Radsport: Das Himmelfahrtskommando

ITALY CYCLING GIRO D'ITALIA 2015
ITALY CYCLING GIRO D'ITALIA 2015APA/EPA/CLAUDIO PERI
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Alberto Contador fährt beim Giro auch um sein Vermächtnis: Als erster Radprofi seit Marco Pantani will er das Double schaffen.

Alberto Contador ist keiner, der für den neuen, sauberen Radsport steht. Er ist eine der Altlasten einer schmutzigen Ära. Der Spanier fuhr für etliche zwielichtige Teams und steht im Verdacht, Kunde beim Doping-Arzt Eufemiano Fuentes gewesen zu sein. Von 2010 bis 2012 wurde er wegen eines positiven Tests auf Clenbuterol aus dem Verkehr gezogen. Nichtsdestoweniger ist er einer von nur fünf Fahrern, die mit Giro d'Italia, Tour de France und Vuelta alle drei großen Rundfahrten gewonnen haben. Nun neigt sich die schillernde Karriere des erfolgreichsten aktiven Radprofis dem Ende zu. Der 32-Jährige hat angekündigt, nach der Saison 2016 aufzuhören. Doch davor wagt er das Unmögliche.

„Ich will als jemand in Erinnerung bleiben, der Besonderes geschafft hat, als jemand, der Geschichte geschrieben hat“, sagt Contador. Deswegen geht er derzeit nicht nur auf seinen zweiten Triumph beim Giro d'Italia nach 2008 los – jener 2011 wurde ihm ja wegen Dopings aberkannt –, im Juli will er auch noch die Tour de France gewinnen. Seit dem Italiener Marco Pantani 1998 hat kein Fahrer mehr das Double aus Rosa (Giro) und Gelbem Trikot (Tour) in einem Jahr geholt. Auf welcher Grundlage das der 2004 an einer Überdosis Kokain verstorbene Pantani damals schaffte, ist hinlänglich bekannt. Die Herausforderung hat jedenfalls einen unschönen Beigeschmack: Von den sieben Fahrern, denen das Double gelungen ist, wurde einzig das französische Radsport-Idol Bernard Hinault (1985) nicht des Dopings überführt. Die Frage ist, ob sich Contador innerhalb der 33 Tage, die zwischen Giro und Tour liegen, ausreichend regenerieren kann – und ob das auf saubere Art überhaupt möglich ist.


Der Bademeister. Contador gilt als der beste Rundfahrtspezialist des vergangenen Jahrzehnts. Seinen wahrscheinlich eindrucksvollsten Sieg feierte er beim Giro 2008, als er nach Doping-Verstrickungen seines damaligen Teams erst am letzten Tag die Starterlaubnis erhielt. Contador war zu diesem Zeitpunkt bereits in den Ferien, weshalb man ihn in Italien den Bademeister nannte, der den Giro gewann. Die Idee zum Double kam Contador im Vorjahr. Nachdem er nach einem Sturz bei der Tour de France aufgeben musste, gewann er sechs Wochen später die Vuelta, die letzte der großen drei Rundfahrten. „Das hat mir das Selbstvertrauen gegeben, das Double anzugehen“, sagt Contador.

Ganz freiwillig dürfte Contador sich der Herausforderung aber nicht stellen. Oleg Tinkow, milliardenschwerer russischer Besitzer des Radteams Tinkoff-Saxo und eine der kontroversesten Figuren, die es im Radsport derzeit gibt, setzte seinen Star gehörig unter Druck. „Der zweite Platz für Alberto beim Giro wäre kein großes Resultat“, ließ er verlauten. Ursprünglich wollte Tinkow Contador und dessen größte Gegner Chris Froome, Vincenzo Nibali und Nairo Quintana mit einer Million Dollar dazu bewegen, alle drei großen Rundfahrten zu bestreiten. Die anderen Fahrer gingen nicht darauf ein.

Als Arbeitgeber von Contador kann Tinkow den Spanier zumindest auf das Double ansetzen. Und er ist davon überzeugt, dass es gelingt: „Contador ist der beste Radsportler und einer der am besten bezahlten, gar keine Frage.“ Immerhin bekommt der Superstar in Tinkows Team ein für Radsportverhältnisse rekordverdächtiges Jahresgehalt von vier Millionen Euro.

Contador fühlt sich für die Aufgabe mental wie körperlich gerüstet: „Ich bin mit meiner Vorbereitung im Höhentrainingslager auf Teneriffa sehr zufrieden.“ Er sei in optimaler Form, aber noch nicht in Galaverfassung. „Ich bin nicht auf dem gleichen Level wie bei der Tour im Vorjahr, aber nur geringfügig darunter“, erklärte Contador. Abzuwarten bleibt, ob ihn die Subluxation der linken Schulter beeinträchtigt, die er sich am Donnerstag bei einem Sturz zugezogen hat.

Contador ist jedenfalls der einzige der großen Stars, der heuer in Italien fährt. Mit Ex-Giro-Sieger Ivan Basso und Roman Kreuziger hat er prominente Helfer an seiner Seite. Als härteste Widersacher stellten sich bislang Italiens Hoffnungsträger Fabio Aru und der Australier Richie Porte heraus. Porte hat im Sky-Team ebenfalls hochklassige Helfer zur Verfügung, einer davon ist Bernhard Eisel. Der Steirer rutschte erst auf Bestreben von Porte gerade noch ins Aufgebot. „Plötzlich hat er angerufen und gesagt, er will mich dabeihaben. Ziel ist das Rosa Trikot“, erzählte Eisel vor seiner 17. großen Rundfahrt.

Die 3481 Kilometer und 21 Etappen des 98. Giro führten zunächst von der italienischen Riviera in den Süden bis Kampanien. Nun geht es in der zweiten Woche wieder nordwärts Richtung Dolomiten. In der dritten Woche führt der Kurs nach einem Abstecher ins Tessin zu Contadors Wohnsitz Lugano in die entscheidenden Alpenpassagen. Nach dem einzigen Einzelzeitfahren geht es mit vier Bergankünften in acht Tagen Schlag auf Schlag. Die Entscheidung wird aller Voraussicht nach erst am vorletzten Tag bei der Königsetappe über den Colle delle Finestre (2178 Meter, acht Kilometer auf Schotterstraße) hinauf nach Sestriere fallen.


Ist das Tripel denkbar? Beobachter meinen, nicht körperliche Frische, sondern Erfahrung sei der Schlüssel zu Contadors Vorhaben. Man müsse wissen, wie und wann man seine Energie einsetzt. Contador sieht das ähnlich: „Du musst das Rosa Trikot ja nicht zwei Wochen haben, es reicht wenn du es am Schluss trägst.“ Er hat es sich schon nach der fünften Etappe am Mittwoch als Gesamtführender übergestreift.

Sollte Contador mit dem „Maglia Rosa“ am 31. Mai in Mailand einfahren, wäre der erste Teil des unmöglichen Doubles geschafft. „Wenn du Giro und Tour in einem Jahr gewinnst, erreichst du eine neue Dimension“, glaubt Contador. Und wer weiß, ob er sich nicht im August für einen Start bei der Vuelta entscheidet, wenn auch die Tour de France ein Erfolg gewesen ist. Sein Experiment hält den Radsport jedenfalls in Atem.

der umstrittene

Alberto Contador ist der erfolgreichste aktive Radprofi. Der 32-jährige Spanier hat alle drei großen Rundfahrten (Giro, Tour, Vuelta) gewonnen. 2010 wurde Contador positiv auf Clenbuterol getestet. Er bestreitet bis heute jegliches absichtliche Vergehen. EPA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2015)

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