Andrea Mayr: "Steffi Graf sollte Posten aufgeben"

Andrea Mayr Steffi Graf
Andrea Mayr Steffi Graf(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Marathonläuferin und Ärztin Andrea Mayr kritisiert im Gespräch mit der "Presse", dass Steffi Graf noch immer Vorstand der Sporthilfe sitzt. Diese hat wiederholt dementiert, zu Dopingmitteln gegriffen zu haben.

Wir sitzen hier in einer Konditorei. Passen Torten und Süßigkeiten überhaupt in Ihren Ernährungsplan?

Ich darf alles essen. Und meistens esse ich von allem sehr, sehr viel.

Sie treten in der Öffentlichkeit als vehemente Dopinggegnerin auf. Wie oft werden Sie im Jahr getestet?

Ich bin im Vorjahr fast zwanzigmal getestet worden. Ich werde vom Nationalen Antidopingkomitee getestet, vom Internationalen und dann noch bei den Wettkämpfen.

Glauben Sie, dass das ausreichend ist?

Das sagt zwar jeder, aber Doping ist für mich absolut tabu. Deswegen denke ich auf der einen Seite, für mich ist die Anzahl der Tests ausreichend. Wie oft wollen die Kontrolleure noch feststellen, dass ich nichts nehme? Aber dann denke ich wieder, sie sollten nicht nur Urintests nehmen, sondern auch Blut abnehmen. Weil Eigenblutdoping ja nur bei der Blutabnahme feststellbar ist. Und von denen hab ich viel zu wenige. Und wenn die NADA noch mehr überlegt, wann welcher Sportler am ehesten manipulieren würde, könnte man viel Geld sparen und erfolgreicher sein. Für den Sport insgesamt ist jeder erwischte Doper längerfristig ein Erfolg, auch wenn kurzfristig alle jammern.

Sie haben sich gegen Steffi Graf als Aushängeschild einer Antidopingkampagne ausgesprochen. Dass Graf weiterhin im Vorstand der Sporthilfe sitzt, stört Sie nicht?

Ich bin nach wie vor der Meinung, die ich im letzten Jahr vertreten habe. Mich wundert, dass sie noch immer in diesem Gremium sitzt. Nun, da sie zugegeben hat, bei Humanplasma gewesen zu sein, hoffe ich, dass sie langsam, aber sicher diesen wichtigen Posten aufgibt. Sie hat natürlich schon längst aufgehört mit dem Sport. Ich bin der Meinung, dass man nicht jede Vergangenheit wieder aufrollen muss. Aber in ihrem Fall stört mich, dass sie sich oft öffentlich äußert. Es ist ja auch sehr österreichisch, dass sie zwar als Aushängeschild einer Sporthilfe-Antidopingaktion offensichtlich untragbar ist, aber trotzdem weiter im Vorstand bleibt. Oder dass sie Leistungen von österreichischen Leichtathleten bei Olympia kritisiert, weil diese von Medaillen meilenweit entfernt sind. Sie hat nicht das Recht, diese Leistungen mit ihren zu vergleichen. (Steffi Graf hat wiederholt dementiert, zu Dopingmitteln gegriffen zu haben. Die Nationale Antidopingagentur prüft, ob gegen Graf ein Dopingverfahren eingeleitet werden soll. Anmerkung der Redaktion.)

Fühlen Sie sich als österreichische Spitzensportlerin im Ausland als Dopingsünderin gebrandmarkt?

Steffi Graf und Doping waren in Österreich zum Beispiel jahrelang ein Tabuthema. Das hat man nicht in den Mund nehmen dürfen. Aber jedes Mal, wenn ich im Ausland war, wurde ich von anderen Sportlern darauf angesprochen. Und auch, als die ganze Geschichte mit Walter Mayer, Stefan Matschiner und Humanplasma aufgekommen ist, war allein die Tatsache, dass man Österreicher war, schon verdächtig.

Ist das jetzt immer noch so?

In letzter Zeit bin ich nicht mehr darauf angesprochen worden. Das Schlimme ist, dass ich persönlich wenig gegen die Verdächtigungen tun kann. Ich kann zwar sagen, ich habe nichts genommen, aber das tut eh jeder. Und jeder, der den Mund aufmacht in Sachen Doping, wird angefeindet.

