Das Glück ist oft nur einen Schlag entfernt: Zwischen Seilen, Leberhaken und Vorurteilen

Der Boxsport führt in Österreich ein Schattendasein. Das Interesse ist gering, Talente und Sieger sind Mangelware. Melanie Fraunschiel ist aber ein Lichtblick, die Amateurin träumt sogar von Olympia 2016.

Boxen in Österreich? Hans Orsolics, Laszlo Papp und Edip Sekowitsch, diese Namen fallen manch einem schnell ein. Insidern und Zeitzeugen ist freilich Joschi Weidinger ein Begriff, der 1950 vor 40.000 Zuschauern im Praterstadion gekämpft hat. Aber in der Gegenwart? Unvergessen bleibt Harry Geier, der im September 1994 nach nur 17 Sekunden in Wiener Neustadt schon K. o. gegangen ist und all seine WM-Träume begraben musste. Gotthard Hinteregger war Intercontinental-Champion der Weltverbände IBF und WBO, in Österreich nahm kaum einer Notiz davon. Mit Gogi Knežević holte ein ehemaliger Bundesliga-Basketballer zum großen Schlag aus, zuletzt verlor der als Hoffnung gepriesene Marcos Nader in der Olympia-Qualifikation (AIBA) zweimal kläglich gegen Nobodys.

Es ist hierzulande ein unbeachteter Sport. Für Tradition kann man sich nichts kaufen, die Lust sich zu quälen ist ohnehin gering in Österreich. Auf Schmerz, Training sowie Hiebe verzichtet man freiwillig. Nun schickt sich aber eine Dame an, im Ring die nötigen Schläge auszuteilen.

Melanie Fraunschiel, am 9. Mai 30, ist Österreichs aussichtsreichster Beitrag bei internationalen Bewerben – als Amateurin. Die Informatikerin, besser: Qualitätsmanagerin, der Universität Wien trainiert zweimal täglich. Acht- bis neunmal pro Woche steigt sie für den Liesinger Jab Club in den Ring. Angst vor blauen Augen, gebrochener Nase, kaputten Fingernägeln, Rippenschlägen – all das ist ihr fremd.

„Ich habe mich zehn Jahre lang im Kyoku-shin-Karate (Vollkontakt, Anm.)versucht“, erzählt die Veganerin, beim Bundesheer lernte sie aber ihren Trainer kennen und seit 2010 trägt sie nur noch Boxhandschuhe und den für Frauen weiterhin verpflichteten Kopfschutz. Boxen sei einfach „absolut mein Leben“, fügt sie hinzu und hält mit ihrem Traum von den Olympischen Sommerspielen nicht lang hinter dem Berg. Das Leichtgewicht (bis 60 Kilogramm) will sich beweisen, sie zählt stolz 43 Kämpfe auf, von denen sie die Hälfte gewinnen konnte. Zuletzt besiegte sie in einem Vergleichskampf die Deutsche Monika Schwarz nach Punkten, „das gab mir viel Selbstvertrauen“, sagt Fraunschiel.

Bei einem Turnier Anfang Mai in Marcia, Spanien, wird es für sie ernst. Landet sie auch dort ihre Leberhaken, winkt ein Ticket zu den European Games in Baku. Und steht sie dort im Rampenlicht, wäre das Rio-Ticket über den Weltverband gelöst. Aber, nur vier Europäerinnen erreichen diese Spiele.

Der Weg ist weit, doch ihren Traum verfolgt Melanie Fraunschiel konsequent. Zumindest ist die 30-Jährige auch ein Vorbild für viele andere, die sich derzeit im Boxen versuchen wollen und in diverse Klubs oder Center strömen. Die Wienerin lässt sich aber auch nicht von plumpen Klischees oder etwaigen Vorurteilen des womöglich stärkeren Geschlechts irritieren. „Es geschieht ohnehin selten“, erzählt sie, „Männer reagieren eigentlich fast normal, wenn ich ihnen erzähle, dass ich Boxerin bin.“ Auf den ersten Blick erkennt man es nicht, so manche Handbewegung ist aber von schneller Natur.

Neid ist Fraunschiel fremd. Sie betreibt Sport, ist zweifache Staatsmeisterin und ist auch ein Fan. Floyd Mayweather ist freilich auch ihr ein Begriff, seine Millionengage sei geradezu unverschämt. „Ist er glücklich damit?“, fragt die Wienerin. „Ich boxe jedenfalls auch ohne Geld. Mir geht es um den Sport, den Spaß.“ Schnelligkeit, Reaktion, Rhythmus, Beweglichkeit, Strategie und Willen, sie zählt etliche Begriffe auf, sie erfülle alle Kriterien. Dazu betreibt sie PR in eigener Sache, geht arbeiten, hat Ziele, verfolgt einen Traum. Und damit ist man als Boxerin in Österreich schon steinreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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