Englands Ruhepol im russischen Wald: Ein Lokalaugenschein

Bei der Ankunft des englischen Teams in Repino am 12. Juni herrschte zwar mehr Trubel, die Lage war aber noch entspannter.
Bei der Ankunft des englischen Teams in Repino am 12. Juni herrschte zwar mehr Trubel, die Lage war aber noch entspannter.imago/Focus Images
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Der völlig unscheinbare Ort Repino ist die Heimstätte Englands während der WM. Von russischen Securitys und finnischem Meerbusen.

Über 70 Quartiere in Russland hat der Fußballweltverband Fifa den 32 WM-Teilnehmern für den Zeitraum der Endrunde angeboten. Gleich fünf Mannschaften haben sich rund um Sankt Petersburg niedergelassen, neben Saudiarabien, Costa Rica, Südkorea und Kroatien auch England. Der Teamchef der Three Lions, Gareth Southgate, entschied sich gegen ein Camp an der Schwarzmeerküste von Sotschi oder im Moskauer Großraum, stattdessen fiel die Wahl des 47-Jährigen auf Repino, eine unscheinbare 2400-Seelen-Gemeinde. Wer von Sankt Petersburg nach Repino möchte, der brettert entweder die Autobahn Richtung Nordwesten entlang oder aber steigt in den Zug, denn Repino, das seinen Namen dem russisch-finnischen Maler Ilja Jefimowitsch Repin verdankt, hat einen eigenen Bahnhof.

WM-Fieber? Keineswegs. Wer in Repino Unterhaltung sucht, der hat den zeitgerechten Ausstieg verpasst. Eingebettet in einen Mischwald aus Birken und Kiefern dürften sich Fuchs und Hase hier nicht nur sprichwörtlich gute Nacht sagen. Repino, das ist ein Ort der Ruhe und des Rückzugs. Auf die Fußball-Weltmeisterschaft deutet rein gar nichts hin, kein Transparent, kein Plakat. Wäre da nicht Englands Nationalmannschaft. Sie residiert im ForRestMix Club, der doppeldeutige Name ist Programm. 107 Zimmer hat die weitläufige Anlage, Englands Verband hat sie während des Zeitraums der WM exklusiv gemietet.

Spa-Bereich, Fitnesscenter, Swimmingpool, dazu Tischtennis und Billard – das Angebot ist groß. Harry Kane und Kollegen werden in drei Restaurants verwöhnt, auf den Zimmern wurden auf Wunsch vier britsche TV-Sender freigeschalten, damit die Spieler die Partien wie in ihrer Heimat mit englischem Kommentar verfolgen können. Außerhalb der Anlage wurde in Repino noch kein Spieler gesichtet, weder die Kassiererin des Supermarkts noch der Kellner des nahe gelegenen Restaurants Schaljapin ist einem der prominenten Gäste bisher begegnet. Tatsächlich sind die Spieler von der Polizei aus Sicherheitsgründen dazu angehalten, die Anlage nicht zu verlassen, dabei wäre ein Spaziergang am nur wenige Gehminuten entfernten Strandabschnitt des Finnischen Meerbusens durchaus einladend.

Sämtliche Fußballer bei dieser WM stehen unter strenger Beobachtung, die englischen aber ganz besonders. Der Fall Skripal hat die Lage zwischen England und Russland zusätzlich verschärft, bei der WM soll die Beziehung der beiden Nationen durch etwaige Nachlässigkeiten in Sicherheitsfragen keinesfalls weiter belastet werden.

Beim Lokalaugenschein der „Presse am Sonntag“ in Repino wird deutlich, dass Spaziergänger wie Journalisten rund um den ForRestMix Club gleichermaßen unerwünscht sind. Russische Sicherheitskräfte in Zivil untersagen Fotoaufnahmen des Hotels von außen in strengem Ton. Begründung? „Njet!“ Polizisten verlangen ohne ersichtlichen Grund den Vorweis des Reisepasses, die Medienakkreditierung ist nicht ausreichend. „Awstrija?“ Die Aufforderung, besser weiterzugehen, versteht man auch ohne Russischkenntnisse.

Doch viel gibt es in Repino nicht zu sehen. Der Ortskern umfasst neben Supermarkt und Restaurant noch vier Mini-Märkte und eine Apotheke, die so groß ist, dass man sie eher in St. Petersburg als in Repino erwartet. Langeweile soll bei Englands Teamspielern bislang dennoch keine aufgekommen sein. „Sie genießen die Ruhe wirklich“, berichtet ein Reporter von Sky Sports, der die Mannschaft seit deren Ankunft in Russland begleitet. Dennoch, etwas Ablenkung brauchte es am bislang einzigen freien Tag dann doch. Vergangenen Mittwoch trafen die Spieler in St. Petersburg ihre Familien, viele besuchten die Eremitage.

Als Trainingszentrum haben die Engländer das Spartak-Stadion in Zelenogorsk, zehn Kilometer von Repino entfernt, ausgewählt. Dabei handelt es sich nicht wirklich um ein Stadion, sondern eher um ein groß angelegtes und Ende 2017 eröffnetes Trainingsgelände. Am Samstag ist das Training der Three Lions für Medien zugänglich.


In der Ruhe liegt die Kraft. 15 Minuten darf offiziell gefilmt und beobachtet werden. Zunächst absolviert das Torhüter-Trio einige Übungen, etwas später betritt der Rest der Mannschaft, angeführt von Kapitän Harry Kane, den fein gepflegten Rasen. Aus 15 Minuten werden 30 Minuten, ehe die Rollbalken heruntergefahren werden und gut 70 Journalisten das Gelände verlassen müssen. Die Stimmung im Team der Engländer wirkt gelassen, der Auftaktsieg gegen Tunesien hat gewiss dazu beigetragen. Glaubt man britischen Insidern, dann gibt es heuer erstmals seit langer Zeit bei einem Großereignis keine Grüppchenbildung.

In der Vergangenheit hatten oftmals etwa Spieler von Manchester United gegen jene von Liverpool geätzt, und umgekehrt. Mit einem Sieg gegen Panama am Sonntag wäre Englands Einzug ins Achtelfinale bereits fixiert. Die Ruhe von Repino könnte aber zu noch Höherem beflügeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2018)

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