Handball: »Ihr habt vieles richtig gemacht«

GERMANY EHF EURO 2016 QUALIFIER
GERMANY EHF EURO 2016 QUALIFIER(c) APA/EPA/Bernd Thissen (Bernd Thissen)
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Deutschlands Handballteamchef Dagur Sigurdsson, früher Trainer der Österreicher, spricht über das Nachbarschaftsduell in der EM-Qualifikation und isländische Begeisterung.

Ihr Pflichtspieldebüt als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft ist geglückt, Finnland wurde zum Auftakt der EM-Qualifikation 30:18 besiegt. Ihre Erkenntnisse?

Dagur Sigurdsson: Ich habe zwei unterschiedliche Halbzeiten gesehen. Die Mannschaft hat das Spiel früh kontrolliert, zur Pause 19:8 geführt, dann aber den Fuß vom Gas genommen. In der zweiten Halbzeit hat die Konzentration meiner Spieler nachgelassen. Das muss gegen Österreich besser werden.

Gibt es beim Duell zwischen Österreich und Deutschland einen Favoriten?

Nein, für mich ist das ein 50:50-Spiel. Die Teams begegnen einander auf Augenhöhe. Wir müssen richtig gut spielen, wenn wir aus Österreich etwas mitnehmen wollen. Druck haben beide Mannschaften, wir wollen alle zur EM.

Das Selbstvertrauen der Österreicher könnte nach dem 16:27 in Spanien etwas ramponiert sein. Hat Sie die Deutlichkeit der Niederlage überrascht?

Ja und nein. Spanien ist Weltmeister und in dieser Gruppe auf dem Papier die stärkste Mannschaft. Wenn es beim Gegner nicht so läuft, reißt er schnell einen Zehn-Tore-Rückstand auf.

Welche Emotionen löst das Spiel gegen Österreich in Ihnen aus? Immerhin haben Sie die Mannschaft zweieinhalb Jahre trainiert und zur Heim-EM 2010 geführt.

Ich weiß es selbst noch nicht, was dieses Spiel bewirken wird. Fakt ist, dass ich lange mit dem österreichischen Team zusammengearbeitet und noch viele Freunde dort habe. Und dann kommt noch dazu, dass mein bester Kumpel und früherer Zimmerkollege in der Nationalmannschaft, Patrekur Johannesson, Trainer der Österreicher ist. Das ist schon eine tolle Geschichte.

Tauschen Sie sich vor dem Spiel aus oder herrscht absolute Funkstille?

Pati hat mir schon im Sommer gesagt, dass es besser wäre, wenn ich nicht Trainer der Deutschen werde. Ich habe danach noch sein Gratulations-SMS bekommen, aber seitdem ist es eher still geworden. Wahrscheinlich wird der Kontakt erst wieder mehr, nachdem unsere Mannschaften gegeneinander gespielt haben.

Bei der diesjährigen EM wurde Österreich Elfter, zudem hat man sich für die WM 2015 qualifiziert. Haben Sie eine solche Entwicklung der österreichischen Mannschaft nach Ihrem Abschied im Sommer 2010 erwartet?

Für mich war das keine große Überraschung. Österreich hat in den letzten Jahren sehr viel richtig gemacht, das beweisen die jüngsten Ergebnisse. Es gab fünf, sechs Nationen, die in den vergangenen zehn Jahren den Sport dominiert haben, dazu zähle ich Frankreich, Kroatien, Dänemark und Spanien. Wenn man diese Mannschaften aber ausblendet, herrscht ein großer Konkurrenz-Pulk, zu dem zähle ich Österreich genauso wie Deutschland.

Welchen Ruf hat Österreichs Handball in Deutschland?

Einen absolut guten. Viele der Österreicher sind sogar Fanlieblinge bei ihren Klubs. Das hat mit Conny Wilczynski in Berlin angefangen, mittlerweile nehmen diese Rollen Robert Weber in Magdeburg und Raul Santos bei Gummersbach ein. Und Viktor Szilagyi (Bergischer HC, Anm.) genießt ohnehin einen fantastischen Ruf.

Isländische Trainer wie Sie oder Johannesson sind in ganz Europa gefragt. Ist die Ausbildung auf der Insel denn so hochwertig?

Nein, eigentlich nicht. Die Strukturen in Island sind nicht überragend, aber es gibt diese große Tradition, den Ehrgeiz und die vielen Vorbilder im isländischen Handball. Das ist es, was die Begeisterung für diesen Sport in unserem Heimatland auslöst. Wenn die Nationalmannschaft spielt, schauen zu Spitzenzeiten 80 Prozent der Bevölkerung im Fernsehen zu.


Ist es ein Ziel von Ihnen, irgendwann das isländische Nationalteam zu trainieren?

Nicht unbedingt. Ich hatte schon einmal ein Angebot, habe aber abgelehnt und mich damals für Österreich entschieden. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um isländischer Teamchef zu werden. Vielleicht kommt er ja irgendwann noch.

Ist der Posten des deutschen Teamchefs ein Traumjob?

Ich habe nie von Jobs geträumt, aber dieses Amt ist eine Riesenehre für mich. Letztlich arbeite ich mit einer Handballmannschaft, die ich versuche, Stück für Stück besser zu machen.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Sie der Heilsbringer des deutschen Handballs sein sollen, der alles wieder zurechtrückt. Sehen Sie das ähnlich?

Nein. Der Handballbund hat erkannt, dass der Erfolg nicht von einer einzelnen Person abhängig ist. Wir müssen zusammenarbeiten, Vereine und Nationalteam müssen kooperieren. Einfach alle müssen mit an Bord sein. Unser aller Ziel ist es, 2019 oder 2020 wieder ganz oben zu stehen. Dafür sind zuerst aber viele kleine Schritte notwendig.

Sie arbeiten noch bis Saisonende in Doppelfunktion auch als Klubtrainer in Berlin, von deutschen Medien wurde dies durchaus kritisch beurteilt. Dabei wissen Sie mit einer solchen Situation doch umzugehen, schon als österreichischer Teamchef und Berlin-Trainer hat es funktioniert.

Genau das war auch ein riesiger Faktor für mich, warum ich diese Doppelfunktion auch in Deutschland nochmals ausübe. Diese sieben Monaten werden, glaube ich, alle überleben.

Wegweisendes Duell

Nach der Auftaktniederlage in Spanien trifft Österreich am Sonntag (18 Uhr, live in ORF Sport plus) in der Wiener Albert-Schultz-Halle auf Deutschland. Das Spiel ist von besonderer Wichtigkeit, qualifizieren sich doch nur der Erste und Zweite jeder Vierergruppe sowie der beste Drittplatzierte der sieben Gruppen für die EM 2016 in Polen.

Das nächste Qualifikationsspiel findet am 29.April in Finnland statt. Drei Tage später empfängt man die Skandinavier.

Steckbrief

Dagur Sigurdssonwurde am 3. April 1973 in Reykjavík, Island, geboren.

Von Februar 2008 bis Juli 2010 trainierte Sigurdsson die österreichische Nationalmannschaft und führte sie bei der Heim-EM zu Platz neun. Danach konzentrierte er sich ausschließlich auf sein Engagement bei seinem Klub Füchse Berlin, mit dem er 2014 den DHB-Pokal gewann.
Seit August arbeitet Sigurdsson als deutscher Teamchef und Berlin-Trainer für die restliche Saison in Doppelfunktion.

Sebastian Kahnert/dpa/ picturedesk.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

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