Krankenkasse zahlt für gesunde Spitzensportler

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Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen vier Ärzte des Österreichischen Skiverbands. Es geht weniger um Doping, sondern vielmehr um Spitzensport auf Krankenschein und Rezept. Eine Analyse.

Anfang Juni ist keine gute Zeit für den Österreichischen Skiverband (ÖSV). Ziemlich genau vor einem Jahr, am 3. Juni 2009, beschloss die Staatsanwaltschaft in Turin, gegen zehn aktive und ehemalige ÖSV-Mitarbeiter Anklage zu erhaben. Seit Oktober des Vorjahres müssen sich unter anderem ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel und Biathlon-Direktor Markus Gandler vor einem italienischen Gericht wegen der Dopingaffäre im Lager der heimischen Langläufer und Biathleten bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin verantworten. Der Prozess wird von den ÖSV-Anwälten ins Lächerliche gezogen. Da ist von „italienischen Verhältnissen“ die Rede, von einem „Schauprozess“ sogar. „Rechtsstaatlich ist das ein Skandal“, erklärte Schröcksnadels Staranwalt Manfred Ainedter.

Fast auf den Tag genau ein Jahr später sieht sich der mächtige Skiverband schon wieder mit einem von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungsverfahren konfrontiert. Gegen vier ÖSV-Ärzte aus dem Betreuerteam der Langläufer laufen Erhebungen. Es bestehe der Verdacht auf Vergehen gegen das Anti-Doping-Gesetz, auch ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz und Betrug stünden im Raum, heißt es bei der Staatsanwaltschaft. Und die ermittelnde Behörde sitzt diesmal nicht in Turin, sondern in Wien. Mit den Erhebungen sind Kriminalbeamte der ehemaligen Sonderkommission Doping betraut. Der ÖSV will sich Anfang der Woche zu den jüngsten Entwicklungen äußern.

Im Oktober vergangenen Jahres wurde die Geschichte von dem auffällig hohen Bedarf an Arzneimitteln bei den österreichischen Langläufern in der Öffentlichkeit bekannt. Jahrelang deckten sich die Mediziner im ÖSV-Stab im Krankenhaus St. Johann in Tirol und in der Stadt-Apotheke in Radstadt mit Medikamenten ein. Diese Dinge passierten nicht im Geheimen, wie man annehmen sollte. Im Gegenteil: Die Medikamente für die österreichischen Spitzensportler wurden alle offiziell besorgt, offiziell genehmigt und verrechnet. Das allein sei ein klares Indiz dafür, dass es sich hier nicht um Doping handeln kann, heißt es. Im ÖSV betont man ausdrücklich, dass die medizinischen Behandlungen stets im Einklang mit den internationalen Anti-Doping-Richtlinien stattgefunden haben.


Rezepte für gesunde Spitzensportler. Diese genaue Dokumentation liegt nun auch den ermittelnden Beamten vor. Die Liste der Medikamente scheint nämlich bei der Bundesversicherungsanstalt auf. Da ging es unter anderem um Aminosäure, Glukose und konzentrierte Vitamin-C- und Vitamin-B-Präparate. Die behandelten Athleten sind nämlich allesamt Angestellte des Bundesheers. Und die Krankenkasse der Staatsdiener kam für einen Teil der Medikamente auf.

Behandelt wurden keine Krankheiten und Verletzungen im herkömmlichen Sinne, sondern Symptome, die im harten Training eines Spitzensportlers eben auftreten. Schmerzen, Muskel- und Magenkrämpfe, Dehydrierung. Wenn die Athleten die Strapazen des Hochleistungssports nicht mehr ertragen konnten, lag für die medizinischen Betreuer ein „Notfall“ vor, und dann wurden Infusionen gesetzt, Injektionen verabreicht. Aber nicht alle Medikamente wurden von der Krankenkasse bezahlt. In diesem Falle kam der ÖSV für die Kosten auf.

