Die Lichter von Nagasaki

Boy prays during a candlelit memorial event to mourn the victims of the 1945 atomic bombing at Nagasaki´s Peace Park in Nagasaki
Boy prays during a candlelit memorial event to mourn the victims of the 1945 atomic bombing at Nagasaki´s Peace Park in Nagasaki(c) REUTERS (TORU HANAI)
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Vor genau 70 Jahren wurde Nagasaki durch eine Atombombe zerstört. Am Ground Zero trainiert heute der Sportnachwuchs für eine Profikarriere, ein sehr emotionaler Besuch vor Ort.

Dass Taishi Zaizen hier am Vormittag seine Runden laufen kann, ist das beste Zeugnis dafür, wie sich die Zeiten geändert haben. Er pustet, hält seinen qualmenden Kopf aus der schwülen Hitze im Stadtteil Urakami unter einen Wasserstrahl vor der Umkleidekabine. „Heute sind wir 400-Meter-Intervalle gelaufen. Das sind die härtesten Einheiten, oder?“, schnauft der 17-jährige Mittelstreckenläufer zu seinem 16-jährigen Freund Matsuyo Shuuhei. „Was ist schon hart?“, trotzt dieser halbstark, schaut aber genauso geschafft drein. Nagasakis brutale Augustsonne kennt in der Mittagszeit wirklich kein Erbarmen.

Vor genau 70 Jahren um diese Tageszeit, um 11:02 Uhr, schien die Welt jedenfalls in Japan unterzugehen. Einige Kilometer über der 250.000-Einwohnerstadt Nagasaki hatten die USA die mit Plutonium gefüllte Bombe Fat Man gezündet. Wie drei Tage zuvor in Hiroshima zwang eine heftige Druckwelle fast alle Gebäude in die Knie, ein Feuerball breitete sich aus, dann stieg ein Atompilz über der Stadt auf. Kurz darauf fiel schwarzer Regen. 70.000 Menschen starben, genauso viele wurden verletzt. Eine knappe Woche später kapitulierte Japan, der Zweite Weltkrieg war beendet. Der 9.August 1945 markierte den zweiten und bis dato letzten Tag, an dem eine Atombombe kriegerisch eingesetzt wurde.

70 Jahre später ist davon nichts mehr zu sehen. Dort, wo die Großmutter des Nachwuchsläufers Taishi Gaizen damals nur mit viel Glück überlebt hat, liegt heute eine der größten Sportanlagen der Stadt. Das junge Leben tobt an diesem Vormittag. Neben der Laufbahn üben Athleten den Anlauf beim Hochsprung, weiter hinten zielen Bogenschützen, es wird Tennis gespielt. Auf der anderen Seite liegen ein großer Fußballplatz, das Baseballstadion der Stadt und ein großes Sportschwimmbecken.


Acht Schulen, eine Universität. Auf Landkarten ist eine Fläche namens Friedenspark grün unterlegt: Dazu gehören neben dem Atombomben-Museum, dem Mahnmal und dem Friedensbrunnen, die auf der anderen Seite der Hauptstraße an die Geschichte erinnern, auch diese Sportanlage, auf die täglich acht Schulen und eine Universität ihre jungen Sportler schicken. Es ist ein erstaunlich unspektakulärer Blick nach vorn: Nagasaki macht dort Nachwuchsförderung, wo einst der Nachwuchs ausgelöscht wurde.

„Unsere Lehrer erzählen uns immer von der Geschichte dieses Orts“, sagt der Läufer Taishi Zaizen. „Seid euch im Klaren, dass das hier nicht irgendeine Sportanlage ist“, heißt es regelmäßig vor dem Training. Die Oma, als kleines Kind durch die Druckwelle der Atombombe mehrere Meter durch die Luft geworfen, kommt manchmal zum Zuschauen und kann noch immer nicht glauben, dass dieser Ort heute wieder blüht. Taishi Zaizen: „Ich glaube, uns macht dieses Wissen stärker.“

Mit seinem ernsten Gesicht könnte der 16-Jährige richtigliegen. Mehrere führende Profisportler Japans kommen aus Nagasaki, sie alle sind früher oder später hier, im Stadtteil Urakami, gelandet. Maya Yoshida, Fußballer beim Premier-League-Klub Southampton, spielte hier genauso wie der Nationalspieler Tsukasa Umesaki. Auch Marathonprofi Arata Fujiwara rannte hier über die Laufbahn. Hinzu kommen zig Baseballer und erfolgreiche Schwimmer. Weniger als das Gedächtnis an die Zerstörung verkörpern diese Athleten heute die Erholung ihrer Heimat.

Sport war immer ein wichtiger Teil Nagasakis. Das Atombomben-Museum, kaum 500 Meter von der Sportanlage entfernt, zeigt auch Bilder vor der Zerstörung. Studenten üben sich in Schützenturnieren, beim Fechten, Turnen. Bis zur kriegsbedingten Armut strebte die Hafenstadt noch auf, brachte durch Überseehandel neue Güter ans Festland. Als die Bombe einschlug, blieb nichts übrig. Das Museum zeigt die Verwüstung anhand verbrannter Schuluniformen und Sportanzügen. Einen Schritt weiter prangen Bilder, für deren Beschreibung das Wort Ruine noch zu schön klingt. Kaum ein Fundament steht, Krankenhäuser, Schulen, das Regierungsgebäude – alles in Schutt und Asche. An den Tagen nach der Bombe prophezeite man, dass die verbrannte Erde von Nagasaki für Jahrzehnte unbewohnbar bleiben würde.

Doch die Stadt kam schneller zurück. „Für die Erholung war Sport überall in Japan extrem wichtig, und so auch hier“, sagt Taeko Kiriya. Die Professorin am Hiroshima Peace Institute wurde in Nagasaki geboren. Aus ihrer Forschung über die Wiederauferstehung der Stadt weiß sie, dass es die Gegend um den Einschlagspunkt vergleichsweise noch schwerer hatte als jene in Hiroshima. Als aus dem Areal leicht westlich des Hypozentrums nach und nach eine Sportanlage wuchs, wendete sich das Blatt. „Wir haben es aber noch immer nicht ganz geschafft“, sagt Taeko Kiriya. „Meine Großmutter, meine Mutter und auch ich stoßen manchmal noch heute auf Ablehnung, wenn wir sagen, dass wir eine Familie Atombombenüberlebender sind.“ Wegen Angst vor radioaktiver Strahlung hatten die Überlebenden, die in Japan Hibakusha genannt werden, Probleme Arbeit zu finden und zu heiraten.

In fünf Jahren veranstaltet Tokio die Olympischen Sommerspiele, Taishi Zaizen und sein Freund Matsuyo Shuuhei sind dann im besten Athletenalter. „Wenn ich es schaffe, dabei zu sein, werde ich meine Heimat grüßen, meinen Lehrern aus Urakami danken.“ 75 Jahre nach der Atombombe eine Goldmedaille für Nagasaki? Hier trainiert man schon heute dafür.

NAGASAKI

1985Fußball V-Varen
Nagasakis größter Stolz ist der Fußballklub, er hat 2012 die Japan Football League gewonnen und ist in die J-League aufgestiegen.

2020Olympia
Die Sommerspiele finden 2020 in Tokio statt, manch Sportler aus Nagasaki rechnet sich Chancen aus. Der Schlusstag der Spiele soll der 9.August 2002 sein – auf den Tag genau 75 Jahre nach dem Fall der Atombombe.

Dafür wird auf der Sportanlage im Stadtteil Urakami täglich trainiert. Acht Schulen, eine Universität und zig Vereine schulen hier ihre Talente.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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