Bernd Wiesberger tritt als Jahresbester Europas bei den 148. Open in Nordirland an. Aus der Krise hat der Burgenländer zur besten Profi-Saison gefunden, die Statistik zeigt sein Potenzial.
Portrush/Wien. Nur kurz blieb Bernd Wiesberger vorerst Zeit, den größten Sieg seiner Karriere in Schottland zu genießen. Schon am Montag reiste er weiter nach Portrush, Nordirland, um sich auf die mit 10,75 Millionen Dollar dotierten Open vorzubereiten. Zum sechsten Mal tritt der Oberwarter am Donnerstag (ab elf Uhr, live, Sky) beim einzigen Major-Turnier außerhalb der USA an. Das Ziel dürfte angesichts der aktuellen Hochform deutlich mehr als eine neue persönliche Bestleistung (bisher 64., 2013) sein.
„Ich weiß, dass ich mich mit meinem Spiel nicht verstecken muss. Wichtig ist jetzt die richtige Strategie und auch, etwas Ruhe zu finden“, erklärte der 33-Jährige. „Mit allem Weiteren beschäftige ich mich aktuell nicht.“ Hier ein Blick auf die Ausgangsposition von Österreichs Nummer eins.
Die Form
Als erster Österreicher führt Bernd Wiesberger die Jahreswertung (erstmals nach gewichteten Punkten geführt) der European Tour an. Dabei hatte die Comeback-Saison nach der fast siebenmonatigen Zwangspause mit fünf verpassten Cuts in den ersten sieben Turnieren gar nicht gut begonnen. „Natürlich freue ich mich über die aktuelle Position, sie ändert allerdings nichts an unserem Fokus. Vielmehr ist es eine Bestätigung der guten Arbeit seit meiner Verletzung“, betonte er. Mit 18 Turnieren hat er die meisten der Top Ten im Ranking gespielt.
Wiesbergers steile Formkurve zeichnet die Weltrangliste eindrucksvoll nach, die die letzten 104 Wochen gewichtet berücksichtigt. Auf Platz 185 ins Jahr gestartet, folgte bis Mai der Rückfall auf den 389. Mit den jüngsten Resultaten hat sich der Burgenländer zur Nummer 40 der Welt (Allzeithoch 23, Juli 2015) hochgearbeitet und zählt damit wieder zum elitären Kreis, der Einladungen zu den prestigeträchtigsten Turnieren erhält. Ob er jene zum WGC-Turnier in Memphis für die kommende Woche annehmen wird, ist offen.
Der Kopf
Im Spitzensport entscheiden Nuancen, allen voran das eigene Selbstvertrauen. Wiesberger hat zuletzt immer wieder seine neue Lockerheit betont: „Ich denke nicht mehr so viel nach, bin nicht mehr so verbissen wie einst.“ Es ist nicht das erste Mal, dass er seine Comeback-Qualitäten beweist. Als er nach der Premierensaison auf der European Tour 2009 absteigen musste, fiel er im Folgejahr nicht in ein Loch, sondern erspielte sich unter anderem mit seinen ersten beiden Siegen auf der Challenge Tour prompt die Rückkehr.
Die Konstanz
Mit bislang 2.249.895 Millionen Euro Preisgeld ist es bereits jetzt die erfolgreichste Profi-Saison für Wiesberger. Der Blick in die Statistik zeigt, dass für Österreichs Nummer eins bei entsprechender Konstanz noch weitaus mehr drin ist. Traditionell stark im langen Spiel rangiert er bei Greens in Regulation (erreichte Grüns nach vorgegebener Schlagzahl) als 6. (72,8 Prozent) in der europäischen Spitze. Sowohl bei getroffenen Fairways (56,1 Prozent; 123.) als auch bei Putts pro Runde (30,41; 156.) liegt er jedoch über die gesamte Saison gesehen im Hintertreffen.
Der Platz
Die 148. Open werden zum zweiten Mal nach 1951 (Premiere außerhalb der britischen Insel) im Royal Portrush Golf Club in der Nähe von Coleraine gespielt. Der Par-72-Kurs Dunluce Links gilt als einer der besten der Welt. Lokalmatador Rory McIlroy hat hier 2005 als 16-Jähriger mit einer 61er-Runde aufgezeigt – bis heute Platzrekord. „Als ich am ersten Tee stand, kam alles zurück“, sagte er nun. Der große Favorit ist jedoch der US-Weltranglistenerste Brooks Koepka, der heuer schon die PGA Championship gewonnen hat.
„Offensichtlich funktioniert mein Links-Golf“, sagte Wiesberger, der sich zuletzt auf seine Eisen verlassen konnte. „Ballkontrolle ist auf Links-Kursen sicherlich ein besonders wichtiges Attribut.“ Die Bezeichnung ist für Deutschsprachige irreführend, denn sie rührt vom Altenglischen „hlinc“ für Hügellandschaft her. Die kargen Dünengebiete an den britischen Küsten eigneten sich weder für Ackerwirtschaft noch als Weideland und standen deshalb der Allgemeinheit zur Verfügung – auch für Golf. Die Naturbelassenheit macht Links-Plätze tückisch: sandiger Untergrund, tiefe Bunker und schwierige Roughs zwischen den Bahnen bei kaum vorhandenem Windschutz.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2019)