Die Triumph-Posen des Revolverhelden

Gruppe G. Kaum eine andere Mannschaft ist von einem einzigen Spieler so abhängig wie Portugal. Vor dem heutigen Schlager gegen Deutschland dreht sich wieder einmal sehr viel um Cristiano Ronaldo.

Sie haben sich viel Zeit gelassen, die Portugiesen, mit ihrer Anreise zur Weltmeisterschaft in Brasilien. Als eines der letzten Teams haben sie Quartier bezogen, heute steigen sie in Salvador mit dem Schlagerspiel gegen Deutschland ins Turnier ein. Die Bilder von der Vorbereitung aus Campinas, etwa eine Stunde von São Paulo entfernt, die sind in den vergangenen Tagen um die Welt gegangen. Vor allem ein Bild von einem Eisbeutel, aufgelegt auf eines der wertvollsten Knies auf diesem Planeten. Es handelt sich um das Gelenk von Cristiano Ronaldo, um dessen Fitness in den letzten Wochen so viel gerätselt wurde, dass man das alles schon unter dem Begriff Dichtung und Wahrheit einstufen könnte.

Deutschland gilt nicht gerade als Lieblingsgegner der Portugiesen, die als einer der stärksten europäischen Mannschaften in Brasilien eingestuft werden. Zu einem Zeitpunkt, als „Oranje“ die Spanier noch nicht zerlegt hat. Zu einem Zeitpunkt, als man über den genauen Gesundheitszustand von Cristiano Ronaldo auch nicht Bescheid gewusst hat. Das weiß man in Wahrheit auch heute noch nicht, fest steht nur, dass der 29-jährige Superstar zuletzt wieder mit der Mannschaft trainiert hat. Einmal musste er die Übungen vorzeitig abbrechen. Und dann begann das große Zittern wieder von vorn.

Schönling, Star – „Poligonero“

Ronaldo genießt eine Sonderstellung in seiner Nationalmannschaft. Das hat freilich Gründe, denn kaum eine andere Auswahl ist dermaßen wie Portugal von einem einzigen Spieler abhängig. Qualifiziert hat sich Portugal erst im Play-off – gegen Schweden mit Zlatan Ibrahimović. Dieses Duell hat Ronaldo, der einfach nur CR7 genannt wird, für sich entschieden. Einen anderen würde der Ballkünstler aus Madeira neben sich auch nicht dulden.

Der Brasilianer Neymar hat im Eröffnungsspiel seine Klasse bereits unterstrichen, auch der Niederländer Robin van Persie („Supervan“) hat gezeigt, dass in ihm ein Überflieger steckt. Und Lionel Messi stand in der Nacht auf Montag erstmals bei dieser WM auf dem Rasen. Cristiano Ronaldo hat also schon vorexerziert bekommen, wie hoch die Latte in Brasilien liegt, wenn man zum WM-Star 2014 avancieren will.

Der Schönling, der so gern seine Muskeln zeigt, hat durchaus schon sehr viel in seiner Karriere gewonnen. Auch mit der heurigen Saison darf Ronaldo zufrieden sein. Mit der Meisterschaft ist es nichts geworden, dafür hat er sich zum zweiten Mal in seiner Karriere die Champions League geholt – und er hat in beiden Endspielen getroffen. Das Ego befriedigt hat er auch damit, sich erneut „Weltfußballer des Jahres“ nennen zu dürfen. Das war dem eitlen Selbstdarsteller wichtig.

„Goldener Touch“

Was Ronaldo noch fehlt, das ist ein Titel mit der Nationalmannschaft. Bei der EM 2004 im eigenen Land war man nahe dran, im Finale aber war Griechenland besser. Er war damals erst 19, heute ist er im besten Fußballeralter. Bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine wurde der Finaleinzug (2:4 nach Elferschießen gegen Spanien) denkbar knapp verpasst. Bei Weltmeisterschaften ist die Bilanz ohnedies durchwachsen. 1966, als Eusébio in seiner Blüte stand, erreichte Portugal das Semifinale. Bis 2006 herrschte dann Dürre, in Deutschland wurde man Vierter (Niederlage im Spiel um Platz drei gegen Deutschland). Und vor vier Jahren in Südafrika war schon im Achtelfinale Schluss – gegen den späteren Champion Spanien.

Vor der WM hat Ronaldo, der seinen zweiten Vornamen der Mutter, die Ronald Reagan verehrte, verdankt, die Cover vieler Zeitschriften geziert. „Time Magazine“ wählte ihn unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt, das Journal der „New York Times“ hievte vor dem ersten Schuss in Brasilien ausnahmsweise nicht US-Präsident Barack Obama oder eine gesellschaftliche Debatte auf das Titelbild, sondern den Portugiesen. „Der Mann mit dem goldenen Touch“, stand neben dem Foto, das ihn mit verschränkten Armen im Teamdress zeigt.

Aus dem Narziss ist längst ein Fußballgigant geworden. Aufgewachsen ist er einst im Internat des Klubs Sporting in Lissabon, dort hat er zu kämpfen gelernt und die Zähne zusammenzubeißen. Er wurde ob seines Dialekts verspottet, er habe oft geweint. Und dann irgendwann den Beschluss gefasst, der Beste zu werden. Das hat er geschafft – in der Champions League hat er in dieser Saison sogar einen neuen Torrekord (17 Tore) aufgestellt.

Cristiano Ronaldo polarisiert, für die einen ist der 94 Millionen teure Mann mit den gegelten Haaren ein Prolet – ein „poligonero“. Für andere ist er ein Fußballgott, auch wenn er im Stil eines Pfaus über den Platz schreitet. Aber er kann sprinten, schießen wie ein Revolverheld. Portugal wartet wieder auf seine Triumph-Posen. [ EPA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2014)

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