Ottmar Hitzfeld: »Spieler sind keine Nummern«

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Die Schweizer steigen am Sonntag mit dem Spiel gegen Ecuador in die WM ein. Teamchef Ottmar Hitzfeld spricht im Interview mit der »Presse am Sonntag« über die Perspektiven seiner Mannschaft, die Probleme in Manaus, Katar 2022 und seine nahende Trainerpension.

Die Schweizer Mannschaft steigt am heutigen Sonntag mit dem Spiel in Brasilia gegen Ecuador in die Weltmeisterschaft ein. Betreut wird das Team von Ottmar Hitzfeld. Der Deutsche hat mit Borussia Dortmund und dem FC Bayern München die Champions League gewonnen. Er hat die „Nati“ nach der Euro 2008 übernommen, nach der WM in Brasilien wird er seine erfolgreiche Trainerkarriere beenden. Dem Fußball will er nur als Fernsehkommentator (Sky-Experte) und als Werbebotschafter erhalten bleiben. „Die Presse am Sonntag“ hat mit dem 65-Jährigen vor der Abreise nach Brasilien durch Vermittlung von Sky exklusiv gesprochen.

Die Schweiz hat sich ohne Schwierigkeiten für die Endrunde qualifiziert. Wie schätzen Sie die sportlichen Perspektiven für Brasilien ein?

Ottmar Hitzfeld: Also unser Ziel ist klar der Aufstieg. Das haben wir alle auch nach der Auslosung so gesehen. Was dann kommt, das lässt sich nur schwer vorhersehen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir eine gute Mannschaft haben.

Sie haben aber zuletzt auch immer wieder Kritik geübt...

Sie meinen meine kritischen Aussagen, weil man ausgerechnet in Manaus spielen muss. Noch dazu um eine Uhrzeit, die nicht normal ist. Dieses feucht-tropische Klima wird alles nur noch schwieriger machen. Das ergibt doch sportlich keinen Sinn. Das ist eine Zumutung. Wir spielen jetzt einmal gegen Ecuador, dann haben wir in Salvador de Bahia Frankreich. Das heißt, wir müssen gegen Honduras, wo es vermutlich um den Einzug ins Achtelfinale geht, ausgerechnet bei 95 Prozent Luftfeuchtigkeit spielen. Und das um 13 Uhr Ortszeit.

Das sind heftige Worte – die sich gegen die Fifa richten?

Nein, das Stadion hat ja nicht die Fifa in den Dschungel gestellt. Das waren schon die Brasilianer.

Aber die Fifa hat beispielsweise die WM 2022 an Katar vergeben.

Auch das habe ich schon kommentiert. Dort im Sommer bei 45 Grad zu spielen, das ist sinnlos. Das ist letztlich eine kleine Katastrophe. Das Geld wird da eine Rolle gespielt haben, ich gehe aber davon aus, dass im Sommer nicht gespielt wird. Oder es wird alles doch noch in ein anderes Land verlegt. Ich denke, nach Brasilien wird man noch einmal über das ganze Thema diskutieren.

Der Weltverband wandelt also auf Ab- bzw. Irrwegen?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Was dieser Verband einspielt, das darf man nicht vergessen. Weltmeisterschaften haben schon viel Gutes.

Zurück zur Gegenwart. Mit Brasilien assoziieren Sie was?

Begeisterung. Die WM wird ein absolutes Highlight, ich freue mich sehr darauf. Das ist ein Land, das es zu feiern versteht. Gut, wenn man im Fußball fünfmal Weltmeister war, dann kann man auch leicht euphorisch sein. Und die Euphorie wird trotz aller Probleme kommen. Für mich ist ja Brasilien immer das Mutterland des Fußballs gewesen. Sorry, England. Da werden Fußballer wie am Fließband „produziert“, gut 1000 Spieler verdienen ihr Geld im Ausland. Da gibt es Talente, das ist ein Wahnsinn. Und es sind sicher noch immer nicht alle entdeckt worden. Ein riesiges Potenzial und Reservoir. Das ist hier ein richtiger Exportzweig.

Die Schweizer haben aber auch viele Legionäre.

Ja, allein neun Spieler stehen in der deutschen Bundesliga unter Vertrag. Aber keine Vergleiche mit Brasilien bitte. Wie gesagt, wir wollen die Gruppenphase überstehen und ins Achtelfinale. Was dann kommt? Da sind uns hoffentlich keine Grenzen gesetzt.

Mit welcher Spielweise?

Wir wollen mutig nach vorne spielen. Und offensiv spielen. Das sagen viele, machen aber nicht alle. Ich habe einmal gesagt, die Schweiz verfügt über eine „goldene Generation“. Entscheidend aber ist das Kollektiv. Dieses Team hat sich zu einer Einheit entwickelt.

Vor vier Jahren in Südafrika hat man Spanien die einzige Niederlage zugefügt – und ist trotzdem ausgeschieden. Ist das Team heute weiter?

Auf jeden Fall. Aber das ist ein gutes Beispiel, wie es im Fußball laufen kann. Wir brauchen uns zwar vor keiner Mannschaft zu verstecken, aber gewinnen musst du auf dem Platz!

Brasilien ist kein guter Boden für Europäer.

