Boxen: Der Hilferuf eines Weltmeisters

Wladimir Klitschko v Tyson Fury WBA, IBF & WBO Heavyweight Title´s
Wladimir Klitschko v Tyson Fury WBA, IBF & WBO Heavyweight Title´s(c) REUTERS (Lee Smith)
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Tyson Fury, 28, will nicht länger Boxer sein. Der Brite trank, nahm Kokain, dachte oft an Suizid. Nun legte er alle WM-Titel zurück, um nur noch gegen seine Krankheit anzutreten.

Manchester/Wien. Für Insider des Boxsports war Tyson Fury lang nur ein Clown. Ein Sprücheklopfer aus Wythenshawe, Manchester, der Homosexuelle und Frauen bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit öffentlich anpöbelte. Ein Brite, der mit 2,06 Metern Körpergröße zwar sehr groß ist, dem allerdings Stehvermögen, Punch und Erfolg gefehlt haben. Diese Meinung veränderte sich auch kaum, als er am 28. November2015 Wladimir Klitschko die erste Niederlage seit 2004 beifügte und per einstimmigem Punktsieg Schwergewichtsweltmeister der Verbände WBA (Super-Champion), IBF, WBO und IBO wurde. Er fiel ohnehin nur durch Skandale, positive Dopingtests und Verletzungen weiter auf.

Zuletzt ließen Aussagen zu Kokain- und Alkoholmissbrauch aufhorchen. Dem „Rolling Stone“ sagte Fury, er sei „seit Jahren krank“. Drogen seien der einzige Ausweg, um mit „der diagnostizierten, manischen Depression klarzukommen. Ich hoffe, dass jemand mich tötet, bevor ich mich selbst töte.“ Nun legte Fury alle Titel zurück; „ich werfe sie in den Mülleimer“, erklärte er. Boxen widere ihn an, nur sei er nicht mehr Herr der Lage. Fury wolle nicht länger der „Gypsy King“ sein. Der „Zigeunerkönig“ habe keine Kraft, keine Lust mehr. Sein größter Gegner sei nun diese tückische Krankheit.

Weiterhin ein Tabuthema

Der Umgang im Spitzensport mit depressiven Athleten und Trainern ist heikel. Das Eingeständnis von Angst, Schwäche, fehlender Lust, all das ist nicht einfach zu bewerkstelligen – allein schon gar nicht.

Der Beispiele gibt es sonder Zahl, die ihre Depressionen oder andere psychische Krankheiten öffentlich gemacht haben. Ob Skistars wie Lindsey Vonn („Wenn ich körperlich erschöpft bin, können sich die Leere und die Traurigkeit in mir ausbreiten“), Manager wie Ralf Rangnick (2011, Burn-out), Fußballer wie der Deutsche Sebastian Deisler, Ex-Bayern-Spieler Breno, Australiens Schwimm-Ikone Ian Thorpe („Man sah meine Schwierigkeiten nicht“), die Tennisspielerinnen Jennifer Capriati und Andrea Petković, die Skisprungkapazunder Sven Hannawald und Alexander Pointner („Viele trauen sich nicht zum Arzt, weil sie denken, es könnten ihnen Nachteile entstehen“) etc. Dass sich Boxer aufgrund der vielen Schläge gröberen Krankheiten ausliefern, bedarf hier keiner weiteren Beschreibung. „Das Eingeständnis, depressiv zu sein“, sagt Pointner, „ist der erste Schritt aus diesem Tief.“

Topmanager, Spitzentrainer oder wie im Fall von Fury – die härtesten Schläger der Welt –, dürften davor keine Angst haben, ihre Schwächen offen zu zeigen. Man müsse Hilfe annehmen, sie auch akzeptieren, das sei kein Tabuthema. Man müsse ehrlich sein, brauche nichts zu verheimlichen. Sich zu outen ist kein Verbrechen. Der Umgang der Gesellschaft ist allerdings weiterhin schwierig. Es fehle mitunter das Verständnis, vom Arbeitgeber, von den Freunden.

Über 400.000 Österreicher

Drastischer formulierte es Hannawald 2014 bei seiner Buchpräsentation in Wien gegenüber der „Presse“: „Die Depression war ein Alarmsignal meines Körpers, ich musste doch etwas ändern. Nur wie? Aussteigen, der Klinikbesuch war meine letzte Chance.“

2009 sorgte in Deutschland der Suizid des Torhüters Robert Enke für Entsetzen und Fassungslosigkeit. 6,7 Millionen Menschen leiden nach Erhebungen der Stiftung, die ihm zu Ehren von Witwe Teresa Enke und dem DFB 2010 gegründet wurde, in Deutschland an Depressionen. In Österreich sind es laut Ärztekammer im September über 400.000 Menschen gewesen.

Tyson Fury stellt sich der Herausforderung, will seine Depressionen besiegen. Trainer und Onkel Peter Fury war vorerst dennoch gefragt, um den Ernst dieser Sache und die Krankheit an sich zu bestätigen. Der Boxer hatte mit lauthals verkündeten und wenig später kleinlaut wieder zurückgenommenen Rücktritten zuletzt viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Selbstmordgedanken werden im Profiboxsport jedoch ernst genommen. Der britische Profiboxverband kündigte an, Furys Lizenz einzuziehen, bis alle Untersuchungen abgeschlossen sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2016)

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