„Teilweise wird dilettantisch gearbeitet“

Hans Holdhaus
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Für Hans Holdhaus, Direktor des Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung, war der Olympia-Flop in London keine Überraschung. Er beklagt Vernaderungspolitik.

Die Presse: Hat Sie als Leistungsdiagnostiker das schlechte Abschneiden der österreichischen Olympia-Mannschaft in London überrascht?

Hans Holdhaus: Nein, überhaupt nicht. Das war absehbar, als man entschieden hat, sich nur mit internationalen Normen zur Qualifikation zu begnügen. Vielleicht war das eine sportpolitische Entscheidung, ich weiß es nicht. Schön, wenn einige die Möglichkeit hatten, olympische Luft zu schnuppern – Spiele sind auch ein tolles Erlebnis. Aber dann darf man sich keine Medaillen erwarten. Ich weiß auch nicht, wer vor London die Erwartungen festgesetzt hat. Für mich persönlich war eigentlich nur Corinna Kuhnle im Wildwasser eine echte Medaillenkandidatin. Mit Glück hätten auch die Segler Edelmetall holen können.

Das „Projekt Rio 2016“ soll ein weiteres Desaster bei Sommerspielen verhindern. Sind Medaillen in Brasilien überhaupt realistisch?

Durchaus. Ich denke da an die Segler (49er, 470er), Kuhnle oder Schützin Stephanie Obermoser. Oder die junge Rudergeneration. Das Projekt kann zwar keine Medaillen garantieren, aber es bietet eine große Chance. Erstmalig gibt es eine mehrjährige Förderung und Sicherheit. Es gibt einen Finanzierungsplan und Transparenz. Das heißt, wir können neben dem Team Rot-Weiß-Rot ganz gezielte Aufwendungen ermöglichen.

Nur in Primesportarten?

Wir sind ein kleines Land, wir können nicht 70 verschiedene Verbände in gleicher Art und Weise fördern. China hat jetzt erst beschlossen, bis Olympia 2016 in Rio nur 15 Verbände speziell zu unterstützen. Im Gegenzug mussten die Verbände eine Garantieerklärung abgeben, dass sie in vier Jahren auch tatsächlich Gold holen. Sonst müssen sie das Geld zurückzahlen.

Haben einzelne Verbände Trends verschlafen?

In Rio ist nicht nur Golf erstmals olympisch. Da gibt es beispielsweise auch Frauen-Rugby. Da hätte man vor einigen Jahren darauf reagieren können. Oder im Winter im Damenbob. Aber das muss jeder Verband für sich entscheiden, da geht es auch um Tradition. Skispringerinnen haben wir ja. Entscheidend ist im Spitzensport, professionell zu arbeiten. Wenn wir Profisport wollen, dann brauchen wir mehr Professionalisierung. Auch in den Verbänden. Zum Teil aber wird noch immer dilettantisch gearbeitet.

Österreichs Sportminister hat beim Projekt Rio 2016 von rund 70 Sportlerinnen und Sportlern, geteilt in Elite- und Hoffnungskader, gesprochen. Wer verdient diese Eliteförderung?

Wir befinden uns weiterhin in Vorgesprächen, die Auswahl ist noch nicht endgültig getroffen. Aber wir sprechen derzeit von insgesamt 50 Athleten. Davon sind etwa 15 paralympische Sportler dabei. Der Elitekader bewegt sich zwischen zwölf und dreizehn Athleten. Da ist auch Schwimmer Dinko Jukić schon dabei. Das ist, muss ich sagen, wirklich schon ein elitärer Kreis. Auch Leute mit Zukunft sind dabei, wie beispielsweise der Mountainbiker Alexander Gehbauer. Die Gespräche werden mit den Sportlern und Trainern geführt, es gibt ein flankierendes Controlling, wissenschaftliche Begleitung und Kontrolle der Leistungsentwicklung. Und: Es ist auch vorgesehen, Sportler aus dem Programm zu schmeißen, wenn sie ihre Leistung nicht bringen.

Und es gibt einen Anti-Doping-Codex, ist Österreich jetzt sauber?

Die Diskussion nach der Dopingaffäre von Turin 2006 wurde nicht sachlich geführt – sondern nur emotional. Und der Verlierer war der Sport. Ich war damals bei den Winterspielen nicht dabei, ich war in diese Causa nicht involviert. Aber beim Doping gibt es ein klares Reglement – es gibt keine Grauzonen. Man muss allerdings grundsätzlich auch festhalten, dass die Gefahr beim Thema Doping auch insofern so groß ist, weil jemand einem anderen ans Bein pinkeln will. Was ich in diesem Zusammenhang schon Briefe bekommen habe... Das Vernadern ist wirklich sehr beliebt.

Radprofi Lance Armstrong wurde auch vernadert, es gibt schließlich keinen positiven Dopingtest...

Doping hat man ihm viele Jahre lang unterstellt. Ich weiß nur, dass die Franzosen ein Problem mit ihm hatten. Jedem war klar, die wollen ihn nicht. Ich hatte das Gefühl, dass Lance Armstrong in Frankreich verfolgt wurde. Dazu ist jetzt gekommen, dass sich der Chef der US-Antidopingagentur offenbar inszenieren wollte.

Kann man die Tour de France ohne Doping überhaupt schaffen?

Die Tour de France ist schon grenzwertig, wir sprechen hier eigentlich von Extremsport. Die Leute, die um das Gelbe Trikot fahren, die stehen aber nicht immer und überall im Mittelpunkt. Windschattenfahren ist um 50 Prozent weniger anstrengend. Es gibt Etappen, da rollen die Besten nur mit. Die Wasserträger hingegen müssen alles geben – die scheiden dann meistens auch aus, sie sehen das Ziel nicht. Das Tempo ist jedenfalls gigantisch. Aber Durchschnittsgeschwindigkeit oder Kilometer zu reduzieren, das lassen die Franzosen nicht zu. Das verbietet der Stolz.

Zur Person

Hans Holdhaus, 67, ist Direktor des Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung (IMSB-Austria), Lehrbeauftragter für Sportbiologie, Mitglied in diversen Sportkommissionen, Berater vieler Fachverbände und wissenschaftlicher Koordinator bei Olympischen Spielen seit 1984. Holdhaus gilt in Österreich auch als „Anti-Doping-Experte“. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)

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