Brasiliens Behörden befürchten Attentate „einsamer Wölfe“

A special police forces officer stands guard outside the Olympic Park in Rio de Janeiro
A special police forces officer stands guard outside the Olympic Park in Rio de Janeiro(c) REUTERS (PILAR OLIVARES)
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Zwei Wochen vor Beginn des Sportgroßereignisses hat Brasiliens Polizei zwölf Terrorverdächtige verhaftet. Laut Behörden sind die Festgenommenen, die einander im Internet kennenlernten, „absolute Amateure“. Doch die Sicherheitsvorkehrungen in Rio wurden erhöht.

Riode Janeiro. Es war nur eine halbe Beruhigungspille, die Brasiliens Justizminister, Alexandre de Moraes, seinem Land verabreichen konnte. „Absolute Amateure“ seien die insgesamt zwölf Verdächtigen, die in den vergangenen Tagen verhaftet worden sind, versicherte er. Auch wenn die Gruppe bislang keinerlei Gewaltakte ausübte, wird sie in Brasiliens Geschichte eingehen als die erste ausgehobene jihadistische Terrorzelle – zerschlagen zwei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro.

Lange hatte sich Südamerikas Riese – so wie der Großteil seines Kontinents – in der trügerischen Sicherheit gewogen, nicht zu den erklärten Feinden des sogenannten Islamischen Staates (IS) zu zählen. Das multiethnische 200-Millionen-Land Brasilien war in allen internationalen Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg stets neutral und beteiligte sich nicht – anders als etwa Argentinien oder Kolumbien – am US-Einsatz im Irak. Doch Olympia änderte das Szenario. Im November, nach der Attentatsserie in Paris, verschickte ein französischer IS-Kämpfer eine klare Ansage via Twitter: „Brasilien, Ihr seid unser nächstes Ziel.“ Die Warnung wurde als authentisch erkannt – und entsprechend ernst genommen.

Rio ist heute eine Stadt im Belagerungszustand. An den Stränden stehen Soldaten, auf den Hauptverkehrsachsen kontrollieren Polizisten, und im olympischen Dorf patrouilliert die Bundespolizei Força Nacional. Insgesamt 85.000 Angehörige der Sicherheitskräfte sollen Sportler, Betreuer, Offizielle und das Publikum schützen, mehr als doppelt so viele wie in London 2012. Rios Hotels sind zu 90 Prozent ausgelastet, eine halbe Million Touristen wird erwartet.

Geheimdienstkooperation mit Paris

Jeden Morgen lässt sich Interimspräsident Michel Temer vom nationalen Sicherheitsberater, dem Armeegeneral Sérgio Etchegoyen, persönlich briefen. Temers Verteidigungsminister, Raul Jungmann, erklärte nach dem Anschlag von Nizza, Brasilien stehe in Kontakt mit den Geheimdiensten von mehr als 90 Ländern. Besonders eng ist die Zusammenarbeit offenbar mit Frankreich. Am 17. Juli, drei Tage nach Nizza, reiste eine Delegation des brasilianischen Geheimdienstes, Abin, nach Paris, um neueste Erkenntnisse auszutauschen. Ebenso intensiv ist die Kooperation mit US-Diensten.

Kontaktaufnahme im Internet-Chat

Der US-Konsul in Rio sagte, dass sein Land mehr als 100 Schulungen für insgesamt 3800 brasilianische Angehörige der Sicherheitskräfte durchführte: Um Cyber-Sicherheit ging es dabei, um Flughafenkontrollen, Drohnen und das Erkennen auffälligen Verhaltens, so James Story. Es waren US-Geheimdienste, die ihre brasilianischen Kollegen auf die nun festgesetzte Gruppe hinwiesen. Deren Mitglieder, verstreut im ganzen Land lebend, hatten einander in Chats im Internet gefunden und nie persönlichen Kontakt gehabt. Zumeist junge Konvertiten, die sich – offenbar mit der Lektüre extremistischer Websites – radikalisierten.

Am östlichen Rande des berühmten Strandes von Copacabana schirmen bereits seit Anfang Juli Marinesoldaten die Beachvolleyball-Arena ab. Daneben baden entspannt Touristen im Wissen, dass dieser Strand noch nie so gut gesichert war.

Seit gestern, Montag, dürfen keine zivilen Helikopter mehr aufsteigen, bereits seit der Vorwoche gilt tagsüber ein Lkw-Fahrverbot für Zentrum und Südzone. Dennoch sind die Behörden beunruhigt. Die größte Gefahr gehe wohl von potenziellen Einzeltätern aus. Die Zeitung „O Globo“ meldet, der Geheimdienst habe 100 mögliche sogenannte „einsame Wölfe“ im Blick – Attentäter, die allein oder in kleinen Gruppen und ohne direkte Anbindung zu den IS-Strukturen zuschlagen.

Verschwundener Guantánamo-Häftling

Wegen eines Mannes sind Brasiliens Behörden besonders in Sorge: Der Libanese Jihad Ahmad Diyab, vormals Häftling Nummer 722 im US-Lager Guantánamo, verschwand im Juni im Grenzgebiet zwischen Uruguay und Brasilien. Er war einer von sechs Guantánamo-Insassen, die 2014 Asyl in Uruguay bekamen. Nun wird er in Brasilien mit Haftbefehl gesucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)

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