Homosexualität und Sport: Mauer des Schweigens

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40 Jahre Schwulenbewegung scheinen am Fußball völlig vorübergegangen zu sein. Auf und neben dem Rasen spielen Homophobie und Schwulenfeindlichkeit weiterhin einen munteren Doppelpass. Kaum ein Spieler wagt ein Outing.

Scheiß Lesbentrainer“, raunte es aus dem Handy. Der Anrufer hatte seine Nummer unterdrückt und die Stimme verstellt. Johann Prischnegg ließ sich von derartigen Angriffen nie aus der Ruhe bringen. Er trainiert noch immer das Damenteam des SV Feldkirchen bei Graz. Ende Sommer beginnt die Meisterschaft. Und bis dahin werden sich die Wogen in der 5000-Einwohner-Gemeinde hoffentlich gelegt haben, meint auch Ingrid Kornberger. Die Spielführerin der Mannschaft war es auch, die für all die Aufregung gesorgt hatte. Anfang Mai erzählte sie der „Kleinen Zeitung“, dass sie lesbisch ist und mit einer Teamkollegin zusammenlebt. Seither wird getuschelt und gemunkelt. „Offen darauf angesprochen hat mich im Verein noch niemand“, erzählt sie der „Presse am Sonntag“.

Mit „im Verein“ sind vor allem die Funktionäre gemeint. Allesamt männlich, allesamt über die „Weiber“ eher „not amused“. Als Kornberger vergangenen Herbst fragte, ob sie eine Damen-Elf aufbauen dürfe, wurde ihr das vom Verein gewährt. Aber eher nach der Devise: „Mach mal Mädel, wird ja eh nichts draus.“ Mittlerweile trainieren 20 „Mädels“ zweimal die Woche eifrig – und mehr als die Hälfte ist lesbisch.

Der Spott der Fans trifft allerdings weniger die „Weiber“, sondern vielmehr die Herrenmannschaft. Denn die Mannen bekommen mitunter zu hören, „wie Schwuchteln“ zu spielen. Wie könnte es auch anders sein, schließlich sind sie heuer in die Unterliga abgestiegen.

Willkommen in der Welt des Fußballs, dort wo Homophobie und Frauenfeindlichkeit Hand in Hand gehen. „Im Fußball hat Weiblichkeit nichts verloren“, sagt Tanja Walther-Ahrens. Das ist nicht ihre Meinung, sondern das sei ein von Männern formuliertes Dogma, meint sie. Und mit „Weiblichkeit“ seien Frauen und Schwule gemeint. Früher spielte Walther-Ahrens in der deutschen Frauenbundesliga bei Turbine Potsdam. Heute engagiert sie sich für die European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF). Die Organisation tritt für Toleranz und Aufklärung ein und hilft Sportlerinnen und Sportlern bei ihrem Outing. „Oft sind die Ängste vorher größer als die Probleme nach dem Coming-out“, erzählt sie – auch aus eigener Erfahrung.

Trotzdem ist der Fußball nach Meinung vieler einer der letzten Bereiche in der Gesellschaft, in der Homosexualität weitgehend tabuisiert wird. Mario Basler, früherer Bayern-Star, brachte es mit einem Satz auf den Punkt: „Es gibt keine schwulen Fußballer.“ Mit anderen Worten: Vier Jahrzehnte Lesben- und Schwulenbewegung scheinen zumindest am Fußball völlig vorbeigegangen zu sein. Am Morgen des 28. Juni 1969 protestierten im New Yorker Stadtteil Greenwich Village Homosexuelle gegen Polizeiübergriffe. Die erste Schwulenkundgebung fand in der Christopher Street statt. Mittlerweile feiern Schwule und Lesben auf der ganzen Welt den CSD, den Christopher Street Day. Am ersten Juliwochenende in Köln werden dabei auch schwule und lesbische Fußballfans ihre Anliegen präsentierten. „Dank kräftiger Unterstützung vom DFB“, sagt Walther-Ahrens. Der Deutsche Fußballbund sei einer der wenigen Sportverbände, der Homosexuelle offen unterstütze. Das liegt vor allem an der Person Theo Zwanziger. Das Bestreben des DFB-Präsidenten, den Fußballplatz für alle zu öffnen und offen gegen Diskriminierung von Homosexuellen einzutreten, sorgte noch vor einem Jahr für Riesenwirbel. Ex-Köln-Trainer Christoph Daum meinte in einem TV-Interview, man solle im Fußball gegen „gleichgeschlechtliche Bestrebungen“ vorgehen. Er habe „Bedenken, wenn von Herrn Zwanziger irgendwelche Liberalisierungsgedanken einfließen sollten“.

