Olympia 2020: Problematischer Favoritensieg

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Tokio darf nach 1964 zum zweiten Mal die Olympischen Spiele veranstalten. Trotz Fukushima.

Unsere Vortragenden sind immer besser vorbereitet. Diejenigen, die unsere Proben angesehen haben, fanden unsere Vorstellung fast schon perfekt“, prahlte Naoki Inose am Samstagnachmittag, kurz bevor er und seine Kollegen die finale, 45-minütige Vorstellung geben würden. Raum für unbedarfte Äußerungen blieb also nicht mehr. In der Tat konnte es selbst der Tokioter Gouverneur Inose nicht mehr vermasseln. Nach einer viel gelobten Präsentation, angeführt von der kaiserlichen Prinzessin Hisako, konnte sich Tokio im zweiten Wahlgang mit 60 zu 36 Stimmen gegen den Mitbewerber Istanbul durchsetzen. Zuvor war Madrid ausgeschieden. Die Olympischen Spiele 2020 werden damit zum zweiten Mal nach 1964 in der japanischen Hauptstadt stattfinden.

Wie sicher ist Tokio?

Zwar war Tokio schon unter den Buchmachern Favorit gewesen. Auch mehrere mathematische Indizes, die auf dem Stimmverhalten vergangener Spielevergaben und Eigenschaften entsprechender Bewerbungen beruhen, hatte die Stadt angeführt. Als sich aber Mitte Juli herausstellte, dass in den seit März 2011 havarierten Atomreaktoren in Fukushima täglich rund 300 Tonnen radioaktives Wasser auslaufen, stand die Bewerbung auf wackligen Beinen. Fukushima liegt rund 200 Kilometer nordöstlich von Tokio, wie sicher ist Japans Hauptstadt also noch? Immerhin hat sich Tokio gegenüber Istanbul und Madrid, die jeweils entweder mit politischen und sportpolitischen Skandalen oder wirtschaftlichen Problemen kämpfen, als die sichere Option präsentiert. Bei der IOC-Sitzung in Buenos Aires betonten die japanischen Vertreter erneut, dass es mit ihnen keine Bedenken geben könne. Nicht nur die Finanzierung der Spiele sei gesichert, extrem kurze Wege zwischen den Wettkampfstätten garantiert, ein Gros der nötigen Infrastruktur schon vorhanden und auch an die Umwelt sei gedacht.

Insbesondere müsse sich die Welt nicht um Radioaktivität sorgen. „Das verseuchte Wasser begrenzt sich auf den Bereich vor Fukushima“, sagte der japanische Premierminister Shinzo Abe. „Japans Sicherheitsstandards für Wasser und Nahrungsmittel gehören zu den höchsten der Welt.“ Und zuletzt versprach Abe: „Ich bin für die Sicherheit der Jugend in Fukushima genauso verantwortlich wie für die der Athleten im Jahr 2020, und ich werde dieser Verantwortung nachkommen.“ Er bürgt also persönlich für die Sicherheit dieser Spiele.

Mitbewerber diffamiert

Dies waren zweifellos die richtigen Worte, die Japans Premier wählte, und sie waren nicht zu unterschätzen. Von offizieller Seite hatte es zuletzt nicht nur in Bezug auf Fukushima bedenkliche Meldungen gegeben. Ein Thema, das Tokios Bewerbungskomitee immerzu betonte, war etwa die Weltoffenheit der Stadt. „Tokio ist eine der weltoffensten Städte der Welt“, sagte der Bewerbungschef und Vorsitzende des japanischen Olympischen Komitees, Tsunekazu Takeda, wiederholt. Ein Statement, das gerade vorm Hintergrund der letzten Monate wie eine Farce anmutet.

Im April hat Tokios Gouverneur Inose in einem Interview mit der „New York Times“ den Mitbewerber Istanbul diffamiert. Die Stadt sei unterentwickelt und als Austragungsort ungeeignet, auch weil dort noch zu viel Infrastruktur fehle. Über muslimische Länder generell sagte Inose: „Das Einzige, was sie gemein haben, ist Allah, dass sie sich gegenseitig bekriegen und (soziale) Klassen haben.“ Erst nach internationaler Kritik bat Inose um Entschuldigung für sein lockeres Mundwerk.

Wie ernst er sein Bedauern meinte, ist ungewiss. Immerhin wurde Inose Ende vergangenen Jahres vom rechtsnationalen Shintaro Ishihara als sein Nachfolger installiert. Ishihara machte in seiner Amtszeit pauschal Ausländer für Kriminalität in Tokio verantwortlich und verharmlost immerzu Japans Rolle im Zweiten Weltkrieg. Tokios Bürger wählten Ishihara mehrmals zu ihrem Gouverneur, Inose ist dessen langjähriger Weggefährte. Auch landesweit kann sich Japan nicht mit Ausländerfreundlichkeit rühmen. Die Hürden für Einwanderung sind hoch, nur rund zwei Prozent der Einwohner sind Ausländer. Flüchtlinge werden fast nie akzeptiert. 2011 baten 1867 Menschen um Asyl, 21 wurden angenommen.

„Die Welt willkommen heißen“

Dass Tokio die Spiele trotzdem veranstalten darf, ist einerseits auch der großen Unterstützung der Bevölkerung zu verdanken. Eine Umfrage letzte Woche ergab, dass 92 Prozent der Japaner die Bewerbung Tokios und damit die Idee, die Welt willkommen zu heißen, befürworten. Womöglich ist es aber auch ein Verdienst des japanischen olympischen Komitees, das entschieden gegen das Problem des Dopings vorgehen will. Die Türkei wurde gerade von einem Dopingskandal eingeholt, Spanien hat nach mehreren positiven Fällen auch nicht den besten Ruf auf diesem Gebiet. „Tokyo 2020“ betonte den Kampf um die Integrität des Sports.

So konnte Japan auch von ein paar eigenen Sportskandalen ablenken. Im Januar hatte sich etwa herausgestellt, dass ein Trainer der Judo-Damen-Nationalmannschaft seine Athletinnen mit einem Bambusstock malträtiert hatte. Nach dessen Rücktritt kam ans Licht, dass andere Trainer Steuergelder veruntreut hatten und eine Judoka sexuell missbraucht worden war. Im Baseball, dem beliebtesten Sport Japans, musste sich zuletzt die Profiliga für Betrug entschuldigen, weil sie heimlich ihre Bälle verändert hatte, um mehr Homeruns zu ermöglichen. Der Traditionssport Sumo-Ringen machte in den letzten Jahren immer wieder Negativschlagzeilen durch Korruption und Gewalt. Auch in Japan ist Sport nicht immer sauber.

Daten und Fakten

Tokio: Die Ausrichterstadt hat 13 Millionen Einwohner, dazu kommt die Metropolregion mit 36 Millionen. 70 Prozent der Einwohner Tokios befürworten Spiele in ihrer Stadt, 67 Prozent im Land.
85 Prozent der Wettkampfstätten liegen in einem Radius von acht Kilometern um das olympische Dorf. Finanzen: Der Organisationsetat ist mit 2,58 Mrd. Euro angesetzt, gedeckt durch den IOC-Zuschuss und die Eigenvermarktung der Spiele. Der staatliche Investitionsetat wird mit 4,38 Milliarden Dollar angegeben. Reservefonds: 4,5 Milliarden Dollar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2013)

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