Tischtennis: Plastik statt Zelluloid

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Auf Österreichs Damen und Herren warten bei der Team-EM in Lissabon schwere Gegner, die Diskussionen drehten sich aber vorwiegend um den neuen Ball.

Lissabon/Wien. Die Ära des kleinen weißen oder orangen Zelluloidballs, der weltweit über Tischtennistische gekullert oder munter gehüpft ist, ist vorbei. Nach über 100 Jahren hat der Tischtennis-Weltverband ITTF das leicht entflammbare Material als gesundheitsschädlich eingestuft und durch einen Plastikball ersetzt. Kritische Geister wittern dahinter nur ein millionenschweres Geschäft, das die Industrie fördern soll. An Chinas sportlicher Vormachtstellung ändert sich dabei nichts – das neue Material wird in drei chinesischen Fabriken und auch in Japan produziert.

Die chinesischen Bälle stammen von der Firma Double Happiness, die japanischen von Nittaku. Die Regelung ist jedoch letztlich für alle gleich, sie gilt seit 1. Juli für Spitzensportler und alle internationalen Turniere – also auch bei der diese Woche in Lissabon stattfinden Team-EM.

„Wie in der Nachkriegszeit“

Die Umstellung von Zelluloid auf Plastik verlief in Wahrheit relativ unproblematisch. Zwar wurden allerorts Engpässe bei der Lieferung vermeldet, geübt und gespielt wurde trotzdem. Der Plastikball erlebte seine Feuertaufe im August bei den Tschechien Open in Olmütz, Österreichs Asse waren am Finaltag des World-Tour-Turniers nicht mehr vertreten, der Grund lag für den Verband auf der Hand. „Wir haben zwölf Bälle bekommen, sechs für die Damen, sechs für die Herren“, schimpfte Rudolf Sporrer, Generalsekretär des ÖTTV. Normalerweise übe eine Trainingsgruppe mit 300 bis 600 Bällen. „Das war bei uns wie in der Nachkriegszeit.“

Es gibt also doch einen Unterschied. Die sportlichen Auswirkungen des Polyballs sind bemerkbar. Er fliegt langsamer, berichtete etwa Daniel Habesohn, der mit der Mannschaft in Lissabon auf Deutschland, Gastgeber Portugal und Ungarn treffen wird. „Er hat weniger Spin“, sagt der Doppel-Vize-Europameister. Zuschauern blieben diese Eigenheiten wohl verborgen, als Profi aber musste man sich schon gehörig umstellen. Er sagt: „Der Ball geht schnell vom Schläger weg, verliert aber sofort an Geschwindigkeit. Beim Absprung stoppt er ein bisschen, man muss ihm eigentlich entgegengehen. Auch springt er höher weg. Die Technik ist noch wichtiger geworden. Wir sollten alle besser nicht jammern, sondern einfach nur spielen.“ Ob man damit aber noch Rotationen, also „Fett'n“, beim Service sieht? Geplant ist jedenfalls ein zweifärbiger Ball – wann und ob er zum Einsatz kommt, ist offen.

Es ist die zweite Revolution, die dieser Sportart mit dem Ball widerfährt. Schon einmal wurde das Spielzeug verändert, 2001 wurde der 40-Millimeter-Ball gegen einen zwei Millimeter kleineren ausgetauscht. Das Spiel sollte schneller, spektakulärer, Punkte noch leichter werden und auch damals standen Vertreiber, Firmen, Verbände, Klubs und Spieler vor dem gleichen Problem: Wohin mit den Reserven? Aktuell sind in vielen europäischen Lagerhäusern Tischtennisbälle im Angebot, zwischen zwei und drei Cent pro Stück...

Keine Angst vor der Abwehr

Bei den ÖTTV-Herren hat Nationaltrainer Jarek Kolodziejczyk neben Habesohn und Roland Gardos noch Stefan Fegerl und Chen Weixing nominiert. Der mittlerweile 42-Jährige hat in der erstarkten polnischen Liga eine neue sportliche Bleibe gefunden. In Schwechat wird aber auch gemunkelt, er sei SVS zu teuer geworden. Teamchef Kolodziejczyk sagt: „Als Verteidiger könnten ihm die neuen Bälle stärkere Probleme bereiten.“ Wie meist vor Großereignissen habe Chen in China trainiert, die anderen drei des Teams jedenfalls in der Werner-Schlager-Academy (WSA).

Falls der neue Ball weiterhin dem Abwehrspiel nicht bekommt, wäre das für Liu Jia eine gute Nachricht. Früher tat sie sich gegen Verteidigerinnen schwer, „meine Angst ist erledigt“, sagt die 32-Jährige. Ausschlaggebend dafür ist auch die Zusammenarbeit mit Mentaltrainer Fritz Weilharter, finanziert vom Projekt „Rio 2016“. Zusätzliche Zuversicht gibt Liu, dass das Damenteam so ausgeglichen wie noch nie wirkt. „Wir hatten noch nie so eine starke Mannschaft. Früher haben wir oft quasi nur zu zweit gespielt, jetzt haben wir vier starke Spielerinnen.“ Sofia Polcanova (Nr. 31 der Welt), Liu, Amelie Solja und Li Qiangbing treffen auf Deutschland, Türkei und Frankreich. Da nur zwei Teams aus jeder Gruppe aufsteigen, bleiben viele Medaillenanwärter auf jeden Fall frühzeitig auf der Strecke. (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2014)

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