"Den Ball haben wir einfach dazugeklebt"

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Von der Kunst, Bewegung festzuhalten: Die Sportfotografie habe sich gewandelt, sagt Österreichs Fotodoyen Kristian Bissuti. Filme, Dias, Schwarz-Weiß-Fotos und die Nähe zu Stars gingen verloren.

Am Anfang war es einfach: Ich habe immer nur abgedrückt, ohne zu denken. Das Bild war wichtiger als die Qualität. Jetzt ist alles ganz anders: Fotos, die 1961 scharf und super waren, traue ich mich gar nicht mehr herzuzeigen. Digitale Sportfotos wirken mitunter starr, leblos. Aber Tempo und Qualität sind enorm.“ Wer sich mit Kristian Bissuti, einem Wiener „Original“ und seit 1959 Profifotografen, über Entwicklung und Wandlung seines Berufs unterhält, muss staunen. Er steckt voller Schmankerln über Befindlichkeiten diverser Stars und Politiker. Er kennt Kameras und Objektive, Tücken und Freuden dieses Geschäfts, für das man eine „Elefantenhaut, vor allem aber das richtige Gespür braucht“.

Sportfotografie ist natürlich mehr, als einfach nur abzudrücken. Das weiß der eloquente Sohn zweier Opernsänger genau. Doch ein „bisserl Schmäh“ muss sein, ohne den würde man nie die Nähe zu Stars und Sternchen finden. Auch verlangt der Job Fachwissen, das Wissen der richtigen Position, Können und Kontakte. „Sportfotografie ist die hohe Schule, die wahre Kunst der Branche“, so Bissuti. Oft unterschätzt, belächelt – aber hoch professionell.

Ein Zehner für den Lokführer. In den 1960er-Jahren befanden sich Fotografie und Journalismus in einer anderen Welt mit eigener Zeitrechnung. Artikel erschienen erst, wenn das dazugehörende Bild geliefert wurde. Entweder brachten Fotografen frühmorgens ihre auserlesenen Schnappschüsse höchstpersönlich in den jeweiligen Redaktionen vorbei oder „gingen leer aus“, sagt Bissuti. Layout und frühe Andruckzeiten verlangten frühe Lieferungen, zumeist spätestens vormittags. Bis dahin mussten Filme entwickelt, Negative parat gelegt und für Hochglanzbroschüren Dias vorbereitet sein. Schwarz-weiß versteht sich, von Farbe war noch lange keine Rede.

Von Fußballspielen waren nur Szenen aus dem „Sechzehner, mit Tormann, Stürmer und Ball“ erwünscht, schmunzelt Bissuti. Wer zu langsam war mit der damals gängigen Leica, hatte Pech. Oder musste einfallsreich sein: Nicht nur einmal wurde der Ball im Nachhinein ins Bild geklebt...

Skirennen mussten Nahaufnahmen zeigen, „wir standen fast in der Piste, bei den Stangen“. Das verlangte andere Objektive, „langes Durchhaltevermögen bei jedem Wetter“ und spezielles Networking. „Wie wir die Bilder nach Wien gebracht haben? Ohne Internet und Sender? Also Bilder entwickeln, zumeist auf irgendeiner Toilette, und dann sofort ab im Plastiksackerl zum Bahnhof. Ich habe Lokführern einen Zehner gegeben, damit sie die Bilder mitnehmen und auf dem Bahnhof in Wien meinem Kollegen übergeben.“

Früher, so Kristian Bissuti, waren alle Kameras langsamer. Das aber einte die Fotografen, die dicht gedrängt hinter dem Tornetz saßen und sich im Kollektiv mit den Errungenschaften plagten. „Näher beim Tor, kurze Optik, oft, aber gezielt abdrücken“, sprudelt es aus ihm heraus. Die Innovation der Spiegelreflexe (Nikon) brachte Verzögerungen durch das Aufklappen des Spiegels.

Einfallsreichtum war immer schon gefragt. „Eine Kollegin hatte bei der Einführung der Sicherheitsnetze im Skisport eine unheimlich tolle Idee. Sie kaufte sich Orangen, ein ganzes Netz. Sie holte die Früchte heraus, hielt sich das orange Netz vor die Linse und drückte ganz entspannt ab“, erzählt Bissuti. Wie oft dieses Bild in Zeitungen abgedruckt worden ist, behielt er für sich. Das ist wohl ein Berufsgeheimnis.

Ganz zu schweigen von der „Nachspielzeit“, die oftmals Stunden verschlang beim Versenden mittels Bildfunksendern, die die Größe eines Esstisches hatten. Oder dem Warten auf eine freie Leitung, die beim Verstärkeramt („Wer kennt denn das heute noch?“) beantragt werden musste.


