Ultraläufer: Marathon-Distanz nur ein kleines Teilstück

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Wenn Marathonläufer im Ziel erschöpft zusammenbrechen, beginnt für Dominik Aichinger erst der Spaß. Er ist als Ultraläufer Strecken gewohnt, die an die 160 Kilometer lang sind.

Von Natur aus bin ich eher faul“, sagt Dominik Aichinger grinsend. „Das sagt zumindest meine Frau.“ Ganz abnehmen kann man das dem 42-Jährigen nicht, wenn er beim Sitzen im Museumsquartier immer wieder ein wenig zu zappeln beginnt. Kein nervöses Zappeln, eher ein deutlicher Bewegungsdrang. Ein Drang, den er regelmäßig beim Laufen auslebt, bei sehr langem Laufen. Denn Dominik Aichinger ist ein „Ultraläufer“. „Ultra“ steht in diesem Fall dafür, dass eine Marathon-Distanz für ihn nur ein kleines Teilstück ist. Soll heißen, es geht um Strecken ab 42 Kilometern aufwärts.

„Unlängst bin ich die Via Sacra von Mödling nach Mariazell gelaufen“, erzählt er. Eine Laufdistanz von etwa 125 Kilometern. Von halb fünf Uhr morgens bis etwa neun Uhr abends war er dazu unterwegs – mit einer halben Stunde Mittagspause. Nein, täglich macht er das nicht. Nur gelegentlich. Ansonsten läuft er etwa drei, vier Mal pro Woche für jeweils zwei bis drei Stunden. Körperlich ist das alles möglich. Solange man dem Körper regelmäßig die nötige Energie in Form von Wasser und Kohlenhydraten zuführt. „Alkohol trinke ich nie“, erzählt er, „Und ich bin Vegetarier, das hilft.“


Zeit spielt keine Rolle. Was Ultraläufer von Marathonläufern unterscheidet, ist nicht nur die Länge, sondern auch die Beschaffenheit der Strecke. Denn während ein Marathon kaum nennenswerte Höhenunterschiede hat, soll es für Ultraläufer abwechslungsreich sein. Mit Steigungen, durch den Wald und in extremem Gelände. „Im Schnitt schaffe ich einen Kilometer in siebeneinhalb Minuten“, meint er. Allerdings – die Zeit spielt gar nicht so eine große Rolle.

Denn „Ultraläufer sind ein sehr entspanntes Völkchen“. Da gehe es nicht um den Wettbewerb, sondern um das Lauferlebnis an sich. „Irgendwann gibt der Wille auf, meist so nach 60 Kilometern. Dann geht es ewig dahin.“ Dann tauche man schon mal ins Unterbewusste ab, fühle sich als Teil der Natur und sehr geerdet. „Das klingt jetzt vielleicht sehr esoterisch, aber genau das macht den Reiz aus.“ Und genau das ist der Grund, warum Aichinger regelmäßig lange Strecken läuft.

„Das Leben gewinnt dadurch“, meint er. Und auch sein Job als Architekt, den er so viel entspannter betreiben könne. „All den Problemen, die sich da stellen, trete ich viel gelassener entgegen, sie prallen an mir ab.“ Denn im Vergleich zu einem Lauf über 160 Kilometer wirke auf einmal alles andere so klein und unbedeutend. „Was soll mich denn da noch erschüttern?“

Dazu passend ist auch eine Eigenschaft, die Aichinger dem Großteil der Ultraläufer zuschreibt: „Man hängt so etwas nicht an die große Glocke.“ Die harte Szene in Österreich bestehe aus etwa 40 bis 50 Menschen. Und die laufen vor allem für sich selbst, nicht für Publikum oder Sponsoren. Wobei, offizielle Rennen gibt es sehr wohl. In Österreich etwa den Bergmarathon rund um dem Traunsee, bei dem rund 250 Starter eine Strecke von 70 Kilometern und 4500 Höhenmetern bewältigen müssen. Beliebt ist auch der Transalpine-Run, der über 260 Kilometer und 15.000 Höhenmeter führt, wenn auch auf Etappen über mehrere Tage.

Auch wenn Aichinger das Ergebnis für sekundär hält, eine Wertung gibt es bei diesen Laufveranstaltungen sehr wohl. Und mit dem Ultra Trail Mont Blanc, einem Ultramarathon über 160 Kilometer und etwa 9000 Höhenmeter, gibt es auch so etwas wie eine „inoffizielle Weltmeisterschaft“. Der härteste und wichtigste Bewerb weltweit ist nach seiner Einschätzung allerdings ein anderer – nämlich der „Grand Raid de la Réunion“.

Dieser Ultramarathon auf der zu Frankreich gehörenden Insel La Réunion im Indischen Ozean, bei dem eine Strecke von 163 Kilometern und knapp 10.000 Höhenmeter bewältigt werden müssen, trägt auch den Beinamen „La Diagonale des fous“ – die Querung der Verrückten. Und verrückt klingt es tatsächlich, was die Teilnehmer zu absolvieren haben. Zu Beginn geht es auf einen aktiven Vulkan, danach über enge Pfade an Bergkämmen entlang, über Steine und Wurzeln durch den Dschungel, bis man über einen gestampften Weg ins Ziel gelangt.

Was hier so schnell aufgezählt ist, dauert realiter allerdings ein wenig länger. Der Spanier Kílian Jornet Burgada, Sieger des Bewerbs von 2010, erreichte das Ziel nach 23 Stunden und 17 Minuten. Aichinger ließ sich etwas länger Zeit – er kam nach 40 Stunden und 57 Minuten ins Ziel. „Inklusive zwei Stunden Schlaf zwischendurch.“ Wobei, schlafen könne man sowieso nicht wirklich. Man sei viel zu aufgewühlt von der sportlichen Höchstleistung und all den Eindrücken rund um die Strecke.


Abgeklärt und lässig. Aber wie gesagt, um das Ergebnis gehe es ja ohnehin nur in zweiter Linie. „Man plaudert sogar beim Laufen miteinander“, erzählt Aichinger. Und die Gesprächsthemen? Alles Mögliche, nur nicht Jammern. Denn auch das sei eine typische Charaktereigenschaft, die man bei Ultraläufern finde – eine Abgeklärtheit und Lässigkeit, bestimmte Dinge einfach hinzunehmen. Beim Architekten aus Wien äußert sich das etwa in der Antwort auf die Frage, ob die Zehennägel bei einer solchen Tortur nicht leiden würden. „Zehennägel? Habe ich keine mehr.“ Punkt.

Auch sein Kommentar zum Familienleben ist freundlich, aber unmissverständlich: „Mit der Familie muss man das im Dissens machen.“ Seine Frau ist nicht begeistert, dass er sich immer wieder für Stunden oder Tage verabschiedet, um weite Strecken zu laufen. Aber sie hat gelernt, es zu akzeptieren. Und mit ein bisschen Zeitmanagement gelingt es auch, mit den drei Kindern Zeit zu verbringen.

Während er über die gemeinsamen Urlaube mit der Familie spricht, ist da auch wieder dieses gut gelaunte Zappeln, der Bewegungsdrang in seiner Körpersprache. Am liebsten würde er jetzt wahrscheinlich aufspringen, sein Laufgewand überziehen und noch zwei, drei Stunden laufen gehen. Von Natur aus eher faul? Na ja.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2011)

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