Die strittige Definition von Gerechtigkeit in der Leichtathletik

Caster Semenya
Caster SemenyaAPA/AFP/KARIM JAAFAR
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Das CAS-Urteil zum Testosteron-Limit für Frauen in bestimmten Laufdisziplinen schürte viele Emotionen. Caster Semenya läuft unbeirrt gegen die Widerstände und Vorurteile an.

Lausanne/Doha. Zum letzten Mal ist Caster Semenya beim ersten Diamond-League-Meeting des Jahres unter den alten IAAF-Regeln gestartet, in 1:54,98 Minuten feierte die dreifache Weltmeisterin und zweifache Olympiasiegerin über die 800 Meter einen überlegenen Sieg. Ab 8. Mai tritt eine neue Vorschrift in Kraft, wonach der Leichtathletik-Weltverband auf Laufstrecken zwischen 400 Metern und einer Meile aufgrund eines Urteils des internationalen Sportgerichtshofes CAS eine Testosterongrenze für Frauen festlegen darf, deren Körper ungewöhnlich viel von dem Sexualhormon produziert. Athletinnen wie Semenya müssen künftig also ihren Hormonspiegel mit Medikamenten senken, wenn sie bei den Frauen starten wollen.

Die Diskussion über Intersexualität, über nicht eindeutig festzulegende Grenzen zwischen den Geschlechtern hat spätestens mit diesem Spruch auch den Sport erreicht. Obgleich die britische Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe das Urteil verteidigt, weil der Frauensport Regeln benötige, um ihn zu schützen, überwiegt die teils heftige Kritik. Semenya habe nichts Falsches getan, und es sei schrecklich, dass sie nun Medikamente nehmen müsse, beklagte Tennislegende Martina Navratilova. „Schade, dass Gerichte mit Verstand und nicht mit Empathie entscheiden“, sagte der Deutsche Balian Buschbaum, der als Yvonne Buschbaum vor einer Geschlechtsangleichung als Stabhochspringerin erfolgreich war. „Mich würde interessieren, was Usain Bolt sagen würde, wenn man ihm Hormone gäbe, damit seine Beine schrumpfen“, fügte Buschbaum hinzu.

Semenya selbst sagte nach ihrem Sieg, sie werde „auf keinen Fall“ mit medizinischen Präparaten ihren Testosteronwert senken. Den Sport verlassen werde sie aber nicht. „Am Ende wird Gott es entscheiden. (...) Kein Mensch kann mich vom Laufen abhalten.“ Sie glaube an ihre Anwälte. „Wir machen das für die nächste Generation. Wir wollen sie inspirieren.“ Die mittlerweile 28-jährige Südafrikanerin landete 2009 wie ein Komet in der Szene, als sie mit einer Zeit von 1:55,45 Minuten 800-Meter-Weltmeisterin wurde. Semenya pulverisierte ihre Bestzeit innerhalb eines Jahres um fast neun Sekunden, vergleichbar mit einem 100-Meter-Sprinter, der sich von mittelmäßigen 10,77 auf 9,99 Sekunden steigert.

Neue Regel diskriminierend

2011 erließ der Weltverband eine neue Richtlinie für Grenzwerte, wonach Athletinnen mit mehr als zehn Nanomol Testosteron pro Liter Blut ihren Hormonhaushalt drosseln müssen. In der Folge lief Semenya ihrer Bestzeit weit hinterher. Vier Jahre später setzte der CAS die umstrittene Regelung aufgrund der Klage einer disqualifizierten indischen Leichtathletin wieder aus. Die IAAF solle doch wissenschaftliche Beweise für einen deutlichen Leistungsvorteil von hyperandrogenen Athletinnen liefern, lautete der Auftrag an den Verband. In der Folge lief die 800-Meter-Spezialistin wieder zu neuen Bestzeiten, doch Spekulationen um ihre abermalige Leistungsexplosion blieben im Fokus. Nach ihrem WM-Sieg 2017 in London sagte sie: „Wenn ich pinkle, pinkle ich wie eine Frau. Ich weiß, dass ich eine Frau bin.“

Indessen legte die IAAF im Juli 2017 eine umstrittene Studie vor, wonach Frauen mit hohen natürlichen Testosteronwerten in einigen Disziplinen einen Wettbewerbsvorteil von bis zu 4,5 Prozent haben. Der natürliche Wert ist bei Frauen üblicherweise deutlich geringer als fünf Nanomol in einem Liter Blut, was nun auch als neuer Testosteron-Grenzwert festgelegt wurde. Die neue Regel sei zwar diskriminierend, aber ein notwendiges, vernünftiges und angemessenes Mittel, begründeten die Sportrichter ihre Entscheidung. Nur so könne das Ziel des Weltverbandes erreicht werden, die Integrität weiblicher Athleten in den fraglichen Wettbewerben aufrechtzuerhalten.

Der südafrikanische Verband will in Kürze entscheiden, ob das Urteil angefochten wird. Der CAS sieht in dem umstrittenen IAAF-Paragrafen ein „lebendes Dokument“, das bei neuem Beweismaterial jederzeit zugunsten der Athletinnen mit Differences of Sex Development (DSD) kassiert werden könne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2019)

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