Die Angst des Fußballspielers vor dem Outing

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In der Kunstszene geht man offen damit um, in der Politik ist es auch längst kein Skandal mehr - doch im Sport, vor allem im Fußball, gilt das Bekenntnis zur Homosexualität nach wie vor als ein Tabu. Warum eigentlich?

Es war eine Meldung, die große Wellen schlug. Denn das, was Thomas Hitzlsperger vergangene Woche sagte, hat immer noch etwas von einem Tabubruch: „Ich bin homosexuell.“ Der Schritt, seine gleichgeschlechtlichen Neigungen offen zu kommunizieren, ist nach wie vor kein leichter – auch, wenn die Akzeptanz von Homosexualität in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist, sich viele Vorurteile und Ressentiments in der Gesellschaft deutlich abgeschwächt haben. Doch so manches gesellschaftliche Umfeld scheint nach wie vor ein heterosexuelles Bollwerk zu sein. Thomas Hitzlsperger kommt aus einem solchen.

Der 31-Jährige ist Profifußballer – genau genommen war er einer. Offenbart hat sich der ehemalige Legionär und 52-fache deutsche Teamspieler nämlich erst mit mit einem kleinen Sicherheitsabstand – seine Karriere hat er vor vier Monaten beendet. Hitzlsperger hat den Schritt gewagt, weil er „die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen will“. Dass er das erst nach dem Ende seiner Karriere wagte, liegt wohl auch mit daran, dass gerade das Soziotop Fußball noch gewaltige Probleme mit Homosexualität hat.

Und doch könnte Hitzlspergers Outing eine Initialzündung sein, die ein Bewusstsein dafür schafft, dass die Fußballwelt eben nicht nur eine heterosexuelle ist. So wie es etwa auch Klaus Wowereit im Bereich der Politik machte. Als sich der Berliner Bürgermeister 2001 mit dem legendären Satz „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ outete, war auch das noch ein ungewöhnlicher Schritt. Doch einer mit nachhaltiger Wirkung. Zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen galt fortan nicht mehr zwangsläufig als Hindernis für eine politische Karriere. Zumindest in Deutschland.

In Österreichs politischer Landschaft hat man sich bisher beim Outing eher zurückgehalten. Üblich ist das Bekenntnis zur Homosexualität eigentlich nur in einer Partei: bei den Grünen. Die haben mit den „Grünen andersrum“ sogar eine eigene Arbeitsgruppe für Schwule, Lesben und Transgender-Personen in der Partei gegründet. Aus anderen Parteien sind nur Einzelfälle bekannt. Am prominentesten ist sicherlich die verstorbene SPÖ-Frauenministerin Johanna Dohnal, die sich nach Ende ihrer politischen Karriere outete und sich mit ihrer Lebensgefährtin verpartnerte.

Aus ÖVP und FPÖ sind keine homosexuellen Spitzenpolitiker allgemein bekannt. Die Angst, Nachteile zu erleiden oder in der öffentlichen Betrachtung auf die sexuelle Orientierung reduziert zu werden, mag wohl ein Motiv dafür sein. Was aber nicht zutreffen muss. BZÖ-Politiker Gerald Grosz hat im vergangenen Jahr bekannt gegeben, dass er sich verpartnert hat – was für ihn kein Hindernis war, nach der verlorenen Nationalratswahl zum Parteiobmann aufzusteigen.

Was im Fußball nach wie vor als Tabu gilt und in der Politik erst langsam akzeptiert wurde, ist in der Welt der Künstler und Kreativen schon lang kein großes Problem mehr. Stars wie Elton John oder Freddie Mercury lebten vor, dass man sich für seine sexuelle Orientierung nicht zu verstecken braucht. Im Gegenteil: Man kann sie offensiv nach außen präsentieren. Wobei die Akzeptanz noch zum Teil genrebedingten Schwingungen unterworfen ist. Als sich etwa Rob Halford, Sänger der Heavy-Metal-Band Judas Priest, als schwul outete, sorgte das unter Fans zunächst für Irritation. Schließlich brauchten die Fans einige Zeit, um ihr Bild von Männlichkeit mit dem Outing des „Metal God“ abzustimmen.

Der Fußball hat diese Phase noch vor sich. Nach wie vor passiert es Spielern und Schiedsrichtern regelmäßig, dass sie von Fans als „schwule Sau“ beschimpft werden. Aber allen homophoben Widerständen zum Trotz: Es gibt sie, die Homosexuellen im Fußball, so wie in allen anderen Lebensbereichen auch.

Keine Statistik. Wie groß der Anteil der schwulen Spitzensportler ist, das ist allerdings unklar. Eine repräsentative Statistik gibt es dazu nicht, für keine Sportart, nirgendwo auf der Welt. Die Fallzahl ist zu klein, das Thema zum Verteilen von Fragebögen zu heikel. Wie in anderen männerdominierten Nischen unserer Gesellschaft, in der Kirche oder beim Militär, wird das Thema totgeschwiegen.

