Schach: Teenager, der nicht Computer spielt

(c) AP (Monika Flückinger)
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Für Magnus Carlsen, der bereits als 17-Jähriger als „Genie“ und „Wunderkind“ gilt, wäre Viswanathan Anand ein wahrer Champion. Schließlich hat er mit dem Inder trainiert.

OSLO/BONN/WIEN. Schachweltmeister Viswanathan Anand musste seine WM-Party aufschieben. In der zehnten Partie des WM-Duells in Bonn unterlag der 38-jährige Inder Herausforderer Wladimir Kramnik aus Russland nach 29 Zügen. Kramnik verkürzte mit seinem ersten Sieg im Gesamtklassement auf 4,0:6,0. Zum Sieg benötigt Anand allerdings nur noch einen halben Punkt aus zwei Spielen. Und während heute das elfte über das Schachbrett läuft, drückt ein Teenager Anand die Daumen: Norwegens 17-jähriges Schachgenie Magnus Carlsen.

Carlsen gilt als „Wunderkind“ des Denksports, als Weltmeister der Zukunft. Er analysierte mit Anand, seinem Klubkollegen beim deutschen Schachverein OSC Baden-Baden, Kramniks Spielweise. „Für mich ist Anand ein wahrer Champion“, erklärt Carlsen der „Presse“, „das hat er schon mit dem Sieg 2007 bewiesen. Ja, wir haben miteinander gearbeitet. Aber Details gebe ich nicht preis.“

Während Jugendliche verstärkt auf Computerspiele schwören oder TV-Serien verschlingen, hat Magnus Carlsen für diese Form der Freizeitbeschäftigung nichts übrig. Er spielt lieber Schach. Im Alter von fünf Jahren zeigte ihm Vater Henrik die ersten Züge, „doch in Wahrheit interessierte ich mich erst als Achtjähriger dafür. Meine ältere Schwester spielte auch – sie wollte ich unbedingt besiegen.“ Aus dem Familienduell wuchs seine Leidenschaft, begleitet von dem Aspekt, dass er bei Turnieren schnell durch sein ausgezeichnetes Gedächtnis auffiel. Es folgten Siege und Titel bei Meisterschaften, 2004 krönte er sich bereits zum Großmeister. Im Schach ist das ein Adelsprädikat.

Heute ist der Norweger ein gefragter, vermutlich bereits gemachter Mann. Der Siebzehnjährige ist 200 Tage pro Jahr im Turniereinsatz, und nach dem Abschluss der Sportschule „strebe ich eine Vollzeitbeschäftigung im Schach an“, sagt Carlsen. Aus seinen Worten wird deutlich, dass er seine „Bestimmung“ erkannt hat. Trotzdem ist er kein „Freak“, sondern liebt es, auch Zeit mit Freunden zu verbringen. Selbst ein Genie braucht „Ablenkung“.

Auf Bobby Fischers Spuren

Dass er zumeist bei wichtigen, topdotierten Turnieren (bei der WM warten etwa 1,5 Mio. € auf beide Spieler) der Jüngste ist, stört Magnus Carlsen überhaupt nicht. „Wieso denn?“, fragt er, „Schach verbindet doch alle Menschen. Egal, ob Mann, Frau, wie alt sie sind oder welche Religion sie haben.“ Dass er oft unterschätzt wird, komme ihm entgegen, diese „Außenseiterrolle“ liege ihm sogar, verrät er. Obgleich mittlerweile jeder in der Szene weiß, wer ihm da in Wahrheit gegenübersitzt ...

Die Magie des Schachs findet er in der Schönheit des Spiels, seine Zügen, Motiven und Stellungen. „In Wahrheit aber geht es mir immer nur um eines: den Sieg!“ Er will es Vorbildern wie Bobby Fischer oder Garri Kasparow gleichtun und selbst die Nummer eins der Welt werden. Vergleiche mit beiden Größen aber lehnt das „Wunderkind“ definitiv ab. „Sowohl Fischer als auch Kasparow waren wirklich außergewöhnlich.“ Das ist Magnus Carlsen auch – und er hat allen Kontrahenten der Gegenwart gegenüber einen großen Vorteil: Die Zeit ist auf seiner Seite.

AUF EINEN BLICK

Magnus Øen Carlsenwurde am
30. November 1990 in Tønsberg geboren. Er ist ein norwegischer Schachspieler und Großmeister.

Im September war der Teenager kurz die Nr. 1 der Welt, aktuell ist er Vierter im Fide-Ranking.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2008)

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