Gebrselassie: "Rekord in Wien? Gar kein Problem"

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Haile Gebrselassie ist der Superstar der Leichtathletik. In seiner Heimat Äthiopien wird er als Volksheld gefeiert, weltweit buhlen Marathon-Veranstalter um seine Gunst, denn er garantiert Rekorde und Aufsehen.

Lass mich mit dem Schmäh in Ruhe, du spinnst doch! Warum soll Haile Gebrselassie in Wien laufen?“ Wolfgang Konrad reagiert gereizt, den Ruf nach dem Superstar für den Vienna City Marathon hatte der Veranstalter jahrelang gehört. Viele meinten es dabei ja auch gar nicht ernst, sondern nahmen den Ehrgeizling provokant auf die Schaufel. Was macht ein Weltstar bei einem im internationalen Vergleich kleinen Rennen? Und, wer bezahlt die Gage, die Insider auf 250.000 Euro schätzen? Wolfgang Konrad war wirklich sauer...

Nachdem Gebrselassie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ vor zwei Jahren aber anklingen ließ, dass er einem Start in Wien gar nicht so abgeneigt wäre, „wenn man mich einladen würde“, wurde Konrad wohl hellhörig. Mark Milde, der Deutsche ist Rennleiter und auch für den Berlin-Marathon zuständig, stellte daher die Anfrage. Gebrselassies Manager Jos Hermens vermittelte und der 37-jährige Weltrekordhalter stimmte kurz vor Weihnachten 2010 dem Wien-Auftritt zu – trotz stark reduzierter Gage.

Haile Gebrselassie mag zwar ein Weltstar sein, aber er ist alles, nur nicht unnahbar. Schon gar nicht, wenn man ihn einfach anruft und fragt.

Herr Gebrselassie, vorweg gleich die wichtigste Frage: Werden Sie am kommenden Sonntag tatsächlich in Wien laufen?

Haile Gebrselassie: Ja, natürlich komme ich! Ich kenne dieses Rennen schon seit Jahren und ich freue mich darauf. Der Kurs ist sehr speziell, entlang all dieser historischen Gebäude. Und als im Vorjahr der Kontakt zustande kam, war ich sofort davon begeistert.

Wien und das Rennen sind zwar bekannt, aber im Vergleich mit New York, London oder Berlin doch eher klein...

...es hat sich ergeben und darüber bin ich glücklich. Es ist eine Chance und wenn ich genug Zeit finde, will ich auch unbedingt in die Oper gehen.

Sie starten im Halbmarathon, zwei Minuten nach dem Hauptfeld. Gefällt Ihnen diese „Catch me if you can“-Situation?

Das ist für mich eine Premiere! So ein Rennen bin ich noch nie gelaufen. Verrückt, aber wahr. Das wird spannend für die Zuschauer und mich, ich liefere auch eine gute Zeit ab. Versprochen.

Der Rekord über die Halbdistanz steht bei 1:03:59 Stunden...

...come on, das ist leicht für mich. Kein Problem, glauben Sie mir (lacht).

Ich habe daran keine Zweifel, ich wollte nur vorsichtig fragen. Noch einfacher für Sie ist wohl die Suche nach den Gründen der Laufbegeisterung in Afrika und Äthiopien.

Das hängt von der Infrastruktur oder den Gegebenheiten jedes Landes ab. Welche Möglichkeiten gibt es, um Sport zu betreiben? Bei uns sind es viele Straßen, und die Höhenlage spielt eine große Rolle. Und wenn es Vorbilder gibt, wollen viele sofort sein wie sie. Als ich Miruts Yifter bei Olympia 1980 in Moskau über 10.000 Meter laufen sah, wollte ich unbedingt Leichtathlet werden. Wir Äthiopier, wir lieben das Laufen. In Nigeria oder Ghana ist wiederum Fußball populärer, vor allem deshalb, weil sie da Erfolg haben und bei der WM spielen. Äthiopier oder Kenianer haben keine großen Teams, also sind die Leichtathleten die Idole, und darum ist der Sport so beliebt.

