Marathon-Drillinge: ein Trio für Rio

Estonia's olympic team female marathon runners Luik triplets run during a training session in Tartu, Estonia
Estonia's olympic team female marathon runners Luik triplets run during a training session in Tartu, EstoniaREUTERS
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Die Marathon-Drillinge Leila, Liina und Lily Luik schreiben die Familiengeschichte der Sommerspiele in Rio de Janeiro. Die Estinnen, 30, feiern das erste Triple der Olympia-Historie.

Olympia ist oft auch eine Familienangelegenheit. Ob Väter oder Mütter, die ihre Kinder als Trainier begleiten, Schwestern, Brüder, ja sogar Zwillinge, die beim selben Bewerb starten, alles ist schon dagewesen in der Geschichte der Spiele. Doch die Sommerspiele in Rio de Janeiro (ab 5. August) erleben Historisches, dafür brauchen Leila, Liina und Lily Luik einfach nur noch anzureisen. Die Estinnen sind Drillinge und werden den Marathon in Angriff nehmen.

Die 30-Jährigen sind das Thema im Countdown der Spiele, nicht Sprint-Superstar Usain Bolt oder Basketballer Carmely Anthony, die beide drittes Gold in Serie gewinnen können, bestimmen die Geschichten, sondern dieses flotte Trio für Rio. Auf die Luik-Familie aufmerksam gemacht haben „Die Presse“ zwei weitere Lauf-Zwillinge – Anna und Lisa Hahner, die einst von Ex-Sänger und Extremsportler Joey Kelly zum Sport motiviert worden waren. Anna gewann 2014 den Vienna City Marathon, ihre Schwester unterstützte sie und sorgte im Zieleinlauf für Verwirrung. Damals schon fiel der Verweis auf die Estinnen, nun treffen sich alle fünf am 14. August im Rennen über 42,195 Kilometer an der Copacabana wieder.


Bereits 200 Olympia-Zwillinge. In Tartu, einer kleinen, bezaubernden Universitätsstadt in Estland, 163 Kilometer von Tallinn entfernt, sind die Drillinge aufgewachsen. Vater Henno ist Taxifahrer, und Mutter Lea erzählt immer wieder, dass ihre Mädchen ein Monat zu früh geboren wurden. „Sie haben den Spirit, sich gegenseitig pushen zu müssen, früh in die Wiege gelegt bekommen.“ Ihre Kinder machen auch abseits von Laufbewerben Schlagzeilen in Estland, dem keineswegs für Läuferinnen bekannten kleinen baltischen Staat. Sie sind als Models oft gebucht, freilich nur im Triple-Pack.

Die Geschichte der Drillinge rief sogar die „NY Times“ auf den Plan, sie bemühte das Wissen und das Archiv von Bill Mallon, der in seiner Datenbank über olympisch-historische Ereignisse 12.000 Athleten und ihre Familien führt. Zweihundert Zwillinge wären bislang bei Olympia aufgetaucht, zumeist in denselben Bewerben – aber keine waren so erfolgreich wie die Kanufahrer Pavol und Peter Hochschorner. Die Slowaken gewannen 2000, 2004 und 2008 im Doppel dreimal Gold. Es gibt aber noch weitere Erfolgsfamilien: Bob und Mike Bryan siegten 2012 in London im Tennis-Doppel. Die ersten Gold-Zwillinge waren aber auch sie nicht, sondern die russischen Freistilringer Anatoli und Sergei Beloglasow, die bei den Moskau-Spielen 1980 triumphierten.

Drillinge seien allerdings trotzdem die Sensation, das sei nicht überliefert, „das gibt es nicht“, wird Mallon zitiert. Vor allem allein aus rein statistischer Sicht: Estland hat 1,3 Millionen Einwohner – aber Marathon-Drillinge in Rio de Janeiro.

Freilich, irgendwo muss auch dieses Top-Trio Schwächen haben, und diese liegen in der Zeit. Seit sechs Jahren üben sich Leila, Liina und Lily im Marathon, folgende Bestzeiten stehen – interessanterweise auch der Geburtsreihenfolge übereinfolgend – zu Papier: Leila (2:37,11), Liina (2:39:42) und Lily (2:40:30). Zum Vergleich: Andrea Mayr ist Österreichs Rekordhalterin in 2:30:43 Stunden und ebenso chancenlos in Rio wie die Luik-Ladies. Auch der Weltrekord, gehalten von der Britin Paula Radcliffe (2:15:25), ist für sie unerreichbar. Der Stimmung ist das jedoch keineswegs abträglich, Tenor: „Für uns zählt nur, dass wir alle drei dabei sind. Damit allein haben wir schon Sportgeschichte geschrieben. Jetzt wollen wir nur noch dieses Rennen genießen.“


Fußballer und Synchronnixen. Estlands Leichtathleten fielen zuletzt nur in Sydney 2000 durch Erki Nool (Zehnkampf-Gold) und Gerd Kanter (Peking 2008, Diskus-Gold) auf. Nun drückt die Nation gleich drei ehemaligen Hip-Hop-Tänzerinnen die Daumen. Bei ihnen ist von Fadesse, fehlender Motivation oder gar fehlendem Antrieb keine Spur; im Gegenteil. Und: Sie wissen alles übereinander. Obwohl sie unterschiedlich schnell laufen, atmen oder auch regenerieren, wähnen sie sich als Einheit – nichts ist dicker als Blut. Dass sich der Sport mit all der Publicity längst rentiert, selbst ohne Medaillen, versteht sich von selbst. Sie malen Blumen, Landschaften, Häuser oder auch Schwäne – das heißt Luik auf Deutsch –, die auf Jacken, Kaffeehäferln etc. in Tallinn ein Topseller sind.

Wer weiß, vielleicht schießen die Fußball-Zwillinge Lars und Sven Bender Deutschland im Maracanã zum Sieg? Oder – Österreich hätte das nach dem Nuller von London dringend nötig –, eventuell trumpfen die Synchronnixen, Anna-Maria und Eirini-Marina Alexandri, erneut auf wie bei den European-Games in Baku mit Silber? Olympia ist eben manchmal auch eine richtige Familienangelegenheit.

Rio-DATEN

18Jahre:
Die Youngsters des ÖOC-Teams sind die 18-jährigen Zwillingsschwestern Anna-Maria und Eirini-Marina Alexandri (Synchron).

206Nationen
kämpfen um 306 Goldmedaillen (136 für Frauen, 161 für Männer, neun Mixed). 10.500 Athletinnen und Athleten sind am Start.

163Personen
umfasst Österreichs Delegation in Rio, inklusive Trainer und ÖOC-Mitarbeitern. Chef de Mission ist Christoph Sieber, 2000 in Sydney Surf-Olympiasieger.

10,4Milliarden Euro
kostet Olympia in Rio. 45.000 Freiwillige und 85.000 Sicherheitskräfte – in London waren es 2012 42.000 –, sind im Einsatz.

7,4Millionen Tickets
wurden aufgelegt, knapp fünf Millionen sind bislang verkauft.

2Meter:
Clemens Doppler ist der Größte im ÖOC-Team. Turnerin Lisa Ecker ist mit 1,57 Meter die Kleinste.

49Schuhgröße:
Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger wiegt stolze 136 Kilogramm.

Er lebt auf großem Fuß: Schuhgröße 49.

5Sommerspiele:
Fahnenträgerin und Tischtennisspielerin Liu Jia erlebt ihre fünften Spiele.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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