Wird genug gegen Doping getan?

Ich habe das Gefühl, dass in Österreich ein großer Schritt nach vorn getan wurde, als Norbert Darabos Sportminister geworden ist. Aus dem Grund, weil er völlig neu in diesem Ressort war. Keine Vergangenheit in dieser Sparte hatte. Darabos hat meiner Meinung nach schon mutig sein müssen. Weil es nur wenige Leute gibt, die keinen dopenden Sportler wollen. Österreich will Erfolge haben, egal, wie sie zustande kommen. Solange die Öffentlichkeit glaubt, die Sportler seien sauber, und es keinen Skandal gibt. Der Sponsor will auch Erfolge sehen und die Zuschauer wollen ein Spektakel. Angeschmiert sind jene, die sauber sind.

Ist man als Ärztin eher davor gefeit, zu Dopingmitteln zu greifen?

Ich kann nur für mich sprechen. Ich könnte Doping moralisch nicht vertreten. Und ich sehe Laufen immer noch als mein Hobby und mache es nur für mich selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, am Heldenplatz ins Ziel zu laufen und mich zu freuen, wenn ich weiß, dass ich diese Leistung nicht sauber erbracht habe. Aber ja, das Wissen um die ganzen Nebenwirkungen ist ein zusätzliches Hindernis. Und als Arzt hat man eine Vorbildwirkung.

Doping ist auch im Hobbysport ein Problem. Ist der Selbstbetrug ein Auswuchs unserer Leistungsgesellschaft?

Ich finde, wenn Hobbysportler dopen, stehen die Betrugsdelikte erst einmal nicht im Vordergrund. Aber ich weiß von Radfahrern, die dopen, um am Wochenende schneller den Berg hinauffahren zu können. Das finde ich völlig absurd, da fehlt mir jegliches Verständnis. Das nimmt Ausmaße an, bei denen man denkt, da gehört einmal eine richtige Aufklärung her. Weil die gesundheitlichen Folgen den Menschen ja nicht bewusst sind. Und im Grunde ist das unser Hobby. Das ist einfach ein irrsinniger Selbstbetrug.

Doping ist das eine Problem im österreichischen Sport. Der fehlende Nachwuchs, vor allem in der Leichtathletik, das andere. Wieso tut sich in diesem Bereich so wenig?

Das stimmt, die Breite fehlt. Ich verstehe das auch nicht ganz. Weil mittlerweile Laufen nicht mehr uncool ist. Als ich in der Schulzeit gelaufen bin, war das nichts, womit man angeben konnte. Jede andere Sportart ist bei Jugendlichen prinzipiell schon auch zum Angeben da. Wenn ich so in der Hauptallee laufe, hab ich schon das Gefühl, dass es sehr beliebt ist. Aber vielleicht noch nicht bei Kindern.

Was läuft da schief? Fehlt dem Nachwuchs das Durchhaltevermögen?

Ich kann da nur aus meiner Erfahrung sprechen. Meine Eltern haben schon früh mit uns begonnen Sport zu treiben. Wahrscheinlich muss man mit Bewegung aufwachsen, damit es später Spaß macht. Kinder sind grundsätzlich bewegungshungrig. Man kann diesen Hunger den Kindern aber leider auch wieder abgewöhnen.

Wird in den Schulen zu wenig getan?

Ich glaube nicht, dass die Schulsportstunden das Optimale sind. Vor allem, was die Qualität und die Wichtigkeit betrifft. Das größte Ziel bei uns Mädels war, dass man möglichst in drei von vier Wochen die Regel hatte, damit man nicht turnen musste. Wenn man völliger Nichtläufer ist und das erste Mal läuft, dann macht das zuerst überhaupt keinen Spaß. Man muss eine gewisse Anzahl an Läufen durchhalten, erst dann wird es lustig. Dieses Durchhaltevermögen braucht man schon.

Zum einen gibt es beim Wien-Marathon mehr Nennungen als je zuvor, zum anderen ist jedes vierte Kind Österreichs übergewichtig – wie passt das zusammen?

