Baggern und Bohren an der Copacabana

OeOC-MEDIENREISE NACH RIO DE JANEIRO
OeOC-MEDIENREISE NACH RIO DE JANEIROAPA/BIRGIT EGARTER
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Rio de Janeiro putzt sich für die Olympischen Spiele 2016 heraus, dem Gros der Sportstätten fehlt nur noch der finale Anstrich. Wasserqualität, Umweltprobleme und der Verkehr dämpfen etwas die Vorfreude.

Cidade maravilhosa, die wunderbare Stadt, so nennt man Rio de Janeiro. Natürlich, man denkt bei der Sieben-Millionen-Einwohner-Metropole sofort an Copacabana, Ipanema, Christus-Statue, Zuckerhut, Lebensflair und Nachtleben. Doch unwidersprochen kämpft die Stadt auch mit handfesten Problemen, denen sie just mit Großereignissen im Sport beizukommen versucht. Rio versinkt im Müll, oft werden Kanäle bei Regen geflutet, der Autoverkehr ist ein Gräuel, Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Korruption – doch nach den Errungenschaften der Fußball-WM sollen mit den Olympischen Sommerspielen 2016 die letzten Problemzonen der Region rund um Rio verschwinden.

In knapp 250 Tagen ist es so weit, doch in der Stadt selbst merkt man bis auf endlose Baustellen entlang der U-Bahn-Linie 4 nichts davon. Autos stecken auf der zweispurigen, oft nur einspurigen Straße Richtung Barra – es ist einer der vier Bezirke, in denen die Spiele 2016 stattfinden werden. Es gibt keine einzige Werbetafel, keine Fahne, nichts. Es wird gehupt, geschimpft, der Brasilianer ist dann in seinem Element, bemerkt Falko, der seit zehn Jahren in Rio als Reiseleiter agiert und dieser Tage die ÖOC-Reisegruppe informiert. Der Deutsche sagt: „Auch bei der WM merkte man bis drei Monate vor Turnierbeginn davon nichts, dann gingen die Emotionen hoch. Mit dem 1:7 gegen Deutschland und dem verlorenen Spiel um Bronze war alles dahin – am Tag danach schien alles vergessen.“


Spiele für elf Milliarden Euro. Doch jetzt geht es um mehr als nur um Fußball, selbst wenn das für Brasilianer das höchste Gut ist. 38,6 Milliarden Real, also knapp elf Milliarden Euro, beträgt der Etat der Spiele 2016. Es wird nicht nur in den Sport investiert, beteuern die Veranstalter – und man ist beim Besuch in Barra schnell geneigt, es zu glauben. Der Vergleich mit Peking 2008 oder London 2012 fällt auf: Keineswegs pompös, sondern simpel, schlicht muten die Sportstätten an. Vielleicht wirkt es auch nur so, weil die beschwerliche Anreise mit dem Bus eineinhalb Stunden dauerte und die U-Bahn bei Weitem noch nicht fertig ist, die den Olympia-Park Barra (neun Anlagen, 16 Sportarten) mit Rio verbinden soll. „Bankrott oder sinnvoll“, betet Joaquim Monteiro aber gebetsmühlenartig seinen Vortag herunter, „wir müssen der Bevölkerung etwas von Olympia hinterlassen.“

Keine Ruinen, keine leeren Versprechungen oder Schulden. Dass weiterhin geschraubt, gebohrt und gehämmert wird allerorts, findet keiner schlimm. Brasilianer hätten eben ein anderes Zeitgefühl als Europäer.

Schulen, Wohnungen und Unterhaltungszentren sollen dann da entstehen, wo ab 5. August 2016 die Sportwelt für zwei Wochen ihre Spiele feiern wird. Die Apartments im modernen Athletendorf werden später vermietet oder verkauft – teilweise für Spottpreise. 200.000 Euro für eine Terrassenwohnung mit 140 Quadratmetern. Sie sind trotzdem Ladenhüter, weil den meisten Brasilianern (700 Euro Durchschnittslohn) einfach das Geld fehlt.

Auch werden viele Umweltprobleme nun unter den Teppich gekehrt, anstatt ihre Bekämpfung auszuloben. Der Golfplatz ist für die Olympia-Premiere fertig, dafür wurde ein Teil des Naturschutzgebietes geopfert, etliche Tierarten vertrieben. Dass Studien zufolge Olympia dazu beitragen wird, dass 2017 63 Prozent der Bevölkerung auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen werden, bleibt vorerst nur eine Zahl.


Wer Müllboote braucht. Während Klagen bei der Umsiedlung aus Favelas seltener werden, ist die Frage nach der Wasserqualität in Lagoa (Rudern, Kanu) und in der Bucht vor Botafogo (ÖOC mietet für ca. 350.000 Euro das Klubhaus des FC Botafogo als Österreich-Haus; ÖOC-Etat für Rio 1,7 Millionen Euro) und Flamengo ungelöst. Es ist weiterhin eine dunkle Brühe, zumindest sind jetzt keine Tierkadaver mehr zu sehen. „Müllboote verrichten ihren Dienst“, sagt Christoph Sieber, der 2000 in Sydney Gold im Surfen gewann und nun ÖOC-Sportdirektor ist. „Es sollen zwei Kläranlagen arbeiten, es wird sicher besser.“ Schwimmen ginge er hier übrigens auf Nachfrage trotzdem nicht.

Mario Andrada, Kommunikationsdirektor des OK 2016, sah aber noch eine andere Großbaustelle: die Sicherheit. Nach dem Terror in Paris seien auch in Rio die Sorgen gewachsen. Man sei vorbereitet, bis zu 65.000 Soldaten sollen das Event begleiten. Insgesamt sind das doppelt so viele Militärs wie in London 2012.

Von Ängsten oder Vorfreude auf Olympia ist keine Spur. Entlang der Copacabana haben sie ohnehin nur Augen für Strand, Schönheiten und Volleyball. Hier finden auch die Beachvolleyball-Partien statt, das Highlight dieser Spiele. Siege der Seleção, der Volleyball-Triumph mit vier Goldmedaillen (zweimal Strand, zweimal Halle), davon träumt man. „Volleyball ist ihr Volkssport“, sagt Falko und zeigt auf nach Bällen baggernde Kinder. Aber das ist doch Fußball? „Nein. Das ist ihre Religion.“

Hinweis

Der Autor wurde vom Österreichischen Olympischen Komitee nach Rio eingeladen.

OLYMPIA

2016Rio de Janeiro
Zwischen 5. und 21.August finden die Spiele der XXXI. Olympiade statt.

4Stadtteile
erleben Olympia-Flair. Maracanã, Barra, Deodoro – und als Highlight Copacabana (Beachvolleyball).

2neue Sportarten
Rugby und Golf finden in Rio neue Sieger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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