Aber man kann allgemeine Zahlen umlegen. Etwa für Deutschland: Fünf bis zehn Prozent homosexuelle Männer, das macht rein rechnerisch 20 bis 50 schwule deutsche Bundesligaspieler. Auch wenn der Anteil kleiner sein mag, weil viele der besonderen Belastung nicht standhalten: Sie sind da. Und anders als hierzulande denkt in Deutschland auch niemand daran, das zu leugnen. Man weiß es von den Coaches, die diese Spieler psychologisch betreuen und auf ein mögliches Coming-out vorbereiten. Sie berichten über ihre Arbeit in der Öffentlichkeit – auch wenn natürlich aus Gründen der Diskretion keine Namen fallen.

Einer dieser Berater ist Marcus Urban. Er war Jugendnationalspieler in der DDR, brach aber seine Karriere ab, als er am Druck seiner versteckt gehaltenen Homosexualität zu zerbrechen drohte. Hitzlspergers Coming-out empfindet er als „verspätetes Weihnachtsgeschenk“: „Im ersten Moment war ich so sprachlos, dass ich mich hinsetzen musste“, erzählte der heute 42-Jährige. Warum aber kommt der Befreiungsschlag so spät? Warum ist es für Fußballer so viel schwieriger, zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen?

Im Sport steht der Körper im Mittelpunkt, im Mannschaftssport Fußball noch dazu der enge Körperkontakt. In der Politik hingegen signalisieren Kleidung und Umgangsformen starke Distanz. Dazu kommt: Anders als Politiker gleichen Fußballer immer mehr Popstars. Die Fans wollen wissen, was sie privat treiben. Und wenn die Privatsphäre ein Geheimnis birgt, den Reiz des Verbotenen, stürzt sich die Meute der Neugierigen umso lustvoller darauf.

Vor allem aber, konstatiert nicht nur Urban, ist die Fußballwelt in weiten Teilen homophob geblieben. Noch bevor ein Nachwuchsspieler in die Pubertät kommt, hört er im Jugendtraining, er soll „kein Weichei“ sein und keine „Schwuchtelpässe“ spielen. Schwul ist also falsch, hat im Fußball demnach nichts verloren. So stark verinnerlicht ist diese Haltung, dass homosexuelle Kicker oft eine verblüffend perfekte Heterofassade errichten, um ihre Karriere nicht aufs Spiel zu setzen (s. Interview rechts). Doch die Lüge macht sie angreifbar, bis hin zur Erpressung. Auch wenn es nicht so weit kommt, ist es ein „Leben ohne Lebensqualität“, erinnert sich Urban: „Man erträgt, steckt Schläge ein, blutet aus.“

Das hat Folgen für den Sport: Schwule Kicker sind nicht voll leistungsfähig. „Die Hälfte der Energie und der Kraft“ gehe damit drauf, unter der Homophobie zu leiden und ihr auszuweichen. Die Sportler fühlen sich in der Mannschaft und bei den Anhängern nicht willkommen und frei. Das macht sie unkonzentriert, sie verletzen sich öfter, werden krank.

Dabei hat der Fußball in den vergangenen Jahrzehnten ein neues, bunteres Antlitz bekommen. Das beginnt bei der Statur der Spieler: Es dominiert nicht mehr der wuchtige Brummer. Kleine, quirlige, drahtige Sportler mischen sich hinein. Das Spiel ist verspielter geworden, flexibler, schneller. Stars inszenieren sich als „Metrosexuelle“: Cristiano Ronaldo rasiert seine Beine glatt, David Beckham legt Wert auf seine gestylte Frisur. Das widerspricht alten Idealen der Männlichkeit. Aber das ist eben nur eine neue, offenere Form von Männlichkeit: Beckham lässt bei allen Stilkapriolen keinen Zweifel, dass er durch und durch hetero ist. Eine neue Offenheit für Homosexuelle im Fußball ist damit nicht verbunden.

Aktive Spieler fürchten deshalb weiterhin die Folgen eines Outings: dass die Anhänger der Gegner sie schmähen und beleidigen, die eigenen Fans ihre Fehler nicht mehr verzeihen, die Mitspieler in der Kabine verunsichert auf Distanz gehen. So etwas will sich niemand antun. Der Engländer Justin Fashanu, der erste Profifußballer, der sich Anfang der 1990er-Jahre outete, endete wenige Jahre später im Suizid – ein abschreckendes Beispiel.


Weitere Outings werden folgen. Hitzlsperger aber war stark genug, sich dem Druck zum Trotz zu bewähren und einfach gut zu spielen. Umso stärker ist das Signal, das von ihm für schwule Fußballer ausgeht. Markus Urban, der schon einige Schiedsrichter und Trainer aus ihrem Versteckspiel „herausgecoacht“ hat, kennt die Reaktionen: „Vor allem junge Menschen weltweit freuen sich über Hitzlspergers Outing. Es wird andere inspirieren, den gleichen Weg zu gehen.“

Er selbst hätte sich als Jugendlicher nicht vorstellen können, dass sich jemals ein deutscher Nationalspieler outet. „Wie sollte ich jetzt nicht denken, dass die nächsten Schritte folgen? Natürlich kommen in den nächsten Wochen und Monaten weitere Coming-outs.“ Darauf freut er sich. „Denn wenn man es weiterdenkt, wird es die Gesellschaft verändern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2014)

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