Die Kletterfestspiele der Radsportler

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Die Rad-WM in Tirols Bergen lockt mit anspruchsvollen Rennen. WM-Botschafter Thomas Rohregger spricht über Streckendesign, Werbewert und Medaillenhoffnungen des Heimevents.

Das WM-Fieber in Innsbruck hält an: Eine Woche, nachdem die Kletterer die Tiroler Landeshauptstadt in ihren Bann gezogen haben, sind nun die weltbesten Radsportler zu Gast. Den Auftakt zur 85. Rad-WM machen heute das Mannschaftszeitfahren der Frauen (zehn Uhr) und Männer (14.30 Uhr, jeweils live in ORF Sport plus), als Höhepunkt wird am nächsten Sonntag im Straßenrennen das begehrte Regenbogentrikot an den neuen Weltmeister vergeben. „Wir wollen den Schwung der Kletter-WM mitnehmen. Vorfreude und Puls steigen, alles ist auf Kurs“, berichtet Thomas Rohregger. 2006 bei den Titelkämpfen in Salzburg war der Ex-Radprofi noch als Aktiver dabei, zwölf Jahre später fungiert er als WM-Botschafter und zeichnete für das Streckendesign verantwortlich.

Bei der Bewerbung war klar, dass der Radsportweltverband (UCI) nach den zuletzt sprinterfreundlichen Titelkämpfen in Richmond, Doha und Bergen diesmal den Kletterern entgegenkommen wollte. „In Tirol liegt es auf der Hand, dass man die Berge zeigen will“, sagt Rohregger. Abgesehen von der Maximaldistanz lässt das UCI-Regulativ den jeweiligen WM-Organisatoren völlig freie Hand, und das Tiroler Ergebnis kann sich sehen lassen: die wohl anspruchsvollste WM seit 1995, als die Höhenlage in Kolumbien für extreme Bedingungen gesorgt hat.

Zwischen Gnadenwald und Höll. Schon das Zeitfahren ist gespickt mit topografischen Tücken. Im Teambewerb ist angesichts von Spitzengeschwindigkeiten von 60 km/h der Einsatz von Spezialkettenblättern nötig, der Anstieg nach Axams komplettiert die taktische Herausforderung an die Mannschaften. „Es gilt einen guten Mix aus schnellen und kletterstarken Fahrern zu finden“, erklärt der Sieger der Österreich-Rundfahrt 2008. Das Einzelzeitfahren tituliert Rohregger als „Hochgeschwindigkeitsrennen“, technisch zwar wenig anspruchsvoll, dafür aber lang und großteils mit Rückenwind. Schlüsselstelle ist der Anstieg nach Gnadenwald im letzten Drittel. „Der Name passt, es geht wirklich um die Leiden“, scherzt Rohregger.

Das unumstrittene Highlight wartet in der Königsdisziplin des Straßenrennens auf. Auf 258,5 km gilt es 4670 Höhenmeter zu absolvieren, nach sieben Runden auf dem Olympiakurs rund um Innsbruck wartet mit der Höttinger Höll der finale Härtetest: Der 3,2 km lange Anstieg weist bis zu 28 und im Schnitt 11,5 Prozent Steigung auf. „Das ist eine extreme Herausforderung, da spürt man jeden Muskel“, weiß Rohregger aus eigener Erfahrung. An seine erste Fahrt die Höll hinauf erinnert er sich noch ganz genau. „Ich habe sieben Jahre lang gleich daneben gewohnt. Der Erstkontakt erfolgte zu Fuß in Laufschuhen und ich habe mir nur gedacht: ,Bist du deppat, das ist extrem steil.‘“ Er behielt sich den Abschnitt fortan im Hinterkopf und baute ihn schließlich als Schlüsselstelle in einen ohnehin bereits schwierigen, unrhythmischen WM-Kurs ein. „Es wird ein volles Ausscheidungsrennen.“

"Die Presse"-Grafik

Um das Rampenlicht der WM-Bühne voll auszunützen, haben die Veranstalter möglichst viele Startorte eingebaut. Von einer „operativen Meisterleistung“ spricht Rohregger in Bezug auf die dafür nötigen Straßensperren und den zusätzlichen Organisationsaufwand und lobt die Zusammenarbeit mit den Behörden. „Das macht es nicht einfacher, aber wir zeigen viel von Tirol her. Das ist eine tolle Werbung“, sagt der 35-Jährige. Schließlich wird die WM in 150 Ländern übertragen. Neben den geschätzten 250 Millionen TV-Zuschauern wird auch mit einem großen Andrang entlang der Strecke gerechnet, auf Zahlen will sich Rohregger jedoch nicht festlegen. „Wir hoffen, dass der Wettergott uns gnädig gestimmt ist“, meint der fünffache Grand-Tour-Teilnehmer. Die Lage im „Herzen des europäischen Radsports“ werde Franzosen, Italiener und Deutschen anlocken – und auch in Österreich sei die Begeisterung für den Sport in den letzten Jahren enorm gewachsen. „Früher war man mit Rennrad ein Exot, jetzt begeistern sich Jung und Alt, und auch viele Frauen, dafür“, sagt Rohregger.

ÖRV-Profis im Aufwind. Die Hoffnungen der österreichischen Fans werden allen voran vom Männeraufgebot getragen. Patrick Konrad, Lukas Pöstlberger, Gregor Mühlberger, Felix Großschartner (alle Bora), Michael Gogl (Trek) und Georg Preidler (Groupama-FDJ) haben sich auf höchster Ebene etabliert und begeistern auch den Exprofi. „Es ist sensationell, was wir jetzt für ein Fahrerkollektiv haben. Der Nationaltrainer hatte Riesenprobleme bei der Auswahl, das zeigt, wie gut sich der Radsport in Österreich entwickelt hat“, schwärmt Rohregger, der die WM als ORF-Experte begleiten wird.

Eine Medaille für Kapitän Konrad, der beim diesjährigen Giro d'Italia Siebenter wurde und zuletzt bei zwei World-Tour-Rennen in die Top Ten fuhr, hält er keinesfalls für vermessen. „Bei einem Eintagesrennen muss natürlich alles zusammenpassen, aber die Jungs sind gut vorbereitet und haben eine gewisse Routine.“ Natürlich sei der Druck bei Heimrennen größer, die Fans würden dafür beflügeln. Die größte Chance auf Edelmetall aber sieht er in Mountainbike-Juniorenweltmeisterin Laura Stigger, die sich bei den Juniorinnen erstmals auf die Straße wagt. „Sie ist extrem gut drauf, von ihr erwarte ich mir einiges“, so Rohregger. Kürzlich ist er mit der 17-Jährigen eine Runde gefahren. „Nachher habe ich mich erst einmal hinsetzen müssen.“

Zahlenspiel

1000

Athleten
werden in den zwölf Medaillenentscheidungen in den kommenden acht Tagen an den Start gehen.


60

Kilometer/Stunde
erreichen die Profis im Mannschaftszeitfahren, dabei kommen bei den Rädern Spezialkettenblätter zum Einsatz.


28

Prozent Steigung
weist die steilste Stelle der Höttinger Höll im abschließenden Straßenrennen der Männer auf.


Thomas Rohregger
gewann als Radprofi 2008 die Gesamtwertung der Österreich-Rundfahrt und ging viermal beim Giro und einmal bei der Vuelta an den Start. 2013 beendete er seine aktive Karriere. Bei der Heim-WM in Tirol fungiert der 35-Jährige als Botschafter und Streckendesigner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2018)

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