Das Warten auf Lionel Messi

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014(c) APA/EPA/FIFA handout / Gil Leona
  • Drucken

Die Erfolgshoffnung ruht auf den Schultern des Barcelona-Stars, er traf aber zuletzt bei der WM 2006. Mario Kempes macht ihm Mut – doch Diego Maradonas Schatten ist sehr lang.

Die ersten Fans der argentinischen Nationalmannschaft sind schon vor Tagen in Rio de Janeiro gelandet. Sie haben die Copacabana in Beschlag genommen, in Vorfreude auf den ersten Auftritt ihres Teams am Sonntag im Maracanã. „Ar-gen-tina, Argentina“, hallt es rund um das riesige Oval. Im Mittelpunkt steht wie immer der Kleinste, den sie stolz „La Pulga“ nennen. Er soll Argentinien zum Titel führen, so wie zuletzt Diego Maradona 1986: Lionel Messi.

Es gibt keine Miene, die nicht interpretiert wird, jeder seiner Schritte wird verfolgt. Und wenn er sich auf dem Rasen übergeben muss, gleicht das beinahe schon einer nationalen Katastrophe.

Lionel Messi war viermal „Weltfußballer des Jahres“, auf seinen Schultern lastet der Druck, obwohl das argentinische Nationalteam genügend andere Superstars in seinen Reihen hat. Er soll zum „Antlitz dieser WM“ werden, soll Neymar und Co. in den Schatten stellen. Von Druck zu reden, ist wohl eine maßlose Fehleinschätzung, es ist eine zigfache Steigerung dessen. Und die Latte liegt so hoch, dass sie kaum überwindbar scheint. Will Messi mit dem Allergrößten mithalten, wird er diesen WM-Titel gewinnen müssen. Sonst wird er immer im Schatten von Maradona, Kapitän und Superstar 1986 in Mexiko, bleiben.

Messi, ein kleiner, genialer Bub

Die Erwartungen hat der Ausnahmekönner einst selbst geweckt, aber bei Weltmeisterschaften hat das alles noch nicht so richtig funktioniert. Das bislang einzige WM-Tor Messis liegt acht Jahre zurück. Damals hat er bei der Endrunde 2006 in Deutschland für den 6:0-Endstand in Gelsenkirchen gegen Serbien und Montenegro gesorgt. Andererseits: Nie war ein argentinischer Fußballer, der je bei einer WM zu einem Torerfolg kam, jünger (18 Jahre und elf Monate) als er.

Vor vier Jahren in Südafrika ging er leer aus – ausgerechnet Messi, der als kleiner Bub in seiner Heimat Rosario regelmäßig 100 Treffer in einer Saison erzielte und beim FC Barcelona zum Torschützen vom Dienst reifte. Klappt es in Brasilien nicht, dann bleibt vielleicht noch die WM 2018. Aber da wird Messi bereits 31 sein.

Einer, der die Erwartungslast kennt, warnte aber davor, alles von dem 1,69 Meter kleinen Genie abhängig zu machen. „Gut, er ist der beste Spieler der Welt. Er kann in einem Spiel eine schwierige Situation klären. Dass er aber im Alleingang eine Weltmeisterschaft gewinnt, ist unmöglich“, sagt der argentinische Held des ersten WM-Triumphes 1978, Mario Kempes, der später sogar als Legionär in Österreich bei Vienna und St. Pölten zu bewundern war. Messi werde sich unter Druck gesetzt fühlen, „denn einige glauben, dass alles damit getan ist, ihm den Ball zu geben. Und das ist ein großer Irrtum!“

Messi allein kann es nicht richten, er braucht geeignete, mutige Mitspieler. Wie Sergio Agüero oder Reals Champions-League-Sieger Angel dí Maria. Zudem muss sich die Abwehr dem Weltklasse-Niveau der Offensive zumindest annähern. Schon vor acht Jahren stimmte das Gleichgewicht zwischen technisch versierter Offensive und rustikaler Defensive nicht.

Schlechte Saison in Spanien

2010, als sich Messi in Südafrika in fünf Spielen vergeblich um sein zweites WM-Tor bemühte, war das nicht anders. Zumal der damalige Trainer Diego Maradona nicht als taktischer Stratege in die Fußballgeschichte eingeht.

Eine richtig gute Saison hat Messi beim FC Barcelona nicht hinter sich gebracht. Die Steueraffäre dürfte ordentlich an ihm genagt haben. So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Er selbst klagte unlängst, dass er ein atypisches Jahr hinter sich habe. Voller Nebengeräusche. Nicht einfach, sich da auf seinen Job zu konzentrieren. Schon vor Monaten aber spekulierte man in Spanien, Messis Gedanken würden sich nur um die Weltmeisterschaft drehen. Und es wurde offen darüber diskutiert, ob er sich nicht für Brasilien geschont hat. Andere wiederum mutmaßen, der argentinische Superstar verstehe sich mit Neymar nicht gerade blendend.

Die Stimmung im argentinischen Team darf man als angespannt bezeichnen. Auch, weil das Verhältnis einiger Stars zum Teamchef (Saballa) nicht das beste sein soll. Er hat es gewagt, mit Ever Banega einen der engsten Messi-Freunde auszubooten. Falls Messi nicht reicht, erhofft man sich Hilfe von ganz oben. Und der Papst, der ist bekanntlich Argentinier. Ein riesiges Plakat, das das Team mit Franziskus zeigt, schleppen sie in Brasilien immer mit.

AUF EINEN BLICK

Lionel Messi, 26, ist Argentiniens Superstar. Er soll die Mannschaft bei der WM in Brasilien zum ersten Titel seit 1986 führen. Der Barcelona-Star traf zuletzt 2006 bei einer WM-Endrunde.

Der viermalige Weltfußballer meint, dass die Zeit für ihn nun reif sei, bei seiner dritten WM: „Ich habe aus Fehlern gelernt, werde sie nicht wiederholen. Es wäre ein Traum, die WM zu gewinnen.“ Argentinien trifft in der Gruppe F auf Bosnien und Herzegowina, Iran, Nigeria.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.