, es ist der Dreck. Gleich vor der Tür des Flughafens Marechal Rondon blähen sich Staubwolken in der feuchten Luft des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso. Dessen Hauptstadt, Cuiabá, ist eine riesige Baustelle. Die Metropole mit einer halben Million Einwohner wurde von Brasiliens Zentralregierung 2007 zu einem der Austragungsorte der Fußball-WM erkoren – und sie hat sich auch kurz vor dem Turnier nicht von diesem Ritterschlag erholt.

43.000 Zuschauer fasst die Arena Pantanal, die Bühne für vier Begegnungen sein wird: Chile – Australien; Russland – Südkorea; Nigeria – Bosnien und Japan – Kolumbien. Am 18. Mai fand der einzige Probelauf statt, der brasilianische Fußballverband CBF verpflanzte dafür das Erstligamatch zwischen dem FC Santos und Atletico Mineiro hierher. Einheimische Sportreporter berichteten danach, dass für die Mannschaftsbusse keine Parkplätze angelegt worden seien und dass weder Pressezentrum noch Toilettenanlagen anständig funktionierten. Für den leidgeprüften Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke waren das – im Vergleich zu früheren Stippvisiten – wohl eher gute Nachrichten. Jedenfalls twitterte Valcke nach seinem Cuiabá-Besuch: „Es ist großartig, Fortschritte zu sehen!“

Sollten die Bewohner von Cuiabá eines Tages tatsächlich auch Fortschritte in ihrem Straßenbild sehen, wird die Fifa dem Ort längst Nimmerwiedersehen gesagt haben. Wenn dereinst Straßen, Brücken und auch die Bahn zum Stadion vollendet werden, dann ist Cuiabás Fußballkarriere längst Geschichte. Denn die Arena Pantanal ist eines jener vier WM-Stadien, deren Nutzung nach der großen Sause bislang völlig unklar ist. Jedenfalls gibt es im Umkreis von tausend Kilometern keinen Erstligaklub, der diese Arena füllen könnte.

Der Weltfußballverband hätte eine WM in acht Stadien akzeptiert, aber Brasiliens Präsidentschaft wollte – beseelt von der Hoffnung auf einen Entwicklungsschub für das Hinterland – ursprünglich 17 Spielorte einbeziehen, wie Fifa-Direktor Joseph Blatter vorige Woche preisgab. Schließlich einigte man sich auf zwölf Stadien in den traditionellen Fußballmetropolen. Und eben auch in Orten mit vermeintlichem Potenzial wie Cuiabá. Die Fifa beziffert die Gesamtkosten allein für die Stadien auf 2,8 Milliarden Euro, das ist mehr als die Spielstätten der beiden vorhergegangenen Championate in Deutschland und Südafrika zusammen verschlungen haben.

Als der damals gerade wiedergewählte Präsident Lula 2007 von der Fifa den Segen für Brasiliens zweite WM nach 1950 entgegennahm, sprach er jenen Satz, an dem sich er und seine Erbin Dilma Rousseff nun messen lassen müssen: „Brasilien wird den Umständen gewachsen sein, seien Sie sicher, dass Brasilien seine Pflichten erfüllen wird.“ Heute reagiert der Ex-Präsident gereizt, wenn er an die versprochenen Verkehrsanbindungen erinnert wird. „Dummes Gerede! Wir Brasilianer sind immer zu Fuß zum Stadion gelaufen.“

Daran dürfte sich auch künftig wenig ändern, denn gerade jene Bauvorhaben, die unter der Überschrift „mobilidade urbana“ im 2010 von der Präsidentschaft festgelegten nationalen Aufgabenkatalog angeführt werden, waren einen Monat vor WM-Anpfiff nur zu zehn Prozent fertiggestellt.

Die Redakteure der großen Tageszeitung „Folha de São Paulo“ haben Mitte Mai sämtlichen in dem Plan aufgelisteten 167 Positionen nachgespürt und herausgefunden, dass ein Monat vor Turnierbeginn erst 68 dieser Bauwerke fertig waren, das entspricht 41 Prozent. Von den 99 noch unvollendeten Projekten werden mindestens 28 erst nach dem Finale realisiert werden können. Elf Vorhaben, darunter die milliardenteure Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen São Paulo und Rio, wurden ganz beerdigt.

Dekoriert mit Baugerüst. Die Verspätungen sind dabei keineswegs auf das Hinterland beschränkt. Die Großstadt Curitiba im südlichen Staat Paraná gilt in Brasilien, aber auch in ganz Südamerika als Musterstadt, die mehrere urbanistische Pilotprojekte hervorbrachte. So wurde das integrierte Bussystem später in Bogotá oder Buenos Aires erfolgreich nachgeahmt. Doch ausgerechnet von hier werden die Berichterstatter aus Plastikzelten berichten müssen. Das internationale Pressezentrum wird nun einen Teil des Parkplatzes belegen, denn der geplante sechsstöckige Metall- und Glasbau, der neben dem renovierten Stadion errichtet wurde, besteht bis heute nur aus Stahlträgern.

