Olympia: Das Tauziehen um „saubere“ Russen

DLV Praesident Clemens Prokop
DLV Praesident Clemens Prokop(c) imago/Annegret Hilse (imago sportfotodienst)
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Während viele Verbände russischen Athleten nach der IOC-Entscheidung die Freigabe erteilen, herrscht weiterhin Skepsis. DLV-Präsident Prokop hält die Sachlage sogar für rechtswidrig.

Rio/Berlin/Wien. Die „cidade maravilhosa“, also die wunderbare Stadt mit Stränden, Stadien und Staus, putzt sich für die Sommerspiele 2016 weiter unaufhaltsam heraus. 85.000 Soldaten und Polizisten sind aufmarschiert, die Sportstätten fertig und auch die letzten (sanitären) Probleme im Olympiadorf zu Barra sind wohl bald behoben. In Rio de Janeiro herrscht eine stille Vorfreude auf Olympia, bei vielen Teilnehmern aber wuchs zuletzt nur noch die Skepsis. Vor allem nach der höchst umstrittenen IOC-Entscheidung bezüglich Russlands Athleten blieben viele Fragen offen.

Was muss ein „sauberer“ Russe nun tun, um Nachweis/Genehmigung für sein Rio-Ticket zu erlangen? Ist das alles angesichts der Zeitnot – die Spiele heben am 5. August an – überhaupt mit all der Bürokratie machbar? Und, ist es rechtlich tragbar, russische Sportler, die eine Dopingsperre längst verbüßt haben, nicht mehr für Olympia zuzulassen? Es sind schließlich zig andere ehemalige Dopingsünder in Brasilien am Start, allen voran der US-Sprinter Justin Gatlin, der nun beteuert, geläutert zu sein, und – ungedopt – tatsächlich schneller läuft denn je . . .

Und das Gleichheitsprinzip?

Heftiger Kritik für eine schwache Entscheidung in der Russland-Frage – trotz Dopingskandals darf Russland als Nation teilnehmen, alle 28Weltverbände befinden über russische Starter bzw. sprechen Sperren aus – muss sich Thomas Bach vonseiten der Welt-Antidoping-Agentur, aber auch von seinem Landsmann Clemens Prokop gefallen lassen. Der deutsche Leichtathletik-Präsident hält die IOC-Entscheidung, ehemalige russische Dopingsünder nicht starten zu lassen, sogar für „rechtswidrig. Es ist eine Verletzung der Rechtssprechung des CAS und des Gleichheitsprinzips“, sagte Prokop der Deutschen Presse-Agentur.

Er nannte die 2011 vom Sportgerichtshof festgelegte „Osaka-Regel“, der zufolge Athleten nach einer mehr als sechsmonatigen Sperre durchaus an Olympia teilnehmen dürfen. Englands Weitsprungstar Greg Rutherford hält das IOC für „rückgratlos“. Man habe es verpasst, eine „klare Botschaft der Transparenz und des Fortschritts“ zu senden, sagte der Olympiasieger von London und amtierende Weltmeister dem „Guardian“. „Was wir jetzt haben, ist ein schmutziger, grauer Bereich, womit niemandem geholfen ist. Die Last-Minute-Verbannung für russische Athleten, die schon eine Dopingsperre abgesessen haben, ist, als würde man einen hungernden Mann bitten, Danke zu sagen, wenn man ihm ein Reiskorn gibt.“

Hohn für Whistleblower

Vor allem der Umgang mit Julia Stepanowa irritiert, es gleicht einem Hohn. Ohne ihre Aussagen wäre der Dopingskandal nie aufgeflogen, ohne sie würde Russland womöglich weiterhin Massenmanipulation betreiben. Dass die Kronzeugin nicht starten darf, weil auch sie eine Dopinghistorie hat, passt Russland und Dopingdealern ins Programm. Die Signalwirkung mutet verheerend an, die IOC-Botschaft lautet: Wer Dopingbetrug verrät, wird nicht geschützt.

Auch in Österreich gehen die Wogen hoch. Jedes Mitglied der ÖOC-Rio-Delegation musste etwa im Vorfeld die Antidoping-Lizenz über die E-Learning-Plattform der Nada-Antidopingagentur lösen, nicht nur Sportler, auch Trainer und Betreuer. Dazu kamen heuer circa fünf bis sechs Kontrollen pro Kopf, rechnete Nada-Austria-Geschäftsführer Michael Cepic der „Presse“ schon vor der Fußball-EM vor. Dass nun alles wieder auf den Kopf gestellt wurde, stellt die ganze Aktion infrage.

Für manch russische Sportler tickt die Uhr. Sie müssen den Experten der Sportfachverbände mit Unterstützung des Sportgerichtshofs beweisen, sauber zu sein. Auch muss klar sein, dass ihr Name nicht im McLaren-Report der Wada auftauchen darf, die Vergangenheit wie die Gegenwart (Tests bei unabhängigen Institutionen) makellos sein muss. Im Judo, Tennis, Bogenschießen und Rudern bekamen Russen sofort grünes Licht. Das Gros der 387 Athleten starken Mannschaft reist am Donnerstag nach Brasilien – man war darauf offenbar perfekt vorbereitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2016)

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