Wien-Marathon: „Wer gehen kann, kann auch laufen“

VIENNA CITY MARATHON, T-SHIRT-SPENDE ´WIR SIND EUROPA´: FISCHER / KONRAD
VIENNA CITY MARATHON, T-SHIRT-SPENDE ´WIR SIND EUROPA´: FISCHER / KONRAD(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Veranstalter Wolfgang Konrad ist davon überzeugt, dass jeder Österreicher zumindest einen Kilometer laufen kann, prangert aber Österreichs inexistente Sportlobby an. Er sieht weiterhin einen Laufboom, aber keinen Heimsieg.

Die Presse: Jährlich lockt der Wien-Marathon mit Teilnehmerrekorden, Faszination und Stars. Wie nehmen Sie das wahr, ist es für Sie wie am ersten Schultag? Oder ist es die jährliche Neuauflage der Matura?

Wolfgang Konrad: Die jährliche Reifeprüfung gibt es nicht. Man kann bei der Matura durchfallen, dann schafft man es halt beim zweiten Mal. Ich muss aber sagen, dass es ein erhebendes Gefühl ist, wenn alle Planungen und Arbeiten, die man mit seinem Team macht, aufgehen. Wir sehen jedes Jahr ein tolles Rennen, ein Spektakel. Wir bieten etwas an, und die Leute akzeptieren es weltweit.

Ist der Wien-Marathon ein Sportereignis oder ein Event?

Haben Sie mich tatsächlich gefragt, ob es ein Event oder ein Sportereignis ist? In der heutigen Zeit kann man das doch gar nicht mehr trennen! Wenn man das nicht miteinander verbindet, hat man schon vor dem Startschuss verloren.

Österreicher schauen sehr gerne Fußball, sie lieben Skifahren – aber einmal im Jahr hat man auch den Eindruck, als wären wir alle Marathonläufer...

...Sie haben es richtig erkannt: Wir schauen Fußball, wir schauen Skirennen, aber wir gehen laufen. Wir sind die größte Bewegungsinitiative Österreichs, bei uns sind über 42.000 Menschen auf der Straße unterwegs. Jeder kann mitlaufen, nicht nur 22 Fußballer oder 50 Skirennfahrer. Wir bringen die Menschen zum Laufen! In Österreich gibt es vier, fünf große Skirennen. Kitzbühel, Schladming, Semmering. Es gibt jede Woche Fußball, und ja, es gibt in Österreich nur einen Marathon von Weltformat. Da ist freilich die Begeisterung umso größer, das Aufsehen enorm. Weltweit gibt es aber über dreitausend Marathonrennen; und wie viele Skirennen?

Warum läuft man Marathon? Gibt es diese Form des Verlangens nach Qual? Welchen Reiz verkörpert die Ziellinie?

Der Mensch strebt immer nach Höherem. Er flog zum Mond und will nun zum Mars. Er will den Meeresgrund erforschen, er will auf den höchsten Berg – und manch einer sagt, dass er den Mythos eines Marathons erleben will. Den kann sich jeder leisten. Das ist das Ziel, das sich der kleine Mann stecken kann. Er kann nicht jedes Jahr auf den Mount Everest steigen oder zum Mond fliegen...

Aber schaffen denn so viele Österreicher überhaupt die Distanz von 42,195 Kilometern? In einer Ö3-Sendung sagten Sie, manche packen keine 1000 Meter.

Moment, tausende Österreicher laufen Marathon. Den Kilometer schaffen die meisten. Aber nicht in diesem Tempo, wie es für die Ö3-Challenge notwendig ist. Da müssten sie den Kilometer in drei Minuten laufen, das ist hart. Wer gehen kann, kann auch laufen, wenn er gesund ist.

Ist der Laufboom in Österreich nicht eine alljährliche Fata Morgana kurz vor dem Marathon. Training ohne Ball ist für viele Kinder noch eine Strafe.

Nein, das glaube ich definitiv nicht. Kinder laufen beim Fangenspiel bis zu sechs Kilometer. Laufen ist längst gesellschaftsfähig geworden. Heutzutage ist es etwas vollkommen Normales, laufen zu gehen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, wer nicht manchmal läuft, dem fehlt es an Zeitgeist. Eine Million Österreicher laufen regelmäßig, mindestens einmal pro Woche.