In Rio müssen die Organisatoren hoffen, dass das dortige Pressezentrum besser funktionieren wird als der Flughafen, über den die meisten Berichterstatter angereist sind. Der „Galeao“, wie der Aeroporto Antonio Carlos Jobim üblicherweise genannt wird, wurde in diesem Jahr schon mehrfach Opfer seiner desolaten Stromversorgung. Erst im November 2013 öffnete die Regierung den zweitgrößten Airport Brasiliens für privates Kapital – viel zu spät. Rio-Besucher werden im Betonklotz-Flair der 1980er-Jahre landen, das teils noch dekoriert ist mit Gerüsten und Planen. Die einzige Verkehrsanbindung in die Stadt offerieren vier Taxikooperativen, die sich bei ihrer Preispolitik wohl von mittelalterlichen Raubrittern inspirieren ließen. „Das ist eine Schande!“ urteilte zuletzt Brasiliens Stürmeridol Ronaldo, der das Land 2002 zu seinem letzten WM-Titel schoss. „Ich schäme mich. Wir sollten nicht so ein Bild vor der Welt abgeben müssen.“

Inzwischen wird schon mit Nachdruck die Frage gestellt, ob Rio de Janeiro rechtzeitig mit den Projekten für Olympia 2016 fertig wird, denn viele der Bauten hinken schon erheblich hinter den Zeitplänen her. Der IOC-Vizepräsident John Coates äußerte kürzlich, die Vorbereitungen gehörten „zum Schlechtesten, was ich jemals gesehen habe“.

Dabei ist die Infrastruktur für die Sportevents nur ein Teil der Großprojekte des von Lula und Dilma angeschobenen nationalen Infrastrukturprogramms PAC. Übers ganze Land verteilen sich inzwischen betonierte Zeugnisse planerischer Ineffizienz: trockene Kanäle, die niemals Wasser leiten werden, Eisenbahnlinien ohne Schienen, Seilbahnen in Armenviertel, die nur einmal – natürlich zur feierlichen Eröffnung durch den Gouverneur – bewegt wurden. Berühmteste Bauruine ist ein Gebäude in der Stadt Varginha, das aussieht wie ein rostiges UFO. Es sollte – finanziert vom Staat – tatsächlich ein Außerirdischen-Museum werden, an jenem Ort, wo 1996 angeblich ein Alien gesichtet worden sein soll.


Millionen abgezweigt. Wer nach Gründen für die Misserfolge fragt, bekommt viele Erklärungen – von Klimakatastrophen, über verspätete Zuweisungen aus den Bundeskassen bis zu kriminellen Verzögerungsmethoden der Baufirmen. Viele Projekte sind auf politischen Willen von öffentlichen Banken massiv gefördert worden, um dann von ebenfalls staatlichen Kontrollorganen ewig aufgehalten zu werden. So wurde die Bahnlinie Transnordestina, über die Soja aus dem Landesinneren in die Häfen des armen Nordostens gebracht werden soll, mitten im Bau durch diverse Klagen gestoppt. Und nun können selbst auf den bereits fertiggestellten Trassen keine Züge rollen, weil Metalldiebe auf hunderten Kilometern Länge die Schienen gestohlen haben. „Brasilien ist ein Land, in dem Ruinen gebaut werden“, sagte dazu Caetano Veloso, einer der Väter der brasilianischen Popmusik.

Eine – wenn nicht die wichtigste – Erklärung für die Verzögerungen lieferte, indirekt, kürzlich die Justiz. In der dritten Maiwoche wurden in der Staubstadt Cuiabá mehrere hohe Funktionsträger des Staates Mato Grosso verhaftet, sie sollen Millionen abgezweigt haben. Selbst das Haus des Gouverneurs filzten die Beamten der Bundespolizei, die den verhafteten Finanzminister gleich in die Hauptstadt Brasilia mitnahmen, weit weg von seinen Amigos.

Dass diese Stadt sich den anreisenden Fußballfans als Großbaustelle präsentieren muss, ist nach Ansicht des für die WM verantwortlichen Staatssekretärs in Mato Grosso gar nicht so schlimm. Gegenüber staunenden Reportern erklärte Mauricio Guimaraes: „Die Leute kommen doch nicht hierher, um irgendwelche Straßen oder Brücken zu inspizieren, die kommen doch wegen des Fußballfestes!“

Fussball

Von den zwölf Stadien, in denen die Fußballwelt-meisterschaft in Brasilien ausgetragen wird, bleibt die Zukunft von vierungewiss. Die Gesamtkosten allein für die Stadien belaufen sich auf 2,8 Milliarden Euro – mehr als die Spielstätten der beiden vorangegangenen Weltmeisterschaften zusammen.

Einen Monat vor Beginn der WM waren von den Großprojekten gerade einmal zehn Prozent fertiggestellt. Von 99 noch unvollendeten Projekten werden 28 wohl erst nach dem Finale fertig gebaut. Elf Projekte wurden überhaupt ganz aufgegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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