Peking wird olympischen Kostenrekord aufstellen

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epaselect MALAYSIA OLYMPICS IOC SESSIONAPA/EPA/FAZRY ISMAIL
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Die Vergabe der Winterspiele 2022 hinterließ beim IOC-Kongress in Kuala Lumpur offene Fragen, das Versagen der Elektronik sowie das Auszählen der Stimmen irritierte.

Am Tag danach gingen die Herrschaften des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ihren Geschäften nach, so, als wäre nichts gewesen. Dabei hatte die ganze Welt über die Besitzer der olympischen Ringe, über den Milliardenkonzern aus Lausanne, gelacht, die es bei der Abstimmung über die Winterspiele 2022 nicht fertigbrachten, die Tablets ihres Sponsors Samsung unfallfrei zu bedienen. Elf von 85 Mitgliedern, die zur Abstimmung zugelassen waren – die drei Chinesen mussten wegen Befangenheit passen, IOC-Präsident Thomas Bach stimmt wie alle Präsidenten vor ihm nicht mit ab –, orderten neue Geräte. Dabei kam einiges durcheinander, was IOC-Propagandachef Mark Adams noch 24 Stunden später nicht überzeugend erklären konnte.

Fakt ist: Es war sehr knapp zwischen Peking, dem großen Favoriten auf diese Winterspiele, und Almaty in Kasachstan. Viel knapper, als es Insider erwartet hatten. Vor ein paar Monaten hatte es noch so ausgesehen, als würde Peking mindestens 75 Prozent der Stimmen erhalten. Und das, obwohl in Chinas Hauptstadt und den bis zu 160 Kilometer entfernten Olympia-Satellitenorten kaum einmal Schnee fällt. Schnee soll für die Spiele 2022 mit gigantischen Anlagen produziert werden, die der wasserarmen nordöstlichen Region und der Bevölkerung große Probleme bereiten. Eine Umweltsünde ohnegleichen. Das IOC aber ließ sich davon nicht beeindrucken. Zudem müssen Autobahnen, eine Schnellzugstrecke und die Sportstätten in den Bergen erst noch errichtet werden. Experten aus dem Olympia-Business, die zahlreiche Projekte geplant und exerziert haben, rechnen mit Kosten von 50 bis über 100 Milliarden Dollar.

Doch die Infrastrukturmaßnahmen nimmt das Internationale Olympische Komitee traditionell als nicht olympiabedingt zur Kenntnis und segnet den Schwindel ab, wie schon 2014 bei Wladimir Putins Winterspielen in Sotschi. Peking wird, wenn die Kosten reell betrachtet werden, Sotschi und den 50-Milliarden-Weltrekord wohl bei Weitem überbieten.

Dagegen hatten die Kasachen in Almaty bis auf vier Sportstätten bereits alles zu bieten, und das ist alles, nur keine der üblichen olympischen Lügengeschichten. Für die Winteruniversiade 2017 sind ohnehin noch zwei Stätten im Bau, für die Winterspiele 2022 hätte man noch eine Bob- und Rodelbahn sowie eine große Eishalle errichten müssen. Eines aber hat Almaty nachweislich: Es gibt immer unfassbar viel Schnee. Und die Region hat eine gewachsene Wintersporttradition, die den Chinesen ebenfalls fehlt. Es fällt nur ein Millimeter Schnee pro Jahr in Peking...