Vielleicht kommt das Bewusstsein für Sport und Fitness erst wieder, wenn man erwachsen wird. Erst zwischen 20 und 30 wollen die Leute wieder fitter sein. Aber bei den Jugendlichen ist das anscheinend kein großes Thema. Und ich muss gestehen, wenn ich ein junges Mädel laufen sehe, dann schaue ich ihr nach, weil das noch immer so eine Überraschung ist für mich.

Wie viel trainieren Sie pro Woche?

In Stunden kann ich das gar nicht sagen, aber es sind immer plus/minus 200 Kilometer.

Wieso tut man sich diesen Aufwand an? Sie sind ja auch Ärztin.

Ich habe im Juli 2009 im Heeresspital zu arbeiten begonnen. Weil ich mich eben nicht entscheiden konnte zwischen Laufen und Arbeiten. Das ist jetzt die optimale Zwischenlösung. Ich hab mir aber ab Jänner drei Monate frei genommen, um für den Marathon zu trainieren. Aber wenn man nicht arbeitet, ist der Trainingsaufwand überhaupt kein Problem. Es ist im Grunde viel weniger Arbeit als ein normaler 40-Stunden-Job. Also führt man als Profisportler ein ziemliches Luxusleben. Während der Arbeit ist es aber natürlich so, dass ich extrem diszipliniert sein muss. Da wird viel hinten angestellt, und die ganzen sozialen Kontakte müssen bis zum Wochenende warten.

Können Sie vom Laufen leben?

Mit dem Gehalt vom Heeresspital komme ich auf jeden Fall aus, aber ich würde auch auskommen mit dem, was ich durch das Laufen verdiene. Es ist aber nicht so, dass ich mir großartig etwas auf die Seite legen kann. Ausgesorgt habe ich also nicht. Aber das ist auch nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, wenn ich mit dem Laufen aufhöre, dass ich dann den Umstieg in das Berufsleben gut schaffe. Ich will ja nachher nicht nichts tun, ich möchte einen Beruf ausüben.

Welche Bedeutung hat der Sport in Ihrem Leben?

Der Sport ist zwar nicht das Wichtigste in meinem Leben, aber er ist schon sehr wichtig. Ich hab schon öfters überlegt: Jetzt sollte ich langsam aufhören und mich mehr der Medizin widmen. Ich habe es mir schon so oft vorgenommen und nie zusammengebracht. Der Gedanke daran aufzuhören tut noch irrsinnig weh.

Welche Bestzeit steckt in Ihnen, wie schnell können Sie einen Marathon absolvieren?

Wenn ich die optimale Vorbereitung habe, und an dem Tag alles zusammenpasst – vielleicht, dass noch ein „Siebener“ davor steht: 2:27:59 Stunden. Aber auf keinen Fall diesen Sonntag. Vielleicht auch nie. Aber das traue ich meinem Körper zu – unter optimalen Bedingungen.

Welche Zeit peilen Sie beim Vienna City Marathon an?

Es wäre wunderschön für mich, wenn ich im Ziel eine neue Bestzeit (2:30:43 Stunden, Anm.) hätte. Unter der 2:30-Grenze zu bleiben, ist das Ziel. Mir ist aber klar, dass alles passen muss. Und ich hoffe, dass kein Wind geht. Wind ist böse bei einem Marathon.

Wie wichtig sind Ihnen Rekorde?

Rekorde sind immer etwas Schönes. Vor allem, wenn man sie erreicht hat. Aber ich bin Realist: Rekorde sind für mich nur dann schön und wichtig, wenn ich auch eine Chance habe, sie zu erreichen. Aber ich nehm mir jetzt nicht vor, den 10.000-Meter-Rekord zu schaffen, weil ich weiß, das kann mein Körper nicht.

Ist ein Rekord wichtiger als ein Sieg?

Nicht die Rekorde sind wichtig, es ist die Zeit. Weil ich meine Platzierung beim Wien-Marathon nicht beeinflussen kann. Wenn Paula Radcliffe läuft, ist Paula Radcliffe vor mir. Das steht einfach hundertprozentig fest. Aber meine Leistung wird dadurch nicht schlechter. Deswegen steht für mich die Zeit immer an erster Stelle. Natürlich war es wunderschön, voriges Jahr auch noch zu gewinnen. Aber das liegt ja nicht wirklich in meiner Macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2010)

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