Hambüchen: „Schmerzen gehören zum Sport dazu“

Turner Fabian Hambüchen
Turner Fabian Hambüchen(c) EPA (Julian Smith)
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Bei den Sommerspielen in Rio 2016 will Turner Fabian Hambüchen nach dem fehlenden Olympiagold greifen. Nächste Woche tritt der Deutsche bei den ersten Europa-Spielen in Baku an.

Sie zählen seit über zehn Jahre zur Weltspitze im Turnen. Kürzlich haben Sie in Thomas Godojs Musikvideo „Süchtig nach Schmerz“ mitgespielt – beschreibt das auch Ihre Karriere?

Fabian Hambüchen: Ich bin nicht süchtig nach Schmerzen, aber sie gehören definitiv zum Leben eines Leistungssportlers dazu. Ohne Schmerzen kommst du nicht durch eine sportliche Karriere. Insofern kann man es schon bis zu einem gewissen Grad auf den Sport umlegen, auch wenn es in dem Lied eigentlich um Liebe geht.

Wie sehr machen sich die vielen Jahre im Spitzensport inzwischen bemerkbar, wenn Sie in der Früh aufwachen?

Rücken, Schultern, Handgelenke und Füße – das zwickt morgens schon mal und muss erst in Schwung kommen. Aber man weiß ja, wofür man alles macht, insofern ist das für mich nichts Negatives.

Und wie ist es um die Motivation für das tägliche Training bestellt?

Sie ist heute noch genauso da wie damals. Der Spaß und die Freude am Sport treiben mich jeden Tag an, wieder in die Halle zu gehen. Aber grundsätzlich denke ich darüber gar nicht wirklich nach: Ich stehe morgens auf und gehe meinem Alltag nach.

Ihr Paradegerät, das Reck, gilt als die Königsdisziplin des Turnens. Was macht für Sie den besonderen Reiz aus?

Am Reck fasziniert mich vor allem dieses Gefühl zu fliegen, in der Luft immer zu wissen, wo man ist, und dennoch eine derartige Koordination zu haben, dass man am Ende eine Punktlandung schafft. Ein unglaubliches Gefühl.

Sie werden seit jeher von Ihrem Vater, Wolfgang, trainiert. Diese Vater-Sohn-Kombination birgt durchaus Konfliktpotenzial. Warum funktioniert es in Ihrem Fall so gut?

Es ist definitiv eine schwierige Konstellation, weil man jede Korrektur auch als persönliche Kritik aufnimmt. Natürlich war und ist es nicht einfach, denn auch wenn ich inzwischen alt genug bin und meinen eigenen Kopf habe, bleibt man für die Eltern doch immer das Kind. Aber wir sind beide super ehrgeizig – von irgendjemandem muss ich das schließlich haben –, ziehen an einem Strang, haben dasselbe Ziel.

Olympiagold in Rio...

...wäre ein Traum. Aber es wird nicht einfach.

Härtester Konkurrent ist wohl Dauerrivale Epke Zonderland, der sich am Reck mit extrem risikoreichen Flugshows zuletzt Gold bei Olympia und zweimal den WM-Titel gesichert hat. Sie haben nach dem Sturz bei der EM im Vorjahr gesagt, Sie müssten Ihren eigenen Weg gehen und vor allem mit sauberer Ausführung punkten. Ist das angesichts des Punktesystems noch ein faires Duell?

Im Regelwerk steht, dass die saubere Ausführung einen hohen Stellenwert hat, insofern ist es auf jeden Fall ein Duell auf Augenhöhe. Aber wir sind natürlich abhängig von den Kampfrichtern, und deren Wertung ist und bleibt subjektiv. Vielleicht ist das größere Risiko spektakulärer und kann den Kampfrichtern schon imponieren. Daher muss man schauen, wie sie reagieren und eventuell zwei Übungen vorbereiten und je nach Situation entscheiden, ob man mehr Risiko auf Kosten der Ausführung eingeht oder nicht.

Gibt es für Sie als Turner überhaupt noch Potenzial zur Steigerung?

Für mich geht es primär um die Erhaltung von dem, was ich gelernt habe. Viel mehr Neues wird da nicht mehr dazukommen. Bis Rio will ich fit sein und alles bereit haben, was ich schon einmal konnte und bei den vergangenen Höhepunkten auch abgeliefert habe. Dann habe ich eine Chance, auch wenn die Konkurrenz hart ist. Generell hat im Turnen eine Entwicklung stattgefunden, bei der wir an einer Grenze angekommen sind, an der ich sage, dass ohnehin nicht mehr viel geht.

Zu den Olympischen Spielen 2008 sind Sie als Weltmeister und Favorit gereist, in Peking haben Sie aber „nur“ Bronze gewonnen. Wie lang hat Sie dieser Auftritt im Nachhinein noch beschäftigt?

Es passiert immer wieder, bis heute, dass ich mir denke: „Da hättest du schon alles fix machen können.“ Aber wir reden von Leistungssport und nicht von einem Wunschkonzert. Im Turnen zählt jede Millisekunde, und man hat nur einen Versuch. Insofern brauche ich dem nicht nachzutrauern. Das Ziel ist jetzt das nächste Jahr.

