Sport & Religion: "Gerechtigkeit? Sieger sollten teilen!"

OLYMPIA - Paralympische Spiele 2014
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Johannes Paul Chavanne, 30, ist Österreichs Olympia-Seelsorger. Geld und Medaillen spielen für ihn keine Rolle, er hört zu – und spendet Rat. „Ich helfe den Menschen.“

Wien. Olympia, WM oder ein schlichtes Fußballspiel sind nicht nur für Sportler Neuland, auch für manchen Wegbegleiter. Und Generationenwechsel erfolgen nicht nur auf Sportplätzen, sondern auch in der Seelsorge. Pater Johannes Paul Chavanne trat im September 2013 die Nachfolge von Bernhard Maier an, der seit den Spielen in Sarajewo 1984 als „Olympia-Kaplan“ agiert hatte. Und so fanden in den Bergen rund um Krasnaja Poljana im Rahmen der Winterspiele in Sotschi sonntags auch Messen statt. So konnte er dem Glauben für zwei Wochen eine Heimat geben. Seine Türen stehen auch in Österreich, im Stift Heiligenkreuz oder der Pfarre in Würflach, „jederzeit für jedermann“ offen.

Chavanne, 30, übernahm die Aufgabe als Sportseelsorger, die ihm Erzbischof Franz Lackner ans Herz gelegt hatte, mit Freude. Es verbindet ihn ja viel mit dem Sport. Er war Wiener Landesmeister im Rudern, saß am Riemen eines Doppelvierers und kann Sorgen, Bedürfnisse und Ziele gut nachvollziehen. Und wer in Indien oder Südostasien gearbeitet, Not und Elend, aber auch Freude erlebt hat, dem widerfährt die Gunst, nicht nur zwischen verschiedenen Welten unterscheiden, sondern sie auch richtig einordnen zu können. „Bei Olympia war die Situation klar: Ich begleitete die Sportler, ich stand für Gespräche zu Verfügung. Ich bin für alle da.“ Er gehe auf die Menschen zu, und wenn sie es zulassen, sind es zumeist interessante Unterhaltungen.

„Religion kennt keine Grenzen“

Seelsorge verlange Einfühlsamkeit, Verständnis und Mut, Probleme und Widersprüche an- und auszusprechen. Dass bei Olympia Emotionen oder religiöse Ausdrucksformen wie Beten vom Internationalen Olympischen Komitee untersagt sind, versteht Pater Johannes Paul weiterhin nicht. Der Mensch sei doch öffentlich, vor allem inmitten der Weltöffentlichkeit, die durch Medien und Live-TV eigens geschaffen sei. „Es ist ein fundamentales Recht, Gefühle zu zeigen, sie zu haben, zu teilen.“ Dass Bürokratie eigene Wege geht, ist offenkundig. Der Zisterzienser sagt: „Doch Religion kennt keine Grenzen. Sie ist also nicht zu verbieten.“

Der moderne Sport wird von Gigantismus, Betrug und dem Streben nach Geld geprägt. Chavanne, der im April 2013 zum Priester geweiht worden ist, verfolgt das mit Sorge. Natürlich müsse er für Fairness und Ehrlichkeit plädieren, der Umgang mit und das Begreifen von Erfolg ist aber nicht jedermanns Sache. Das Verlangen nach Macht präge den Alltag, man dürfe jedoch nie vergessen, welche Form von Herzensbildung dahinterstehe. Beten, Rituale, Glaube, Präsenz. „Und geht es denn bei Sportveranstaltungen nicht auch um die Bildung einer Gemeinschaft?“

Ein Verlierer nimmt freilich ganz andere Erinnerungen und Wahrnehmungen mit. Ebenso ein ertappter (Doping-)Betrüger, er sei schließlich mit einem Schlag aus dem hellen, wärmenden Licht der Öffentlichkeit ins dunkle Niemandsland verbannt. Werde er nicht erwischt, müsse er sogar mit der Tatsache weiterleben, betrogen zu haben. Doch nur für Sieger ist, wenn Geschäftssinn, der eigene Charakter und auch die Sponsoren mitspielen, der aus gesellschaftlicher Sicht angenehme Zustand des „Ausgesorgt-Habens“ erreicht. „Gewinnt man Gold und Geld für sich allein oder die Gemeinschaft, das Land, den Verband?“ Johannes Paul wirft eine Gegenfrage ein und bemüht nachhaltig den in Vergessenheit geratenen Begriff des Teilens. „Wer gewinnt, übernimmt damit doch auch eine Vorbildrolle. Wer Geld hat, trägt Verantwortung – aber was macht der Mensch damit? Man sollte es teilen, mit der Gemeinschaft“, sagt er. „Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Das ist nicht Nächstenliebe, sondern Gerechtigkeit.“

Selbst strebt Chavanne in gewisser Weise wohl auch nach Erfolg und Anerkennung. Er ist Mitglied des Heiligenkreuzer-Mönche-Chores. Ihre CD „Chant – Music for Paradise“ hat Platin in England und Deutschland erhalten, Siebenfach-Platin in Österreich und befand sich wochenlang an der Spitze der US-Billboard-Charts. Er weiß, welche Effekte öffentliche Aufmerksamkeit auslösen können. An seinem Wirken ändert es aber nichts. Er verteilt gesegnete Kreuze, spendet Rat, er hört zu. Johannes Paul teilt mit jedem, rund um die Uhr. „Der Mensch muss im Vordergrund stehen. Ein Priester ist immer im Dienst.“

ZUR PERSON

Johannes Paul Chavanne, 30, ist der ÖOC-„Olympia-Kaplan“. Er engagierte sich u. a. für Straßenkinder in Indien, 2006 trat er in das Zisterzienserstift Heiligenkreuz ein. Seit September 2013 ist er auch Kaplan in der Pfarre Würflach. [ Erzdiözese Wien]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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