Niederlande: Louis und die fliegenden Holländer

Louis van Gaal
Louis van Gaal(c) APA/EPA/SRDJAN SUKI (SRDJAN SUKI)
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Teamchef Louis van Gaal krempelte das Spielsystem der Oranjes um, die Nation erhofft sich vom Meisterstrategen einen Überraschungscoup gegen Messi & Co.

Wien. Vor dem Semifinale gegen Argentinien geriet der Bondscoach beim Blick auf die Christusstatue auf dem Corcovado hoch über Rio, dem Hauptquartier der Oranjes, minutenlang ins Sinnieren. Seit er das Tiki-Taka der Spanier zertrümmerte, schwebt Aloysius Paulus Maria van Gaal, Ritter von Oranien-Nassau, in lichten Sphären.

Nicht, dass es dem 62-Jährigen je an Selbstbewusstsein gemangelt hätte. Im Gegenteil: Die Medien warfen dem Startrainer oft genug Arroganz und Selbstherrlichkeit vor. Inzwischen lieben sie den strategischen Mastermind für seine Überraschungscoups, sie schwärmen von „Louis van Geniaal“, der sogar die Trinkpausen zu einem Systemwechsel nutzt. Und selbst Johan Cruyff, sein Intimfeind aus den Zeiten bei Ajax Amsterdam, hat einstweilen seinen Frieden mit Louis van Gaal gemacht.

Zwischen Liebe und Hass, Verehrung und Verdammung oszillieren die Emotionen, die der Teamchef hervorruft – bei seinen Klubs Ajax, Barcelona und Bayern München oder bei der „Elftal“, dem Nationalteam. „Müller spielt immer“, lautete seine Parole bei Bayern: Jungstar Thomas Müller hatte einen Freibrief bis zu van Gaals abruptem Ende nach eineinhalb Jahren. Als er von der holländischen Philosophie des „Voetbal total“, des bedingungslosen Offensiv-Fußballs abrückte und auf eine robuste Abwehr – ein 5-3-2-System – setzte, fielen Cruyff & Co. über van Gaal her. Mittlerweile preist ihn Trainerkollege Dick Advocaat als „besten Coach der Niederlande aller Zeiten“.

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Vor riskanten und unorthodoxen Maßnahmen schreckt der „General“ van Gaal nicht zurück. Den Stürmer Dirk Kuyt hat er zum Verteidiger, zu einem „fliegenden Holländer“ umfunktioniert. Mit wehenden Fahnen wechselt Kuyt in den Angriff über, um beim Konter die Flügel Robben und van Persie zu unterstützen. „Louis van Gaal ist einfach fantastisch“, stimmte Kuyt in die Lobeshymnen ein.

Arjen Robben rühmte denn auch den „goldenen Pimmel“, van Gaals „goldenes Händchen“: Mehrmals wechselte er am Ende Joker ein, die ihren Einsatz mit Toren belohnten – im Achtelfinale der Elferschütze Klaas Huntelaar. Und im Viertelfinale sorgte er für den größten Coup, als er Sekunden vor Abpfiff der Verlängerung „Penalty-Killer“ Tim Krul aufs Feld schickte.

Gegen Argentinien kommt auf den Strategen die knifflige Aufgabe zu, den Dreh- und Angelpunkt Lionel Messi zu isolieren. Die Holländer platzen vor Selbstvertrauen, und Guus Hiddink weiß ein Gegenmittel: ein Robben in Überform.

Als Assistenten sitzen Danny Blind und Patrick Kluivert an der Seite des Teamchefs – zwei Exspieler, die bei Ajax unter van Gaals Ägide groß wurden. Selten war die Stimmung bei den Oranjes so locker wie in Rio, die Elftal präsentiert sich in Brasilien als eine Familie, die zum großen Finale im Maracanã in ihrem dann vierten Anlauf endlich den ersten WM-Titel erringen will.

Louis van Gaal hat wenig zu verlieren: Allen Unkenrufen zum Trotz hat er die Runde der letzten vier erreicht. Nach der WM endet für ihn die zweite Mission als Bondscoach, nachdem er vor zwölf Jahren blamabel gescheitert war. In Manchester warten sie bei United derweil sehnsüchtig auf ihren neuen Trainer, ihren neuen „Messias“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2014)

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