Wird das so bleiben?

Sagen wir so: Es ist kein Zufall, dass hier noch kein Europäer gewonnen hat. Da steckt schon ein Funken Wahrheit drinnen. Haben Sie den Konföderationen-Cup gesehen? Da gab es Spieler, die haben sich mit Krämpfen auf dem Platz gewunden. Das gibt es in Europa auf diesem Niveau nicht mehr. Neben dem Klima kommt das ganze Gereise dazu. Das ist ein Handicap. 5000 Kilometer kommen in Brasilien leicht zusammen.

Also spricht alles für Brasilien?

Sie sind Favoriten. Und ich erwarte die Brasilianer auch im Finale. Aber ich bin auch Deutscher. Daher gehört Deutschland für mich auch zu den Favoriten. Wie Argentinien. Und Spanien.

Klingt eher nach den üblichen Verdächtigen...

Italien sollte man, glaube ich, auch auf dem Zettel haben. Und auch Belgien. Hoffentlich auch die Schweiz. Da muss man aber über sich hinauswachsen, dann sind Überraschungen möglich.

Wie ist es zu dem Entschluss gekommen, dass Sie nach der WM die Trainerkarriere beenden?

Ich habe mir in den vergangenen Monaten so meine Gedanken gemacht. Schon während der Qualifikation. Die Schweizer wollten den Vertrag mit mir verlängern bis zur Euro 2016. Vor dem Spiel gegen Albanien habe ich mir gesagt: Ich höre auf. Bekannt gegeben habe ich es dann nach dem letzten Quali-Match. Es geht irgendwann auch einmal um die Gesundheit. Ich will aufhören, wenn ich noch im Vollbesitz meiner Kräfte bin. Ich möchte auf Reisen gehen und meiner Frau, die so oft auf mich verzichten musste, mehr Zeit widmen. Und ich glaube, man soll aufhören, wenn es noch Spaß macht. Das ist schon ein Privileg, das muss man schon auch sagen. Die WM, das ist ein guter Zeitpunkt.

Werden Sie das später bereuen?

Das Gewissen hat gesagt, ich soll weitermachen. Meine Seele sagt Nein. Nach den sechs Jahren in Dortmund habe ich eine Pause gebraucht. 2004 war es ähnlich, als ich nach sechs Jahren Bayern kaputt war. 1997 habe ich ein Angebot von Real Madrid abgelehnt, weil ich nicht in Vollbesitz meiner Kräfte war. 2008 habe ich bei den Bayern aufgehört, obwohl die Münchner verlängern wollten. In allen Fällen war meine Entscheidung richtig. Diese Erfahrungen sind dann schon recht hilfreich.

Wird die Schweiz auch in Zukunft erfolgreich sein?

Ich hinterlasse eine intakte Mannschaft. Wir haben viele junge Spieler, alle spielen auf hohem Niveau. Die Mischung aber stimmt, wir haben auch sehr gute ältere Spieler. Dieses Team kann sicher noch einige Jahre gemeinsam auftreten. Ich verlasse also kein sinkendes Schiff.

Haben Sie als Trainer, der so viel gewonnen hat, genug Mut bewiesen?

Ich hoffe. Für mich war der Mensch, das persönliche Verhältnis zum Spieler, immer besonders wichtig. Spieler sind keine Nummern. Bei der Aufstellung spielt das alles mit hinein. Manchmal ist es wichtig, auf Teamspieler zu setzen – und den individuell stärkeren Spieler draußen zu lassen. Ich habe mit jungen Spielern gute Erfahrungen gemacht. Sie werden oft unterschätzt. Die Jungen sind reifer und selbstbewusster. Man muss ihnen vielleicht manchmal nur die Grenzen aufzeigen.

Verfolgen Sie auch den österreichischen Fußball?

Ab und zu schaue ich im Fernsehen kurz hinein. Aber ich bin da nicht so bewandert. Ich bin da nur ein Beobachter. Salzburg verfolge ich mehr, das hat sicher mit Ralf Rangnick zu tun.

Und das ÖFB-Team mit Marcel Koller?

Natürlich! Marcel Koller war ein Spieler von mir, er war mein Kapitän. Er hat schon als Spieler wie ein Trainer gedacht. Er war der Kopf der Mannschaft. Ein akribischer Arbeiter und ein Psychologe mit einem guten Charakter. Ich wünsche ihm viel Glück, richten Sie ihm schöne Grüße aus.

Sie outen sich immer wieder als Bayern-Sympathisant. Sind Sie auch ein Fan von David Alaba?

Ein grandioser Fußballer. Unglaublich, wie schnell er Fuß gefasst hat. Für mich ist er wirklich Weltklasse.

Welcher Trainer hat Sie am Beginn Ihrer Karriere am meisten beeindruckt?

Also bei mir war das auch Ernst Happel. Er hatte eine interessante Art und er hat einen perfekten Fußball spielen lassen – mit Pressing und Abseitsfalle.

So ganz spontan, zum Abschluss: Was war Ihr größter Sieg?

Also um ehrlich zu sein, es waren bisher doch schon sehr viele Siege. Aber vielleicht war es der Champions-League-Sieg mit den Bayern 2001 (5:4 nach Elfern gegen Valencia, Anm.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

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