Spiele den Diktatoren. Almaty wäre das kleinere Übel gewesen, auf diesen gehässig klingenden Nenner lässt sich die IOC-Entscheidung bringen. Kleineres Übel deshalb, weil beide Nationen in Fragen der Menschenrechte sehr weit hinten in der Weltrangliste rangieren. In Kasachstan herrscht seit zweieinhalb Jahrzehnten der Diktator Nasarbajew, ein Verbündeter von Wladimir Putin. In China regiert noch immer die kommunistische Partei mit Xi Jinping an der Spitze. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch hatten beide Bewerber ausführlich und gut begründet kritisiert – und das IOC gleich dazu. Interessenten aus demokratischen Nationen hatten sich seit dem März 2013 in historisch einmaliger Weise aus diesem Wettbewerb verabschiedet: In Graubünden, München und Krakau entschieden sich die Steuerzahler bei Bürgerentscheiden gegen das milliardenschwere Abenteuer, in Stockholm und Oslo kamen verantwortungsvolle Politiker dem Bürgerwillen zuvor und beendeten die Planungen. Das Ausscheiden von Lemberg in der Ukraine war wegen des Bürgerkriegs folgerichtig.

Das IOC hätte diese Entscheidung durchaus vertagen und mit dem angeblichen Reformprogramm „Agenda 2020“ neue Fakten schaffen können. Nachhaltiger, billiger, transparenter sollen die Spiele sein, wird im Rahmen der Agenda behauptet. Doch IOC-Präsident Thomas Bach aus Deutschland, der diese Agenda als sein Vermächtnis betrachtet, wollte keinesfalls mit der Vergabe warten und schlug alle guten Ratschläge aus – sogar von engen langjährigen Gefährten. Bach gibt sich als Reformer und wird von seinen Propagandisten als solcher verkauft – gleichzeitig aber wollte er offenbar die Winterspiele in Peking.

Die Chinesen haben ihn im September 2013 mit auf den IOC-Thron gehievt. Als Dankeschön überreichte er Staats- und Parteichef Xi Jinping wenige Wochen später den olympischen Orden. Chinas Topfunktionär, Yu Zaiqing, wurde im Februar 2014 in Sotschi IOC-Vizepräsident von Bachs Gnaden– und Peking nun Olympiastadt, so, als seien Bach und das IOC von allen guten Geistern verlassen.


Die Integrität dieser Wahl. Aber es war knapp am Freitag im Kuala Lumpur Congress Centre (KLCC). Und es war dramatisch. Seit fünfzehn Jahren wird im IOC elektronisch abgestimmt. Doch derlei Probleme hatte es noch nie gegeben. „Wir mussten um die Integrität dieser Wahl fürchten“, sagte tags darauf Nicole Hoevertsz aus Aruba, die Chefin der Wahlkommission. Sie ging zum IOC-Präsidenten Bach und schlug ihm vor, eine neue Abstimmung zu starten. Wäre es ein deutlicher Vorsprung gewesen, nachdem es noch vor Wochen ausgesehen hatte, hätte sie es vielleicht nicht getan. Aber Gerüchten zufolge soll es sogar ein Unentschieden gewesen sein. „Das war es nicht“, sagte Hoevertsz, „aber es war sehr knapp.“ Und einige Stimmen waren offenbar mehrfach gezählt worden. Statt 85 sollen 98 Stimmen gewertet worden sein.

Bach entschied sich für einen zweiten Wahlgang mit einer schriftlichen Abstimmung. 44:40 gewann schließlich Peking, in der 121-jährigen Geschichte Olympischer Spiele gab es nur fünf Mal knappere Resultate. Dies und das Chaos mit dem elektronischen Wahlsystem und den Samsung-Geräten ließen natürlich Spekulationen aufblühen. Hoevertsz bezog tags darauf Stellung und wies jegliche Vorwürfe der Manipulation von sich. Merkwürdig ist aber auch dieser Umstand in den IOC-Regeln: Die drei Mitglieder der Wahlkommission durften selbst mit abstimmen. Sie kannten also das knappe Ergebnis der ersten Runde und hätten mit einem kollektiven Umschwung theoretisch aus einem Sieger Almaty einen Sieger Peking machen können. Diese Lücke im Regelwerk wird demnächst gewiss geändert. IOC-Boss Bach reagierte unwirsch auf eine Frage nach Manipulation. „Unfair“ sei das, eine Frechheit.

