Wasserspringen: Absprung in eine andere Welt

Constantin Blaha will immer hoch hinaus, das Hallendach scheint sein einziges Limit.
Constantin Blaha will immer hoch hinaus, das Hallendach scheint sein einziges Limit.Die Presse
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Constantin Blaha ist Österreichs bester Wasserspringer, gilt als Hoffnung für die WM in Kasan und Olympia 2016 in Rio. Über Artistik, Salti, Schrauben – und schwimmende Zaungäste.

Wasserspringen verlangt allerhöchste Körperbeherrschung, es setzt Beweglichkeit, Kraft und Mut voraus. Von Vorteil ist es, den Begriff der Höhenangst nur aus Erzählungen zu kennen. Salti, Schrauben, beide in mehrfacher Kombination vom Ein-Meter- und vom Drei-Meter-Brett, vorwärts oder rückwärts. Gestreckt, gehockt: All das versteht sich von selbst – es ist eine hohe Kunst. Über diesem Spektakel thront der Turm, zehn Meter hoch. Wagemutige, Angeber oder Könner erklimmen dieses Plateau, von dem der Blick in die Tiefe, der plötzlich doch so furchtbar kleine Pool, eine gehörige Portion Unbehagen freisetzt.

Wer springt, erntet generell Respekt, manchmal auch Applaus. Oder mitunter Mitleid, wenn der Augenblick des Eintauchens (Stichworte: Bauchfleck, Bombe etc.) gehörig Schmerz verheißt. Wer etwa im Stadthallenbad vom Turm den sicheren Abgang über die Stufen wählt, wird von interessiert am Beckenrand sitzenden Teenagern womöglich belächelt. Dieser Hohn ging jedoch angesichts der inneren Erleichterung baden...


5000 Sprünge, 8000 Salti. Wenn Constantin Blaha, 27, Österreichs bester Wasserspringer und aktuell dreifacher Staatsmeister, abhebt, herrscht rundum Bewunderung. Filigran springt der muskulöse Athlet ab, er beherrscht sein Metier. Er dreht sich, sein Körper wirbelt durch die Luft und versinkt schließlich ohne großes Aufsehens respektive aufschäumendes Wasser. Es mutet spielend leicht an, simpel geradezu, doch der eigene Versuch zeigt schnell den Unterschied auf. Koordination, Können und Verlangen stehen nicht in Einklang mit dem, was Blaha vorzeigt. Es wirkt so, als würde man einen großen, schweren Stein von einer Brücke werfen und nur noch auf den Aufprall warten.

„Ich trainiere täglich zweimal“; sagt Blaha, als ihn „Die Presse“ frühmorgens, im für diese Uhrzeit erstaunlich gut besuchten Wiener Stadthallenbad besucht und bei seinem Training beobachtet. „Es sind täglich ca. fünf Stunden, das Ganze fünfmal die Woche. Das läppert sich.“

Der Zeitsoldat, er ist eine der Hoffnungen für die nahende Schwimm-WM in Kasan, und im Fall erbrachter Limits (Finale der Top zwölf) hat er den Quotenplatz für die Sommerspiele in Rio 2016 gewiss, lächelt. Er beginnt während seiner Aufwärmübungen zu rechnen. Im Jahr sind es 1200 Stunden, getrost 5000 Sprünge, 8000 Schrauben und wahrscheinlich noch mehr Salti. „Wahnsinn eigentlich“, sagt der Wiener und demonstriert im gleichen Atemzug, dass seine Aufzählung trotz brütender Hitze in der Schwimmhalle kein leeres Versprechen ist.

Salto vorwärts und rückwärts, mehrmals hintereinander, allesamt aus dem Stand, von einem kleinen Hocker auf eine Matte. Mal mit gestreckten Beinen, mal angezogen. Sit-ups in Serie, dazu Dehnübungen, wie man sie nur aus dem Ballett kennt oder im Kunstturnen zu sehen bekommt. Seine Sprünge wirken makellos und angesichts dessen wird das System der Punktewertung in Kombination mit all den Schwierigkeitsgraden unverständlich. Man müsse sich präsentieren, Sprünge mit hohen Schwierigkeitsgraden forcieren. Wer länger dabei sei, werde von Juroren gekannt. Gibt es deshalb aber bessere Noten?

Im Kindergarten, sagt Blaha, sei er erstmals mit diesem Sport in Berührung gekommen. Der Vater eines Freundes war Trainer, das „hyperaktive Kind“ somit beschäftigt. Als Elfjähriger intensivierte er das Training und fortan verwirklichte sich der Wiener nicht auf, sondern von den Brettern dieser Welt. Er gilt als europäisches Versprechen bei Großereignissen, viereinhalb Salti vorwärts sind seine Spezialität vom Drei-Meter-Brett. „Es gilt als der schwierigste Sprung der Welt, ich habe ihn seit dem Vorjahr drauf!“ Er holt Schwung und nach einem unfassbar hohen, das Brett laut donnern lassenden Absprung zeigt er seine Salti. Einmal mehr makellos. Zeit und Platz für Fehler hat er ohnehin nicht.


Der Traum von Rio. Mancher Badegast, längst durch ein Absperrband vom Sprungbereich getrennt, blickt da trotz beherzter Tempi verwundert auf. „Die andern“ würden ihn nicht mehr stören, sagt Blaha, der in Phoenix (Arizona State University) Business-Communication studierte, beim World Cup dabei war und weiß, welch Luxus in anderen Städten Usus ist. Die Zeit, als er im Stadionbad zwischen schwimmenden Zaungästen Zielspringen musste, ist vorbei...

Schier unermüdlich bis unaufhaltsam spult Blaha nun das Programm ab. Nach jedem Sprung folgt der Blick zum Trainer, man hört leise Anweisungen: „Höher“, „strecken“, „gut.“ Blaha war schon bei Olympia, 2008 in Peking. Für London 2012 hatte er die Qualifikation verpasst. Sollten bei ihm Zweifel an seinem Vorhaben aufkeimen, muss er nur auf die Innenseite des Armes blicken. Die fünf Ringe sind eintätowiert.

Momentan könne er dank Sponsor Ströck, Förderprogrammen wie Sporthilfe und Projekt Rio von seinem Job als Wasserspringer leben. Reich werde man dabei aber nicht, nach der Karriere müsse er einen Beruf finden. Wer weiß, vielleicht führt ihn der Weg, wie so viele Topsportler, zum Cirque du Soleil? Artistik, Können, Geschick und Körperbeherrschung – all das bringt er ja mit. Für das Gros aller anderen Badbesucher bleibt Wasserspringen, dank der Exit-Strategie über die Stufen, weiterhin vollkommen ausgeschlossen.

Steckbrief

1987
wird Constantin Blaha in Wien geboren. Das Wasserspringen lernte er bei SU Wien.

2008
ist er erstmals bei Olympia dabei, er wird in Peking 22. vom Drei-Meter-Brett.

2010
wird er bei der Schwimm-EM Fünfter vom Ein-Meter-Brett.

2015
wird er bei der EM in Rostock Siebenter vom Ein-Meter-Brett, verpasst das Finale über drei Meter – wenig später wird er beim GP von Madrid Zweiter.

Ab 5. August
ist er Österreichs Hoffnung bei der Schwimm-WM in Kasan, Russland. Springt er ins Finale, hat er den Quotenplatz für Rio 2016 sicher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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