2012 haben Sie in London Silber gewonnen, nach dem Achillessehnenriss zuvor eine „absolute Genugtuung“. Die Spiele in Rio 2016 sind Ihre letzte Chance auf Olympiagold. Sollten Sie leer ausgehen, würde Ihnen das in der öffentlichen Wahrnehmung wohl als Makel hängen bleiben. Wie gehen Sie persönlich damit um?

Darüber mache ich mir frühstens dann Gedanken, wenn es so weit ist. Grundsätzlich hat man Träume, und manche davon bleiben auch Träume. Ich mache mir jedenfalls keinen unnötigen Druck, dass es in Rio klappen muss. Der Wille und die Motivation sind da, aber ich bin realistisch genug, um zu wissen, dass es nicht einfach wird.

Spätestens seit Ihrem ersten Olympia-Auftritt 2004 standen Sie in der Öffentlichkeit. War das jemals ein Problem für Sie?

Daran gewöhnt man sich relativ schnell. Mit 16, 17 war das aufregend, spannend, neu, und natürlich besteht da auch die Gefahr abzuheben. Aber bei mir war das nie gegeben, denn in der Schule habe ich schnell gemerkt: Hier bist du wie jeder andere, hier bekommst du nichts geschenkt, sondern musst Leistung bringen. In dem Moment bin ich wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen.

Sie turnen schon seit Kindheitstagen. Hatten Sie je das Gefühl etwas zu verpassen?

Für mich hatte Turnen immer höchste Priorität. In unserer Familie wurde das nie anders gehandhabt, denn mein Bruder hat auch geturnt und mein Vater uns trainiert. Neben der Schule gab es nur Turnen, und damit war klar, dass Klassenfahrten oder sonstige Sachen nicht drin sind. Aber die wirklichen Freunde, die ich auch jetzt noch habe, haben das von Anfang an verstanden und hatten nie ein Problem damit.

Wie lang halten Sie es eigentlich ohne Bewegung aus?

Wenn ich ein, zwei Wochen Urlaub habe, dann kann ich auch gar nichts machen und bin trotzdem entspannt.

Können Sie finanziell vom Turnen leben?

Solange ich turne, kann ich davon leben. Aber wir sind keine Fußballer, die Millionen verdienen. Zudem ist es immer abhängig von der Wirtschaftslage, wie viel hereinkommt. Wenn wie 2014 die Fußballer Weltmeister werden, dann wollen weniger Sponsoren andere Sportler unterstützen.

Nach der aktiven Karriere wollen Sie als Trainer arbeiten, deshalb studieren Sie auch Sportwissenschaft. Wie wichtig ist die geistige Ablenkung für Sie?

Es tut gut, neben dem Training und Wettkämpfen etwas für den Kopf zu tun. Außerdem bin ich als Turner in einem Alter, in dem ich überlegen muss, was nach dem Sport kommt, denn ausgesorgt habe ich nicht. Das Studium interessiert mich, insofern passt das perfekt zusammen. Der Übergang zum Trainer soll ein relativ nahtloser werden, deshalb auch der Wechsel nach Stuttgart.

Sie verzichteten auf die EM und treten stattdessen bei den ersten Europa-Spielen in Baku an, die am Freitag eröffnet werden. Was halten Sie von dieser Veranstaltung?

Ich halte sehr viel davon, schließlich hört man auch sehr viel von den Asien-Spielen oder den panamerikanischen Spielen. Deshalb haben wir uns auch für die Teilnahme entschieden. Ich bin gespannt, was uns dort erwartet. Allerdings muss es in Zukunft besser mit dem internationalen Wettkampfkalender abgestimmt werden. Es kann nicht sein, dass in einem Jahr Europa-Spiele und eine EM stattfinden. Dann gibt es noch eine Universiade und die WM – da ein sinnvolles Training aufzubauen ist fast unmöglich.

Aserbaidschan ist in Sachen Demokratie und Menschenrechte nicht unbedingt ein Vorzeigestaat. Wie stehen Sie dazu, dass Großveranstaltungen immer häufiger solchen Ländern zugesprochen werden – Stichwort Olympia 2008 in Peking, Fußball-WM 2022 in Katar?

Wir Sportler konzentrieren uns vorrangig auf den Sport und bekommen auch wenig mit. Es ist schwierig sich als Sportler politisch dazu zu äußern, aber ich hoffe, dass wir durch den Sport ein faires und gerechtes Miteinander demonstrieren und in dieser Hinsicht die Politik in dem jeweiligen Land positiv beeinflussen können.

Deutscher »turnfloh«

Fabian Hambüchen, 27, zählt zu den weltbesten aktiven Turnern. 2007 kürte sich der Deutsche in seiner Paradedisziplin Reck zum Weltmeister. Der mehrfache Europameister gewann zudem bei Olympia Bronze (2008) und Silber (2012). Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio will Hambüchen noch einen Versuch für die ersehnte Goldmedaille wagen.

Die ersten Europa-Spiele finden von 12. bis 28. Juni in Baku statt. Österreich tritt mit 145 Athleten in 18 der 20 Sportarten an, in zwölf winkt die Chance auf die Olympia-Qualifikation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2015)

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