Fakt aber bleibt, dass das IOC auch 24 Stunden später noch keine wirklich überzeugenden und vor allem keine nachprüfbaren Argumente zum technischen Blackout vorgelegt hat. IOC-Kommunikationschef Mark Adams sollte diese Details vor der Weltpresse liefern. Doch er wusste nicht einmal den Namen jener Firma, die die Software für das Wahlsystem bestellt. Für einen Weltkonzern war das ein Armutszeugnis.


Sichere, historische Entscheidung. Den Siegern aus Peking waren die Diskussionen allerdings vollkommen egal. Die KP-Chefs bekamen, was sie wollten. Und die Kasachen werden den Teufel tun und natürlich nicht gegen diese Entscheidung opponieren, die man ja auch anders interpretieren kann: Beinahe die Hälfte der IOC-Mitglieder wählte das kleinere Übel und eine Wintersportdestination. Almaty wäre auch finanziell – trotz der üblichen olympischen Steigerungsraten – nur eine vergleichsweise kleine Nummer gewesen. Peking wird einen olympischen Kostenweltrekord aufstellen.

Olympia bleibt also den Diktatoren treu, irgendwie war das aber auch zu erwarten. Es sei eine „sichere und historische Entscheidung“, sagte Bach. Historisch, weil nie zuvor Winter- und Sommerspiele am selben Ort stattfanden. 2008 hatte Peking Sommerspiele geboten, 2022 wird es mit seiner kleinen „Bergwelt“ Winterspiele liefern. Bach: „Sicher, weil China liefern wird, weil China Versprechen einhält und große Erfahrungen bei der Austragung solcher Events hat.“


Das Asien-Triple. Olympia bleibt somit auch weiter im Osten und weit von Europa entfernt. Rio de Janeiro 2016, Pyeongchang 2018, Tokio 2020 und Peking 2022 heißen die nächsten vier Stationen. Erst danach, bei den Sommerspielen 2024, wird wohl wieder Europa an der Reihe sein. Das gilt als ziemlich sicher, egal, ob die USA nach dem Rückzug von Boston, bis zum Meldeschluss am 15. September vielleicht doch noch mit Los Angeles antreten werden. Als großer Favorit gilt hier nun Paris, wo die Grande Nation dahintersteht und die 100-Jahr-Feier der Sommerspiele von 1924 begangen werden soll. Danach darf man mit Rom rechnen, wo eine große alte Garde italienischer IOC-Mitglieder das letzte Gefecht führt. Budapest und Hamburg sind chancenlos. Eventuell kommt noch Baku hinzu.

Das Internationale Olympische Komitee aber, das in Kuala Lumpur noch bis zum Montag seine Vollversammlung abhält, wird es nach dieser letztendlich doch irrsinnig anmutenden Entscheidung pro Peking noch weitaus schwerer haben, seine angebliche Reformagenda 2020 in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Versprechen glaubt ohnehin längst niemand mehr, in der Gegenwart zählen allein nur noch Fakten. Wenn sie nicht geliefert und die Rahmenbedingungen bescheidener werden, wird es auch auf dem Weg zu den Sommerspielen 2024 noch böse Überraschungen geben.

FÜNF RINGE UND GELD

7,75Milliarden Dollar
Für IOC-Präsident Thomas Bach ist es ein Coup, der Vertrag mit TV-Partner NBC wurde für 7,75 Milliarden Dollar bis 2032 verlängert. Das Paket beinhaltet Free-TV, Pay-TV, Internet und Handynutzung und gilt ab 2021.

12,7Milliarden Euro
Seit den Winterspielen im Februar 2014 in Sotschi hat das IOC 18Werbe- und Fernsehverträge mit einer Gesamteinnahme von 14Milliarden Dollar (12,7 Milliarden Euro) unterzeichnet.

4,1Milliarden Euro
Der Verkauf der TV-Rechte für die Periode von 2017 bis 2020 beträgt bereits 4,1Milliarden Euro; hier fehlen aber noch ganz Asien und Sponsorgelder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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