Bernhard Eisel: „Eine Kurve beißt nicht“

Nicht nur für Bernhard Eisel ist Titelverteidiger Chris Froome bei der 104. Auflage der Tour de France der Mann, den es zu schlagen gilt.
Nicht nur für Bernhard Eisel ist Titelverteidiger Chris Froome bei der 104. Auflage der Tour de France der Mann, den es zu schlagen gilt.(c) Dimension Data/Richard Tanzer
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Als Routinier im Sattel spricht Bernhard Eisel über den Genussfaktor der Tour de France, technische Defizite der heutigen Profis und die rosigen Aussichten für den heimischen Radsport.

Sie stehen vor Ihrer zwölften Teilnahme an der Tour de France. Ist das alles längst Routine oder noch etwas Besonderes?

Bernhard Eisel: Solange man nicht von der Rampe fährt, ist man nicht dabei. Aber momentan schaut es sehr gut aus, und die Tour ist immer etwas Besonderes. Vor allem heuer, wenn erstmals nach 30 Jahren wieder der Grand Depart in Deutschland stattfindet. Das ist ein echtes Lebenszeichen für den Radsport, die Stimmung in Düsseldorf wird unglaublich sein. 

Wie sehr kommt Ihre Erfahrung schon in der Vorbereitung zum Tragen?

Sehr viel, es stresst mich nicht mehr. Ich weiß, was ich tun und wo die Form sein muss, was sich das Team von jemandem wie mir erwartet. Für das Team hängt die Zielsetzung vom Start von Mark Cavendish ab. Derzeit schaut es gut aus, bei einer Viruserkrankung wie dem Pfeiffer'schen Drüsenfieber kann man es aber nie sagen, zumal er nicht zur Tour fährt, um Zweiter zu werden. Wenn er nicht dabei ist, bekomme ich vielleicht ein oder zwei Chancen. Allerdings: Wie viele Fluchtgruppen kommen bei der Tour an? Ein oder zwei in den Bergen – das habe ich einmal probiert, das ist nicht meins.

Sie kennen die Strapazen, die Sie in den drei Wochen erwarten werden, nur zu gut. Hat die Tour überhaupt einen Genussfaktor?

Man hat schon ab und zu Zeit, das Ganze zu genießen. Touristisch ist immer wieder etwas dabei, auch für den Magen. Im Team fährt ein eigener Koch mit, aber den ein oder anderen Käse werde ich schon probieren. Wer so etwas nicht macht, weil er Angst hat, dass er das nicht verträgt, tendiert meiner Meinung nach zu Hypochondrie. Natürlich würde ich nicht bei 40°C irgendwo in der Landesmitte Austern bestellen, aber sonst sehe ich kein großes Risiko. Auch ein Glas Wein wird die Form nicht zerstören.

Als große Favoriten gelten Chris Froome und Richie Porte. Sie kennen beide aus Sky-Zeiten, wie schätzen Sie die Chancen ein?

Wenn es normal läuft und nicht ein Sturz entscheidet, dann sind die beiden ganz vorn dabei. Auch Fabio Aru könnte eine Rolle spielen. Froome hat jedenfalls einen großen Vorteil: Er hat die Tour schon dreimal gewonnen und bewiesen, dass er die Form über drei Wochen halten kann. Porte hat es noch nie geschafft, länger als eine Woche schnell Rad zu fahren. Für ihn spricht dafür vielleicht der Hunger. Froome muss jedes Jahr das Gleiche machen, sich wieder neu motivieren, während Medien und Sponsoren immer noch ein Stückerl mehr haben wollen.

Hinter Froomes Triumphen stand stets auch eine starke Teamleistung von Sky. Welchen Faktor wird die Mannschaft heuer haben?

Sie sind nicht so viel stärker als die anderen, aber sie machen es richtig: das Trikot früh holen, ihre Taktik runterfahren und sich nicht beirren lassen. Es ist leichter, das Rennen zu diktieren als zu reagieren. Vorn wegzufahren, das ist der moderne Radsport: Man sieht das Gelbe Trikot vorn fahren und fünf Züge daneben, das ist peinlich. In jeder Ortschaft ist ein Gedränge, weil jeder vorn hineinfährt, um nur ja den Kapitän nicht zu verlieren. Entspannt ist inzwischen nur noch die letzte Woche, wenn jeder weiß, wo er hingehört und auch dort fährt. Bei der Tour glauben immer noch jedes Jahr 15 Leute, sie könnten gewinnen, und zehn erzählen das auch ihrem Teamchef.