Ob diese Praktiken unter Doping fallen, ist schwer zu beantworten. Die internationale Anti-Doping-Agentur Wada verbietet Sportlern Infusionen, außer es handelt sich um legitime ärztliche Indikationen. Mit anderen Worten: Es muss eine Erkrankung oder Verletzung vorliegen. Stellt sich die Frage: Ist es eine Krankheit, wenn ein Leistungssportler im Zuge einer harten Trainingseinheit zusammenbricht?Ist es Doping, weil durch die Verabreichung von Medikamenten das Trainingspensum erhöht und damit die Leistung gesteigert wird?

Nicht minder spannend scheint die Frage, ob eine Krankenkasse die Medikamentekosten für kerngesunde Spitzensportler übernehmen soll. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob ein Betrug vorliegt und ob die Sozialversicherung der Bundesheerbediensteten geschädigt worden ist. Um Betrug kann es sich nur handeln, wenn die beschuldigten Ärzte nicht nur medizinethische, sondern auch gesetzliche Grenzen überschritten haben. Wenn sie etwa bei der Ausstellung der Rezepte falsche Angaben gemacht haben.


Olympia-Lobbyist als Ermittler. Noch eine Facette dieses Falles scheint interessant. Die Geschichte von den Medikamenteeinkäufen in Bausch und Bogen wurde seinerzeit von dem umtriebigen Olympia-Lobbyisten Erwin Roth hochgekocht. Er war es, der seine Informationen den Behörden übergab. Roths Name taucht in jüngster Zeit immer wieder rund um den ÖOC-Korruptionsskandal auf. Er arbeitete lange für das Österreichische Olympische Komitee. Und seit der Dopingrazzia von Turin „lobbyiert“ Roth auch gern und immer wieder gegen den ÖSV. Schröcksnadel und der ÖSV orten bei Erwin Roth unseriöse und unlautere Methoden. Die Staatsanwaltschaft dürfte Roths Hinweise zumindest so ernst genommen haben, dass sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.

Für den Salzburger Rechtsanwalt Franz Essl, der einen der Ärzte vertritt, sind die Vorwürfe allesamt nicht haltbar. Er rechnet mit einer baldigen Einstellung des Verfahrens. Essl gilt mittlerweile als Experte auf dem Gebiet der Dopingjuristerei. Er vertritt auch den unter Dopingverdacht stehenden Stefan Matschiner, den früheren Manager des gedopten Radprofis Bernhard Kohl.


Die Rolle des Bundesheers. Noch ein Aspekt ist bei den Ermittlungen gegen die vier Ärzte durchaus eine nähere Betrachtung wert. Welche Rolle spielt das österreichische Bundesheer? Fiel niemandem auf, dass die Heeressportler regelmäßig im Heeres-Sanitätszentrum von Hochfilzen einer medizinischen Behandlung bedurften? Dass sich „Notfälle“ auffällig oft wiederholten?

Spätestens mit Beginn der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Wien ist nun auch Verteidigungs- und Sportminister Norbert Darabos (SPÖ) unter Zugzwang. Jener Sportminister, der bisher sehr klar und glaubhaft dargelegt hat, dass er es mit seinem Kampf gegen Doping ernst meint.

Oktober 2009
Es wird bekannt, dass Ärzte des Österreichischen Skiverbandes große Mengen an Medikamenten kaufen und an Langläufer verabreichen. Im ÖSV betont man, dass es sich um erlaubte Methoden handle und Behandlungen nur bei „Notfällen“ auf ärztliche Anweisung erfolgen.

Juni 2010
Die Staatsanwaltschaft Wien bestätigt Ermittlungen gegen vier ÖSV-Ärzte. Den Verdächtigen, für die die Unschuldsvermutung gilt, werden Verstöße gegen das Anti-Doping-Gesetz, Arzneimittelgesetz sowie Betrug vorgeworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010)

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