Argentinien: Ein großes Herz und Mourinhos Geist

SOCCER - FIFA World Cup 2014, NED vs ARG
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Analyse. Das Spiel der Argentinier ist ausschließlich zweckorientiert. Dagegen ankämpfen zu müssen, kann ziemlich aufreibend sein.

Fußball kann oft grausam sein und das muss nichts mit einer bitteren Niederlage zu tun haben. Das Spiel der Argentinier ist jedenfalls eine Tortur, es wirkt wie eine immer wiederkehrende Foltermaschine. Und dennoch ist es erfolgreich wie schon lange nicht, erstmals seit 24 Jahren ist man wieder in einem Semifinale gestanden - und nun erhält man am Sonntag in Rio den Janeiro sogar die Gelegenheit, sich für die Finalniederlage gegen Deutschland in Rom 1990 zu revanchieren. Der Mann des Spiels, das war damals Andreas Brehme. Er übernahm beim entscheidenden Elfmeter die Verantwortung. Und Elfmeter könnten vielleicht auch diesmal eine Rolle spielen. Weil Argentinien Meister des pragmatisch-ökonomischen Spiels ist.

Die Art und Weise, wie die Argentinier zum Erfolg kommen, die muss man nicht mögen. Aber sie ist nichts Neues unter der Fußballsonne. Man kennt das aus der Champions League, vor allem José Mourinho hat den reinen Zweckfußball, der manchmal nur aufs Zerstören abzielt, zur Perfektion getrieben. Die Albiceleste passt da nahtlos ins Bild, auch die Argentinier bereiten keine Freude, gegen die Niederlande nicht einmal ein Lionel Messi, der ehemalige Weltfußballer und Superstar des FC Barcelona.



Die Argentinier, zuletzt mehrmals im Viertelfinale gescheitert, mit Vorliebe an den Deutschen (2006 in Deutschland, 4:0 in Südafrika 2010), haben die Konsequenzen aus dem Scheitern gezogen. Teamchef Alejandro Sabella hat schließlich beispielsweise die Niederlage im Viertelfinale 1998 in Frankreich als Co-Trainer von Daniel Passarella live miterlebt. Es ist also kein Zufall, dass die Argentinier ihre Siege 2014 mit maximal einem Tor Differenz erzielt haben. Und wenn gar nichts geht, dann gibt es eben noch Sergio Romero. Er war gegen Ron Vlaar und Wesley Sneijder zur Stelle.

Die Abwehr, so hat es noch vor vier Wochen in Brasilien den Anschein gehabt, ist die argentinische Achillesferse. Inklusive Torhüter, der beim AS Monaco nicht erste Wahl ist. Aber Sergio Romero hat sich bei diesem Turnier nichts zuschulden kommen lassen, gegen die Niederländer wurde er sogar zum Spieler des Abends. „Das war Intuition", sollte der 27-Jährige später sagen. „Ich hatte keinen Zettel."

Messi: Blass gebliebener Ausnahmekönner

Lionel Messi, der blass gebliebene Ausnahmekönner, flüchtete nach dem Einzug ins Finale in Begleitung von zwei Bodyguards vom Stadion in São Paulo gleich in den Mannschaftsbus. Das Reden überließ er anderen. Wie Javier Mascherano. „Wir sind wieder da!", meint der Unverwüstliche. Die Durststrecke ist beendet, 24 Jahre sind für ein Land, in dem der Fußball eine riesige Bedeutung hat, eine halbe Ewigkeit.

Manche haben Teamchef Sabella vor dem Turnier nicht ganz ernst genommen, nun wird auch er schon als Held gefeiert. Er war mittendrin im Geschehen, sein Anzug völlig durchnässt - tief im Inneren war er nur glücklich. „Hier ist eine außergewöhnliche Gruppe zusammengewachsen", sagt er. Ein Team, das sich entwickelt hat - eine Mannschaft, die fast keine Chancen mehr zulässt. Auch die Niederländer haben sich die Zähne ausgebissen. Robben inklusive. Weil es, wenn es darauf ankommt, einen Mascherano gibt.

Die Argentinier verstehen es, die Räume eng zu machen. „Wer die Räume besser besetzt, der gewinnt." Diese Fußballweisheit ist allseits bekannt, Deutschland praktiziert das nicht anders. „Der Gegner hat den Vorteil", so Teamchef Sabella, „dass er einen Tag länger zur Vorbereitung hat. Und eine Verlängerung und ein Elferschießen weniger." Das hat sich Argentinien allerdings selbst zuzuschreiben.

Großer Respekt vor Deutschland

Der Respekt vor Deutschland ist groß. Nicht erst seit dem 7:1 gegen Brasilien. „Es wird das wichtigste Spiel für uns", unterstrich Mascherano. „Und Deutschland wird uns auch mit einer gewissen Sorge begegnen. Man weiß, dass wir ein Team mit viel Hingabe haben. Bei uns ist jeder für den anderen da." Und vielleicht hat man mit Messi jenen Mann, der seine Genieblitze bei dieser WM noch nicht alle verschossen hat.

Über Revanche für Niederlagen in der Vergangenheit spricht im Lager der Argentinier keiner. „Das ist nur eine einzigartige Chance!", sagt Javier Mascherano. Kritik, dass die Albiceleste keinen gefälligen Fußball biete, lässt er an sich abprallen. „Wir spielen mit unserem Herzen und unserer Seele. Aber auch mit viel taktischer Intelligenz." Die Fehleranfälligkeit war bisher äußerst gering, Deutschland wird Argentinien schon dazu zwingen müssen, in Stresssituationen zu kommen. Die Spieler dazu hat Joachim Löw. Aber ein Finale ist ein Finale.

WM-Begegnungen

Deutschland und Argentinien stehen sich am Sonntag (21 Uhr, ORF1) in Rio de Janeiro im WM-Finale 2014 gegenüber. Es ist ihr drittes Finalduell, 1986 gewann die Albiceleste mit 3:2 (2. Titel nach 1978); 1990 siegte Deutschland mit 1:0 (3. Titel nach 1954, 1974). Bei der WM 1958 siegte Deutschland in Schweden mit 3:1, 1966 folgte ein 0:0 in England. 2006 half Lehmanns Spickzettel (Berlin, Viertelfinale, 4:2 n. Elfer).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2014)

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