Mittlerweile hat Daum beim türkischen Klub Fenerbahçe Istanbul angeheuert. Dort passt er mit seinem Weltbild vermutlich auch besser hin. Erst im Mai wurde ein 30-jähriger Schiedsrichter vom türkischen Verband suspendiert, weil er schwul ist. Mittlerweile will auch die EGLSF dem Schiedsrichter helfen. „Wir suchen ihn, aber leider scheint er untergetaucht zu sein“, berichtet Tanja Walther-Ahrens.

„Es gibt in jeder Fußballmannschaft einen Schwulen“, behauptet Corny Littmann. Der Präsident des Hamburger FC St. Pauli ist einer der ganz wenigen im Fußballbusiness, der seine Homosexualität offen lebt. Und er rät allen Fußballspielern davon ab, es ihm gleichzutun. „Das würde das Karriereende bedeuten“, sagte er einst im deutschen Fernsehen.

Um ihr Geheimnis zu verbergen, tarnen sich schwule Kicker mit Freundinnen, manche heiraten sogar. „Wenn ihr nach schwulen Spielern sucht, dann schaut auf die, die die meisten Gelben Karten bekommen“, meint Markus Urban. Er ist bis dato der einzige deutsche Profispieler, der sich geoutet hat. In seiner Biografie „Versteck Spieler“ erzählt der frühere Verteidiger beim Zweitligisten Rotweiß Erfurt seine Geschichte. Und von der Erfahrung, dass sein Outing von seinen Mitspielern sehr positiv aufgenommen wurde. Ressentiments gebe es vor allem in der Fankurve und in Medien.

Und diese Stimmung auf den Tribünen führt auch dazu, dass Fußballspieler zwar im persönlichen Umgang kein Problem mit Homosexuellen haben, aber die öffentliche Diskussion darüber aus „Imagegründen“ meiden. Wer lässt sich auch schon gern von den Anhängern als „Oarschwoarmer“ beschimpfen. Immerhin hat in den Schlachtgesängen die Schwulenfeindlichkeit seit jeher ein fixes Leiberl. Und mitunter bekommen sie Unterstützung von der Trainerbank. Der frühere österreichische Teamchef Otto Baric meinte: „Ich weiß, dass es in meiner Mannschaft keine Homosexuellen gibt. Ich erkenne einen Schwulen innerhalb von zehn Minuten, und ich möchte sie nicht in meinem Team haben.“

Aber es gibt mittlerweile auch andere Fans, andere Trainer und andere Spieler. Etwa die Fans auf der Fried-hofstribüne beim Wiener Sportklub. Bei ihnen ist auch Platz für die Kollegen vom anderen Ufer. Und mitunter demonstrieren sie auch gemeinsam für mehr Toleranz und gegen Homophobie am Fußballplatz.

Für Teamchef Didi Constantini sind Otto Baric' Sprüche Relikte einer früheren Generation. Er selbst hat keinerlei Berührungsängste, diskutiert offen mit Schwulenvertretern und betont dabei, dass für ihn allein die Leistung zählt und nicht die sexuelle Orientierung.

Und voriges Jahr wagte sich auch ein prominenter Starkicker aus der Deckung. Der deutsche Nationalspieler Philipp Lahm erzählte dem Schwulen-Magazin „Front“: „Wenn ein Spieler schwul ist, ist er trotzdem mein Mannschaftskollege. Für mich würde sich im Umgang mit ihm nichts ändern.“

Aber trotz der zarten Liberalisierungstendenzen im Fußball muss sich jeder darüber im Klaren sein, dass seine öffentliche Sympathie für Schwule auch unangenehme Konsequenzen haben kann. Erkut Ergillgür war sich dieser Konsequenzen nicht bewusst. Vor einem Jahr posierte er mit nacktem Oberkörper für den Berliner Schwulen- und Lesbenverband. Die Folge waren Spott und Häme für den jungen türkischen Halbprofi, der beim Regionalligaverein Türkiyemspor Berlin kickt. Als die Sache endlich vorbei zu sein schien, fing der Spießrutenlauf von vorne an. Ergillgür hatte nämlich übersehen, dass er einen Zweijahresvertrag unterschrieben hatte. Seit Mai lächelt er 5000-mal von Berliner Plakatwänden und Litfaßsäulen und wirbt für die „Gaymes“ der Schwuleninitiative.

Nun hat sich Ergillgür öffentlich von seinen Plakaten distanziert. Seinem Verein, der ein Zeichen für Toleranz setzen wollte, ist Ergillgürs homophober Fallrückzieher peinlich. Schwule und Lesben sehen den Fall zwiespältig. „Rückschläge wie dieser sind nur dort möglich, wo zuvor Fortschritte erzielt wurden“, sagen sie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2009)

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