Wada-Bericht: Russlands Doping unter staatlicher Aufsicht

Russische und Olympia-Fahne
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Die Kommission wirft Russland Manipulationen im Winter- wie Sommersport vor. Auf Direktive höchster Stellen wurden positive Proben vertuscht, bei Olympia in Sotschi getauscht.

Toronto/Wien. Die dunkle Seite des Sports wurde am Montag auf 97 Seiten zusammengefasst. Der Bericht der Kommission der Welt-Antidoping-Agentur bekräftigte den Verdacht der Manipulation positiver Dopingproben russischer Athleten während der Olympischen Winterspiele in Sotschi. Von einem „staatlich gesteuerten Dopingsystem“ sprach Chefermittler Richard McLaren und betonte, die Kernaussagen des Reports stünden „außer Zweifel“, die Beweise seien „nachprüfbar“.

Unter Einbeziehung und Deckung höchster staatlicher Stellen seien im Moskauer Dopinglabor von 2012 bis 2015 643 positive Proben verschwunden, der stellvertretende Sportminister Juri Nagorny höchstpersönlich sei über jede einzelne informiert worden und habe dann über das Schicksal des Sportlers entschieden. Während der Spiele in Sotschi sei man schließlich zum Probenaustausch übergegangen, was gedopten russischen Athleten in allen Sportarten den Start ermöglichte. Die kursierende Zahl von 15 gedopten russischen Medaillengewinnern wollte McLaren nicht bestätigen.

Die angewandte Methode war vergleichsweise simpel: Durch ein Loch in der Wand wurden die positiven Urinproben in ein Hinterzimmer weitergegeben, wo sie gegen saubere des Athleten aus dem Tiefkühler ausgetauscht wurden. Diese wurden zum Teil mit Salz versetzt, um die Dichte frischer Abgaben zu simulieren. Die ungewöhnlich hohe Salzkonzentration habe sich im Zuge der Ermittlungen nachweisen lassen. McLaren erklärte auch, dass in allen untersuchten Proben auf der Innenseite des Verschlusses Spuren der Manipulationen gefunden worden waren.

Regierung leitet und überwacht

Die russische Regierung sei mit dem Dopingsystem regelrecht „verflochten“, führte McLaren aus. Sportministerium, der Inlandsgeheimdienst FSB und das Trainingszentrum russischer Topathleten, CSP, hätten die Durchführung „geleitet, kontrolliert und überwacht“. So sei die Datenbank mit sauberen Urinproben auf direkte Anweisung von Nagorny angelegt worden. Angesichts der Umstände ist es für die Wada-Kommission daher „unvorstellbar“, dass Sportminister Witali Mutko nicht über die Vorgänge Bescheid gewusst habe.

"Funktionäre, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen suspendiert werden", teilte der russische Präsident Wladimir Putin am Montag in Moskau mit. Zugleich forderte er von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) mehr "objektive" und auf Fakten basierende Informationen. Der WADA-Bericht basiere auf den Aussagen eines einzelnen Menschen mit einem "skandalösen Ruf". Damit spielte er auf den Whistleblower Grigori Rodschenkow an. Der frühere Anti-Doping-Funktionär hatte den WADA-Bericht ins Rollen gebracht.

Haft für Rodschenkow gefordert

Der Vorsitzende des Sportausschusses im Parlament, Dmitri Swischtschjow, forderte eine Haftstrafe für Rodschenkow. "Internationale Organisationen glauben Verleumdern und Schurken wie Rodschenkow, der erklärt hat, selbst (Doping-)Proben ausgetauscht zu haben", sagte Swischtschjow der Agentur Tass.

"Er sollte festgenommen und an unsere Justiz ausgeliefert werden", forderte Swischtschjow am Montag. Rodschenkow hatte bis 2015 das Anti-Doping-Labor in Moskau geleitet und dann von systematischem Doping berichtet. Inzwischen hält er sich in den USA auf, weil er in Russland um seine Sicherheit fürchtet.

Rodschenkow ist promovierter Chemiker, er leitete von 2006 bis 2015 das Moskauer Labor und installierte nach eigenem Bekenntnis ein Programm zur verbotenen Leistungssteigerung. Als der 57-Jährige im Zuge der Wada-Untersuchungen zu Doping in der russischen Leichtathletik in den Fokus der Ermittler geriet, wechselte er die Seiten und fungierte fortan als Kronzeuge. Im Jänner 2016 flüchtete Rodschenkow in die USA.

McLaren wollte weder Namen von Sportlern noch Sportarten benennen, betonte jedoch, dass sowohl Winter- als auch Sommersport betroffen seien. „Jede positive Probe ging den Weg bis ganz nach oben“, sagte der Chefermittler, daher sei davon auszugehen, dass „die große Mehrheit der Sportarten“ betroffen sei. Angesichts des kurzen Untersuchungszeitraums von 57 Tagen sei zudem nur ein Bruchteil des verfügbaren Materials untersucht und ausgewertet worden. Eine Empfehlung für Sanktionen gegen Sportler, Verbände oder gar den kompletten Olympia-Ausschluss Russlands wollte McLaren nicht abgeben. „Meine Aufgabe war es, Fakten zu schaffen.“

Bach: „Härteste Sanktionen“

IOC-Präsident Thomas Bach zeigte sich „schockiert von diesem beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports“ und kündigte „härteste Sanktionen“ gegen involvierte Personen oder Organisationen an. Für Dienstag wurde eine Telefonkonferenz der IOC-Exekutive anberaumt.

Russland erklärte, sich mit allen Mitteln für eine Olympia-Teilnahme seiner Sportler einsetzen zu wollen. Die russischen Leichtathleten sind bereits für die Spiele in Rio ausgeschlossen, bis Donnerstag will der CAS über ihren Einspruch entscheiden. Eine Revision scheint angesichts der neuesten Enthüllungen unwahrscheinlich, vielmehr dürften sie bald Gesellschaft auf den Zuschauerplätzen bekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2016)

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