„Felipão“, der Dirigent der Seleção

Luiz Felipe Scolari
Luiz Felipe Scolari (c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Fotoarena)
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Luiz Felipe Scolari muss Brasilien retten, zum sechsten WM-Titel führen und so die zerrüttete Nation einen. Dafür bat der stolze Teamchef seine Landsleute sogar um Unterstützung.

Rio de Janeiro. Er schlafe gut, sagt der Mann, der sein Land retten muss. Luiz Felipe Scolari soll Brasilien zum WM-Titel führen, seine Landsleute aus der Apathie reißen, die Wirtschaft erwecken und die Wiederwahl der Präsidentin sichern. Er soll die Freude zurückbringen – und die noch immer schmerzende Wunde schließen, die Uruguays Außenstürmer Alcides Ghiggia am 16. Juli 1950 riss, als dessen 2:1 kurz vor Spielende Brasiliens erste Heim-WM mit der Niederlage im Maracanã (siehe Artikel unten) verdarb.

„Felipão“ nennen sie ihn, seitdem er 2002 das Land zum fünften Titel führte. Er gilt als Mann der Tat, der klare Worte spricht, was eher rar ist in Brasilien. Er entschied allein, sortierte Diven wie Kaká, Ronaldinho und Robinho aus und forciert Spieler wie Gustavo, Dante oder Givanildo Vieira de Souza – einen bärtigen Brocken mit dem Spitznamen Hulk.

Als „Big Phil“ Anfang Mai sein Aufgebot um Jungstar Neymar bekannt gab, erntete er kaum Kritik, was durchaus erwähnenswert ist in einem Land, das sich in nationaler Selbstzerfleischung übt. Vor einem Jahr begannen Proteste, die, ausgelöst von einer Fahrpreiserhöhung in São Paulos Verkehrsverbund, die duldsame Mittelklasse während des Confederations-Cups auf die Straße brachten. Doch so sehr die Brasilianer alles hinterfragen, Scolari blieb ruhig auf der Trainerbank sitzen und sah seinen Männern beim Siegen zu.

„Titel – oder zur Hölle fahren“

Seitdem er 2012 als Teamchef zurückkehrte, hat Brasilien vierzehn Spiele absolviert und 13-mal gewonnen. Zuletzt: sieben Spiele, sieben Siege, 25:2-Tore. Viel Platz für Kritik bleibt da nicht. „Scolaris Mannschaft ist ein starkes Kollektiv, das Gegner unter Druck setzen kann“, sagt die einstige Mittelfeld-Legende Zico. „Scolari hat eine Truppe, die losstürmt und frühe Tore sucht. Das kommt gut an.“

Seitdem Brasilien Spanien im ConFed-Finale mit 3:0 aus dem Maracanã geschossen hat, wiederholt Scolari immer wieder: „Wir werden Weltmeister!“ Verbandspräsident José Maria Marin erhöht: „Wenn wir den Titel nicht holen, können wir zur Hölle fahren.“

Das ist – fraglos – das Szenario, vor dem es Brasilien graut. Denn das Land ist auf seiner fulminanten Zeitreise in die globalisierte Gegenwart von den Übeln der Vergangenheit eingeholt worden. Bürokratie, Ineffizienz, Korruption füllen die Tageszeitungen. Manche der teuren Neubauten werden erst Jahre nach dem Fußballfest, wenn überhaupt, eingeweiht. Andere Projekte, etwa der Hochgeschwindigkeitszug zwischen Rio und São Paulo, wurden gestrichen.

Etwa elf Milliarden Dollar (8,2 Mrd. Euro) steckte der Staat in die WM, die mehr kostete als die Turniere in Deutschland und Südafrika zusammen. Selbst an jener Stätte, wo die Seleção am kommenden Donnerstag ihren Triumphzug gegen Kroatien beginnen soll, hämmern, hauen, bohren, schrauben, tackern und teeren noch hunderte Arbeiter der Premiere entgegen. „Die WM ist doch nur für Reiche, für Firmenbürokraten“, sagt einer und beantwortet jene Frage, die auf eine Hauswand an der Avenida Consolação im Herzen der Megalopolis São Paulo projiziert wurde: „Für wen ist die Copa eigentlich?“

Die Intrige der Steuerlast

Ein frühes Aus der Brasilianer wäre fatal, eine Heim-WM ohne Seleção unvorstellbar. Allen, die jetzt an der Macht sind, bleibt nun vor allem eines: das Hoffen auf Scolari. Wenig hilfreich dabei aber ist, dass Scolaris Werbejobs nun die Steuerfahnder in gleich vier Ländern beschäftigen. Er soll in seiner Zeit als portugiesischer Teamchef (2004–2008) Werbegelder auf Konten in Übersee geparkt haben, von sieben Millionen unversteuerten Euro ist da die Rede. Dass diese Geschichte ausgerechnet eine niederländische Zeitung publiziert hat, hält Scolari für keinen Zufall. „Da steckt offensichtlich Bosheit dahinter“, sagte er der Zeitschrift „Época“. „Gut, das ist eine Sache, um die ich mich kümmern muss. Aber ich lasse mir meine Freude nicht nehmen. Wer auch immer da dahintersteckt, wird es nicht schaffen, dass ich meine Arbeit mit der Mannschaft ändere.“

Diese geht seit Montag in die heiße Phase, mit allen 23 Nominierten im Mannschaftsquartier Comary in den Bergen über Rio. „Philipp der Große“ ersuchte sehr höflich die schon fürchterlich nervösen nationalen Berichterstatter um Contenance und bat tatsächlich die Brasilianer, die Seleção zu unterstützen. Das muss man sich einmal vorstellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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