50. Super Bowl: Das Märchen eines Ghetto-Kids

Kraftpaket Michael Oher.
Kraftpaket Michael Oher.(c) Reuters
  • Drucken

Michael Oher, „Bodyguard“ des Panthers-Quarterback Cam Newton, kommt von ganz unten. Der Hollywood-Film „The Blind Side“ schilderte sein Schicksal und rührte Millionen.

Michael Oher war schon ein Held, ehe er zum Football-Star in der Profiliga NFL und zum Super-Bowl-Champion avancierte. Als Big Mike, Protagonist im Michael-Lewis-Roman „The Blind Side“ und dem gleichnamigen Film, erlangte er als ein wenig naives, tollpatschiges Riesenbaby Hollywood-Ruhm und rührte ein Millionenpublikum. Die Rolle der resoluten Adoptivmutter Leigh Anne Tuohy, einer weißen, wohlhabenden Südstaaten-Republikanerin mit dem Herz am rechten Fleck, die den schwarzen Teenager auf einer Straße aufliest, ihn unter ihre Fittiche nimmt und seine College-Karriere bei den „Ole Miss Rebels“, ihrer Stamm-Uni in Mississippi, forciert, brachte Sandra Bullock 2010 einen Oscar ein.

Im College-Alter haben sich die Universitäten tatsächlich um Oher gerissen. Doch er hatte zu oft die Schule geschwänzt, war zuweilen nur zum Aufwärmen gekommen, und wäre beinahe an der Aufnahmehürde gescheitert – hätten die Tuohys nicht eine Nachhilfelehrerin, eine eingefleischte Demokratin, engagiert. „Wir hatten einen afroamerikanischen Sohn, bevor wir einen Demokraten als Freund hatten“, erinnert sich Mentor Sean Tuohy im Lewis-Buch.

Cracksüchtige Mutter

Die Geschichte vom obdachlosen, lethargisch-gutmütigen Ghetto-Kid aus Memphis, dem Sohn einer cracksüchtigen Mutter von einem Dutzend Kindern, vernachlässigt und hin- und hergeschoben zwischen Pflegefamilien, der es in den Olymp der US-Sportwelt schafft, könnte durchaus einem kitschigen Drehbuch entstammen. Es ist ein modernes Märchen, wie Amerikaner es lieben.

Originalaufnahmen von Oher und seiner Familie 2009 beim Draft, bei der Verpflichtung des College-Footballers für die NFL durch die Baltimore Ravens, krönen das Hollywood-Happy-End. Doch die Story des 29-jährigen Offensive Tackle ist damit längst nicht zu Ende erzählt.

2013 hatte er mit Baltimore den Super Bowl (34:31 gegen San Francisco) gewonnen, und natürlich saß beim Sieg seine Adoptivfamilie im Superdome von New Orleans. Heuer ist er mit den Carolina Panthers erneut bis ins Finale vorgestoßen – als „Bodyguard“ für Cam Newton, den neuen Star-Quarterback der NFL. Oher bringt dafür mit einem Gardemaß von 1,95 Metern und rund 140 Kilogramm die idealen Voraussetzungen für die nötige Wucht und zugleich Behändigkeit mit. Das Blocken, Pressen, Schieben und Rammen ist Ohers Metier, der Glanz fällt indes zumeist auf den Quarterback. In der Nacht auf Montag (0.30 Uhr, live Puls 4) könnte er in Santa Clara, im Süden des Silicon Valley, im Super Bowl gegen die Denver Broncos neuerlich einen Triumph feiern.

Als die Tennessee Titans ihn nach der Vorjahrssaison feuerten, schickte ihm Newton ein SMS mit dem Text: „Ich brauche dich. Ich will dich nicht. ICH BRAUCHE DICH.“ Newtons jüngerer Bruder Cecil kannte Oher aus der gemeinsamen Zeit bei den Ravens. Daraufhin konnte der verunsicherte Oher nicht mehr Nein sagen. Damals haderte Oher mit sich und seinem Schicksal, er dachte ans Aufhören. Der Film habe seine Football-Karriere ruiniert, klagte er. Hollywood habe ihn in der Schwarz-Weiß-Zeichnung des Plots wie einen Idioten aussehen lassen, vieles sei frei erfunden. Football hatte er schon von klein auf gespielt, dies musste ihm niemand beibringen. Er hasste den Spitznamen Big Mike, mit dem ihn seine Mitspieler bedachten – im Film wie im Leben. Inzwischen spricht er, ohnehin eher scheu, nur sehr ungern über sein Leben und seine Familie, geschweige denn über diesen Film.

Der Sieglauf der Panthers

Dass sie in Charlotte, der Heimat der Panthers, mitunter ganze Dialoge und Filmsequenzen zitieren, muss er indessen als ironische Frotzelei, aber durchaus auch als Kompliment hinnehmen. Den Panthers und Newton verhalf er in seiner ersten Saison definitiv zu einem Sieglauf, zur besten Offensive in der NFL. Der Einzug in das Endspiel ist unumstritten auch das Verdienst des Left Tackle mit der Nummer 73. Unter knapp 70.000 Zuschauern im ausverkauften Levi's-Stadion in Santa Clara, neuerdings die Heimarena der San Francisco 49ers, werden auch die Tuohys den Panthers, Newton und Oher die Daumen drücken. Die Chancen dass ihr „Baby“ einen zweiten NFL-Ring über den Finger streifen wird, stehen gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Mehr Sport

Newtons Apfel und 1,3 Milliarden Chicken Wings

Cameron Newton soll Carolina zum Super-Bowl-Sieg werfen. Ganz Amerika schaut zu, isst und preist Rekorde.
AMERICAN FOOTBALL - NFL, Super Bowl 50
Mehr Sport

Super Bowl: Die Titelgaranten im Hintergrund

Die überragende Defensive der Denver Broncos gewinnt den Super Bowl für Altstar Peyton Manning. Der Quarterback krönt damit seine Karriere – und stellt einen Negativrekord auf.
Broncos-Quarterback Manning feiert den Sieg
Mehr Sport

Super Bowl: Denver Broncos deklassieren Carolina Panthers

Mit 24:10 setzte sich der Klub beim Finale der National Football League klar gegen die favorisierten Panthers durch.
NFL: Super Bowl 50-Denver Broncos Press Conference
Mehr Sport

Super Bowl: Des "Sheriffs" letztes Rodeo

Carolina gegen Denver, Panthers gegen Broncos, der Super Bowl 50 wird aber vom Vergleich der Quarterbacks Cameron Newton und Peyton Manning überstrahlt.
Endspiel zwischen den Denver Broncos und Carolina Panthers um die Vince Lombardi Trophy im Super Bow
Mehr Sport

Super Bowl: Wenn Amerikaner "narrisch" werden

Football-Finale, Spektakel oder "Greatest Show on Earth"? Ein Spiel generiert Dollarmilliarden, fesselt Amerika und öffnet Siegern alle Türen – Erinnerungen an den Freekicker Toni Fritsch.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.