Schach: Magnus, mehr Kampfmaschine als Mozart

RUSSIA CHESS WORLD CHAMPIONSHIP
RUSSIA CHESS WORLD CHAMPIONSHIPAPA/EPA/YEVGENY REUTOV
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Porträt. Der 23-jährige Norweger Magnus Carlsen krönte sich in Sotschi erneut zum Schachweltmeister. Er ist anders als die anderen. Und in seiner Heimat längst ein Superstar.

Manche vergleichen ihn mit einer Riesenschlange. Weil er die Gegner erdrückt, ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Und auch diesmal stand er am Ende als großer Sieger da. Er hat den Titel erfolgreich verteidigt, er ist im Schach das Maß aller Dinge. Und das mit 23 Jahren. Magnus Carlsen ist und bleibt Weltmeister, in der elften Partie in Sotschi zwang er seinen Herausforderer Viswanathan Anand nach vier Stunden Spielzeit zur Aufgabe. Die Entscheidung war gefallen. Vorzeitig. Anand hatte noch einmal versucht, seinen Rückstand wettzumachen, er wollte zumindest ins Stechen kommen. Aber Magnus Carlsen hat die Übersicht nicht verloren. Nach 45 Zügen war Anand am Ende. Er gratulierte dem Norweger zum Sieg und die Weltmeisterschaft war beendet. Die zwölfte Partie wurde nicht mehr ausgetragen.

„Masterly Magnus“, schrieb das norwegische Blatt „Dagblader“, sogar Jan-Age Fjörtoft, der ehemalige Rapid- und England-Legionär, mittlerweile gefragter Fußballexperte, war vor Freude außer sich. Aber Magnus Carlsen ist nicht nur in seiner Heimat ein großer Held, er hat Fans auf der ganzen Welt. In Norwegen wurde jede WM-Partie live übertragen. Von der WM-Börse (1,5 Millionen Dollar) kassiert Carlsen 60 Prozent. Mit dabei waren an die drei Dutzend norwegische Reporter.
Magnus Carlsen lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Er ist anders als die anderen. Seine Eigenarten am Brett sind legendär. Die Wochen vor der WM gestaltete er geheimnisvoll, er mied die Presse, er kommunizierte nur via Facebook und Twitter. Das Bild, das ihn vor einer Bergwand zeigte, machte die Runde. Auf dem Kopf trug er einen Hut, der Donald Duck abbildete. In einer Hand präsentiert Magnus Carlsen ein Mickey-Mouse-Heft. Einen spielfreien Tag in Sotschi hat der Norweger dann dafür genützt, um hinter seinem Hotel eine Runde Basketball zu spielen.

Vor einem Jahr hat Magnus Carlsen Anand mit 6,5:3,5 Punkten deklassiert. Manche behaupten, es war der langweiligste Titelkampf seit 20 Jahren. Diesmal endete das Spektakel mit 6,5:4,5. Ein einseitiges Duell? Diesmal nicht ganz. Und in Norwegen ist das große Carlsen-Fieber ausgebrochen. Das hat sogar dazu geführt, dass der Bürgermeister von Oslo die städtischen Angestellten zu mehr Disziplin gemahnt hat. „Ab 13 Uhr sind die Menschen nur von der Arbeit abgehalten worden.“ Ob das alles Schach-Freaks waren, muss bezweifelt werden. Es ging in erster Linie um Magnus Carlsen.

Er lümmelt am Brett wie eh und je, seine Designersakkos sind zerknittert, Großmeister sehen meist ein wenig anders aus. Ihm ist das einerlei. Er war einer, der früher als Einziger seine eigne Verpflegung zu Turnieren mitgebracht hat, er packte Säfte und Nüsse aus. Aber es ging ihm immer nur darum, seine Gegner möglichst früh aus ihrer Vorbereitung zu bringen. Und ihnen die Stellungen aufzwingen, die ihnen nicht liegen. Auch seine Art von Humor ist eigen, er kann ganze Monty-Python-Sketche in- und auswendig.

Der Norweger ist kein Weltstar, wie es einst Bobby Fischer oder Garri Kasparow war. Er hat sich noch immer keine Wohnung in New York oder London genommen, er fährt daheim mit dem Autobus – wenn ihn nicht sein Vater mitnimmt. Er ist ein Sportnarr, er war bei der Fußball-WM in Brasilien, er ist zur Tour de France gereist, er spielt Golf, Beachvolleyball, Tennis, Fußball und Basketball. Und er fährt leidenschaftlich gern Ski. Das alles, um für die nächste Schachpartie hellwach zu sein. Vor allem mental. Wenn es sein muss, dann kann es schon einmal vorkommen, dass er in der Nacht am Computer Poker spielt.

Carlsen war mit 13 schon Großmeister, mit 17 gewann er sein erstes bedeutendes Turnier, mit 19 übernahm er den ersten Platz der Weltrangliste. Mit nicht einmal 23 holte er seinen ersten WM-Titel. Großmeister Lubomir Kavalek hat ihn als „Mozart des Schachs“ bezeichnet. Aber Magnus Carlsen ist auch eine Kampfmaschine.

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