Was ist die Ursache dieser Entwicklung?

80 Prozent der Profis können nicht mehr Rad fahren. Es läuft etwas falsch, wenn ich einem Klassementfahrer viel Geld zahle und der dann Panik hat, bergab zu fahren. Das Hauptaugenmerk liegt nur noch auf Wattzahlen und darauf, als Erster über den Berg und dann so vorsichtig wie möglich hinunterzukommen. Wer im Training bergab nie ans Limit geht, der tut sich im Rennen dann auch schwer. Aber so eine Kurve, die beißt nicht. Leider wird sich daran nichts mehr ändern, das ist die Entwicklung des Sports.

Positiv entwickelt haben sich die heimischen Radsportler. Wie haben Sie den Giro-Etappensieg von Lukas Pöstlberger erlebt?

Wenn er sich noch einmal umgedreht hätte, wären wir zum Giro gefahren und hätten ihn geschlagen – allein nerventechnisch (lacht). Er hatte ein unglaubliches Bein und hätte es sich verdient gehabt, das Rosa Trikot länger als nur einen Tag zu tragen. Generell sind alle Österreicher sehr stark gefahren.

Wird es künftig öfter rot-weiß-rote Tagessiege bei großen Rundfahrten geben?

Wir haben wieder eine Generation, die in den Bergen mitmischen kann. Die Motivation für die Heim-WM (Anm. Innsbruck 2018) hat den Ausschlag gegeben, und jetzt sind sie im richtigen Alter. Und wenn einer stark fährt, pusht das die anderen. Ich werde selbst fast nervös, wenn die anderen so stark fahren. Man kann nur hoffen, dass es so weitergeht und die Jungs einen kühlen Kopf bewahren.

International ist der Radsport im Aufschwung, die Österreich-Rundfahrt aber steckt weiter in der Krise. Woran liegt das?

Es ist vieles schiefgelaufen, wo die Fehler im Detail liegen, sollen sich die Veranstalter ausmachen. Der Markt ist definitiv da, am Verständnis für Radsport in Österreich muss man noch arbeiten. Wir haben 20 Profis, die in der Weltspitze mitfahren, das kann keine andere Sportart leisten. Fußballlegionäre spielen sieben Minuten, und alle Zeitungen schreiben darüber. In meiner Heimat, Kärnten, ist Eishockey Religion, aber bei Berichten im Sommer frage ich mich schon: Ist man zu faul, oder will man nicht über den Tellerrand schauen? Wenn die Ergebnisse so bleiben, wird sich der Radsport in Zukunft ohnehin nicht umgehen lassen, aber die Jungs hätten sich schon jetzt eine andere Plattform verdient. Georg Preidler hat mit Tom Dumoulin den Giro gewonnen. Das ist vielleicht nicht die Champions League, aber ein Europa-League-Finale – und ein Österreicher hat nicht nur 90 Minuten, sondern 90 Stunden mitgewirkt.

Steckbrief

Bernhard Eisel
wurde am 17. Februar 1981 geboren. Über seinen Bruder kam er zum Radsport, mit elf Jahren gewann er sein erstes Rennen.

Karriere
2001 wurde Eisel Profi beim Team Mapei, es folgten unter anderem Engagements bei T-Mobile (2007–2011) und Sky (2012–2015). Seit 2016 steht er beim südafrikanischen Rennstall Dimension Data unter Vertrag.

Erfolge
Eisel feierte in jüngeren Jahren mehrere Etappensiege, zuletzt 2008 bei der Algarve-Rundfahrt. 2010 gewann er den Klassiker Gent–Wevelgem.

Grand Tours
Er nahm bislang elfmal an der Tour de France teil und war Mitglied des siegreichen Sky-Teams um Bradley Wiggins 2012. Beim Giro ging er viermal, bei der Vuelta dreimal an den Start.

Privat
lebt Eisel in Klagenfurt und hat mit Ehefrau Tanja eine Tochter.

?Dimension Data/Richard Tanzer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2017)

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