Wie bewegt sich denn Ihrer Meinung nach der Österreicher?

Sie brauchen da nur den Sportartikelhandel zu fragen. Laufschuhe, Wanderschuhe und Fahrräder sind die klaren Umsatzstützen.

Die tägliche Turnstunde ist ein Reizthema, als Gesetz beschlossen, aber...

...wenn Sie auf unserer Homepage vienna-marathon.com nachschauen, finden Sie eine Rubrik namens Gesundheit. Klicken Sie drauf! Da ist eine Initiative, die heißt: ,Move your kids‘. Die gibt es seit 2012. Der Politik ist damals nichts Besseres eingefallen, als nach der täglichen Turnstunde zu rufen, also die Verantwortung auf die Lehrer abzuwälzen. Wir haben uns gedacht, dass wir die Eltern motivieren müssen mit ihren Kindern Sport zu betreiben. Es ist eine einfache Initiative, über 10.000 Familien haben sich bereits eingetragen. Das ist unsere Errungenschaft – ohne einen einzigen Euro, den der Staat dafür aufbringen musste.

Wenn Sie das Thema Geld ins Spiel bringen: Der Sport wurde in der Steuerreform „übersehen“. Jede Veranstaltung ist mit 20 Prozent besteuert, in der Kultur sind es 13Prozent. Ist das fair?

Meiner Meinung nach ist das eine absolute Diskriminierung. Wir haben schon vor Jahren die steuerliche Absetzbarkeit von Sportartikeln gefordert. Ich will keinen Krieg mit der Kultur entfachen, Österreichs Sport fehlt die entsprechende Lobby. Ich finde es schade. Eines der größten Probleme, die ich sehe, ist, dass Österreichs Sportpolitik keine Sportvision hat. Wohin geht's, was will man, mit wem?

Jeder Marathon ist geprägt von der Zahl seiner Teilnehmer, der Siegerzeit. In Wien steht sie seit 2014 dank des Äthiopiers Getu Feleke bei 2:05:41 Stunden. Ist das das Ende der Fahnenstange?

Als zu meiner aktiven Zeit der Portugiese Carlos Lopes Weltrekord (2:07:12; 1985 Rotterdam) gelaufen ist, hatte ich mir gedacht, der Rekord steht für die Ewigkeit. Und jetzt, 30 Jahre später? Wir stehen bei 2:02:57-Stunden (Dennis Kipruto Kimetto; Kenia, 2014 Berlin), und selbst diese Zeit wird nicht ewig halten, weil die Ostafrikaner das wirklich schnelle Laufen erst vor 25 Jahren entdeckt haben. Daher bin ich mir sicher, dass Wien irgendwann eine noch bessere Siegerzeit auf seiner Visitenkarte wird stehen haben.

Wird das Rennen je wieder einen österreichischen Sieger sehen?

Das ist eine Frage der Herangehensweise. Wenn wir einen österreichischen Sieger oder eine Siegerin sehen wollen, laden wir einfach keine internationalen Topstars mehr ein. Nur wie würden dann die Medien über das Rennen berichten? Fehlt uns die Medienberichterstattung, bleiben Sponsoren aus, und die Spirale nach unten wäre programmiert. Und einen heimischen Marathonläufer mit internationalem Format, den sehe ich weit und breit nicht.

Was sind die schönsten Erinnerungen in Ihrer Zeit als „Mister Wien-Marathon“?

Ich erinnere mich immer an die Highlights. Über die negativen Dinge spreche ich nicht.

ZUR PERSON

Wolfgang Konrad (*22. Dezember 1958 in Landeck, Tirol) ist ehemaliger Mittel- und Langstreckenläufer und seit 1989 Veranstalter des Vienna City Marathon.

Der Tiroler, einst betreut von Hubert Millonig, wurde 13 Mal Meister (6 x 3000 Meter Hindernis, 4 x Crosslauf, Staffel, 1500 Meter, 3000 Meter Halle).

Er ist verheiratet, Vater zweier Söhne.

Der Wien-Marathon ist Österreichs teilnehmerstärkste Sportveranstaltung und wurde vom Weltverband IAAF mit dem Road Race Gold Label geadelt. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2015)

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