Rad-WM: Mit dem Fahrrad in der Sauna

(c) APA/AFP/KHALED DESOUKI
  • Drucken

Die WM in Katar avanciert angesichts der Temperaturen zum Extremsport. Profis kritisieren "Quälerei" und fehlende Zuschauer, der Weltverband gibt halbherzige Hitzetipps.

Doha/Wien. Um die 38 Grad Celsius herrschen derzeit in Katar, ein idealer Zufluchtsort, um dem aufkommenden Winter in Zentraleuropa zu entkommen – und ein Albtraum für Hochleistungssportler. Während die Einheimischen klimatisierte Einkaufszentren und Eishallen frequentieren, quälen sich dieser Tage im Rahmen der Rad-WM die Profis die Straßen im Wüstenstaat entlang. Hitze und pralle Sonneneinstrahlung sorgen seit dem Auftakt am Sonntag für extreme Bedingungen, im Mannschaftszeitfahren der Frauen steuerte die offensichtlich benommene Niederländerin Anouska Koster frontal in ein Absperrgitter, kam mit Prellungen und Abschürfungen im Gesicht jedoch zum Glück glimpflich davon.

„Die UCI hat das nicht durchdacht. Das hat keinen Sinn. Die Hitze, das ist unmöglich. Es ist wie in einer Sauna“, schimpfte Kosters Landsfrau Roxane Knetemann. Bis unmittelbar vor dem Start trugen die Fahrerinnen Eiswesten, dennoch berichteten einige von gemessenen Körpertemperaturen über 40 Grad während des Rennens. „Ich bin noch nie in solch einer Hitze gefahren. Du gehst an dein Limit und weißt nicht, was mit deinem Körper passiert“, klagte Olympiasiegerin Anna van der Breggen. Kritik gab es auch für die mangelnde medizinische Betreuung, teilweise mussten Fahrerinnen bis zu 20 Minuten auf ärztliche Hilfe warten.

Zu etwas späterer Stunde gingen dann die Männer auf die Strecke, trotz etwas erträglicherer Bedingungen fiel das Urteil ähnlich aus. „Es war unglaublich heiß. Nach 15 Minuten ist der Motor bei allen heißgelaufen, ab da war es eine einzige Quälerei“, sagt der Deutsche Tony Martin, der im Teambewerb mit Etixx-Quick-Step triumphiert hat und heute (13 Uhr, Eurosport, live) im Einzelzeitfahren seinen vierten Titel jagt.

Katars Weg zum Olympia-Traum

Mit der Vergabe an den Wüstenstaat ist der Radsportweltverband dem Lockruf der Sponsoren erlegen. „Wir wollen den Radsport in neuen Regionen der Welt verbreiten. Ich hoffe, dies ist die erste von noch vielen Weltmeisterschaften im Nahen Osten“, wurde UCI-Präsident Brian Cookson in einer katarischen Zeitung zitiert. Für Katar ist es nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Sportgroßmacht, den Auftakt machte im Vorjahr die Handball-WM. Bis zum vorläufigen Highlight, der höchst umstrittenen (siehe Artikel unten) und bereits in den Winter verlegte Fußball-WM 2022, folgen noch die Titelkämpfe in der Leichtathletik (2019) und im Schwimmen (2021). Der große Traum der Scheichs aber sind die Olympischen Spiele.

Die Radsport-WM ist nun der erste größere Testlauf in Katar unter freiem Himmel, das Thema Hitze ein heiß diskutiertes. Die 28-seitige Broschüre „Beat the Heat“ des besorgten Weltverbands sorgte im Vorfeld jedoch allenfalls für Spott und Hohn. „In heißen und/oder feuchten Umgebungen ist die Fähigkeit des Körpers zum Abkühlen eingeschränkt“, heißt es darin etwa, und den Profis wird zu rechtzeitiger Akklimatisierung sowie eiskalten Drinks oder Ventilatoren geraten, zudem der Flüssigkeitszustand im Urin anhand einer Farbskala illustriert.

Um der größten Sommerhitze zu entgehen, wurden die Veranstaltung bereits mehrere Wochen nach hinten verschoben, ein Wintertermin war im Gegensatz zur Fußball-WM nicht möglich, da die Radsaison Ende Oktober endet. Außerdem begleiten zwei zusätzliche Motorräder die Rennen und verteilen insgesamt etwa 10.000Trinkflaschen. Sollten alle Maßnahmen nicht fruchten oder die Temperatur die 40-Grad-Marke übersteigen, hat sich die UCI zudem die Möglichkeit vorbehalten, im für Sonntag angesetzten Straßenrennen der Männer die Wüstenpassage zu streichen und statt 257,5 nur noch 106 Kilometer auf dem Stadtkurs der künstlichen Insel The Pearl zu fahren.

Abseits der klimatischen Extreme hat Katar allerdings noch mit einem weiteren Problem zu kämpfen. Im Wüstenstaat hat Sport nicht gerade die größte Tradition, entsprechend gering ist das Zuschauerinteresse. Wurden für die Handball-WM noch eigens Spieler eingebürgert und Fans zugekauft, herrscht bei den Radrennen gähnende Leere, wie der neue Team-Weltmeister Martin feststellen musste: „Es ist natürlich schade, oben zu stehen, und es sind mehr Reporter als Fans um einen herum.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.