1988, das erste Farbfoto. Verträge mit Agenturen, etwa United Press International, dem Reuters-Vorgänger, erleichterten ab Mitte der 1970er-Jahre das Geschäft. Die ersten Farbbilder schickte der Wiener trotzdem erst 1988 von den Winterspielen in Calgary. Getrennt in gelben, roten, blauen und schwarzen Rollen wurde übermittelt, mit „Steinzeit-Scannern“ gearbeitet und weiterhin über abbrechende Leitungen geflucht.

Bei den Sommerspielen in Atlanta 1996 nahm die Revolution endgültig ihren Lauf. „Ich hatte die erste Digitalkamera im Einsatz. 200.000 Schilling kostete der Kobel“, sagt Bissuti, „und ausg'lacht haben sie mich. Alle! Zig Blenden, Schärfen und Knöpfe hatte der Apparat.“ Gesendet wurden die Daten via Laptop – „und Handy, ein elendes Unterfangen“. Monate später hatten alle Fotografen umgerüstet, dieser Technik gab es kein Entkommen. Viele Kollegen blieben aber, der Kosten wegen – Kamerapreis ab 6000 Euro, Objektive ab 2000 Euro –, auf der Strecke.

Der Beruf hatte sich schlagartig verändert: Nicht mehr Einzelgänger drückten ab, die Agenturen wuchsen. „Heute siehst du bei Großereignissen Kameras aufgefädelt hinter dem Tor, entlang der Ziellinie. Du musst eigene Wege gehen – weg von der Masse“, plaudert Bissuti aus der Alltagsschule, gegen fade Massenproduktion habe man jedoch keine Chance. Den neuesten Schrei – die geschossenen Bilder werden direkt von der Kamera via Internet binnen Sekunden verschickt – hat er trotzdem mitgemacht.


Verhinderer und Sponsorpickerln. Als der Beruf eines Pressesprechers noch ein Fremdwort war, war der Zugang zu „echten Typen“ leichter. Man traf sich abends im Hotel. Es gab Fotos auf dem Zimmer, zu Hause oder in der Bar – ohne Murren. Stars wie Franz Klammer profitierten – im Gegenzug gab es später Fotos mit Autos oder Sponsoren. Egal ob Beatles, Jean-Paul Belmondo, Prinz Charles, Papst, Jassir Arafat oder Hermann Maier: Vor Bissutis Kamera lachten alle und hielten artig still.

In der Gegenwart aber plagen sich Fotografen oft, entweder mit „PR-Verhinderern oder Sponsorpickerl-hörigen Sportlern“. „Blockierern und Möchtegern-Stars“ hält Bissuti die Entstehungsgeschichte seines bestverkauften Fotos entgegen. Er war 1969 in Prag und er hatte die Idee, den aus der Armee ausgetretenen Emil Zatopek zu fotografieren. Einen Blick ins Telefonbuch und einen Anruf später stand er in einem Hinterhof und traf einen Mann, der sein Auto mit einem Schlauch abspritzte. „Ich fragte nach Zatopek. Er drehte sich um und sagte: ,Guten Tag, das bin ich‘“, erzählt Bissuti. Die Leichtathletik-Ikone erfüllte ihm jeden Motivwunsch. Das Bild vor einem Kleiderschrank, in dem all seine Uniformen hingen, wurde der Hit. „Das Magazin ,Paris Match‘ bezahlte 7500 Schilling. Das war damals ein Vielfaches eines Monatslohns.“

Früher waren Fotografen „Medienmädchen für alles“, sagt der 73-Jährige. Sie waren hautnah an den Akteuren dran. Intime Geheimnisse oder Partys verriet Bissuti trotzdem nie. Das half ihm im Beruf, auch seine Erziehung hätte so einen Tabubruch nie erlaubt. Mit vielen Stars ist er deshalb befreundet, er wird geschätzt, man kann ihm vertrauen – er hat schließlich mit der sterilen, unpersönlichen, anonymen Kamera hinter der Seitenoutlinie nichts zu tun. „Ich bin Fotograf – mit Leib und Seele.“


Wandel der Fotografie. Hoppalas von Kollegen, die auf einer eisigen Piste mitsamt der Ausrüstung, Steigeisen und Halterungen ausrutschten und sich die Schulter brachen, bleiben Sportlegenden. Doch Todesfälle bei Autorennen, die Kollegenschaft stand einst nur auf Strohballen, sind durch große Objektive und sichere Standplätze Vergangenheit. Witz, Wissen, Kontakte und das richtige Equipment sind trotzdem immer noch gefragt.

Der Einstieg als Sportfotograf wird ob des finanziellen Aufwandes schwieriger, der Berufszweig stirbt trotzdem nicht aus. Dennoch, Kristian Bissuti arbeitet jetzt wieder öfters auf Society-Events. „Warum nicht? Wir müssen alles können. Mittlerweile ist es jedem egal, wie viele Stunden du im Regen oder bei minus 20 Grad auf der Piste gestanden bist. Jeder will nur das Bild. Schnell, scharf und günstig. Am Ende gewinnt immer das beste Bild.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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