Sie werden stets an Rekorden und Siegerzeiten gemessen, welche Bedeutung aber hat Zeit für Sie selbst?

In einem Rennen ist sie immer mein größter Kontrahent. Da tickt sie mit jeder Sekunde gegen mich. Deshalb schaue ich auch oft auf die Uhr, und das verfolgt mich, wenn ich den Führenden jage. Im Business- und Familienleben lasse ich es ruhiger angehen, da kenne ich keinen Zeitdruck.

Wie gelingt Ihnen das, Sie sind in Äthiopien schließlich auch ein Großunternehmer?

Wir verkaufen Autos und Immobilien, zudem habe ich in Addis Abeba einen Kinokomplex eröffnet und zwei Schulen errichtet, mit 2000 Schülern und Studenten. Das verlangt sicherlich eine Ordnung der Abläufe, ich beschäftige über 600 Menschen. Ich kann nicht allen in Äthiopien helfen, aber ich versuche es in Addis Abeba. Mit meiner Frau habe ich vier Kinder und trotzdem gehe ich jeden Tag um sechs Uhr früh laufen. Das befreit.

Wird eines der Kinder Ihren Spuren folgen und Leichtathlet werden?

Vielleicht, gefallen würde es mir schon. Allerdings ist der Name Gebrselassie nicht genug, auch die Motivation allein reicht noch lange nicht für eine Laufkarriere. Es verlangt nach Talent und viel Willen. Sie wachsen in der Stadt auf und nicht wie ich auf dem Land – das ist der größte Unterschied. Ich bin immer in die Schule gelaufen, zehn Kilometer hin und nach dem Unterricht wieder zurück. Heute nehmen wir für die drei, vier Kilometer das Auto. Verstehen Sie, was ich meine? Mein – unser Leben hat sich verändert.

Es klingt angenehmer. Vielen Erzählungen zufolge sollen Sie auf dem Schulweg oft auch auf Hyänen getroffen sein.

Doch, das stimmt. Sie waren sogar jeden Tag da. Gefährlich war es für mich aber erst, als es dunkel wurde. Und die Hyänen lauern auch heute noch immer am Straßenrand... (lacht).

Sie haben 20 Weltrekorde aufgestellt, aber Ihre aktuelle Marathonbestzeit mit 2:03:59 Stunden ist kaum zu unterbieten, oder?

Das wird schwierig. Es war schon eine sehr schnelle Zeit. Da muss alles passen, auch die Konzentration. Ich fokussiere eigentlich immer nur auf den Sieg, die Zeit ergibt sich dann von selbst. Planen kannst du weder Rennen noch die Rekorde. Es kommt darauf an, wann du eine Attacke startest und mit wem du in einer Gruppe läufst.


Welchen Sieg werden Sie nie vergessen?

Den bei Olympia in Sydney 2000, der Lauf über 10.000 Meter. Ich habe gegen meinen Freund Paul Tergat aus Kenia gewonnen. Das war mein bestes Rennen. Dieses Gold war außergewöhnlich, das bedeutet mir viel.

Wo bewahren Sie Ihre Goldmedaillen auf? Zwei haben Sie einer Kirche gestiftet...

...die Goldenen von Sydney und Atlanta sind bei einem Priester. Das hatte ich versprochen, wenn Gott mich gewinnen lässt. Die anderen habe ich daheim und schaue sie mir sehr oft an.

Sie werden am 18. April, also einen Tag nach dem Wien-Marathon, 38 Jahre alt. Wie lange laufen Sie noch weiter?

Solange ich Spaß daran habe, so lange laufe ich weiter. Ich fühle mich noch immer jung, auch sind meine Knieschmerzen geheilt. Jetzt bin ich wieder gesund und möchte Wettkämpfe bestreiten. Ein, zwei vielleicht drei Jahre laufe ich schon noch.

Also sind die Sommerspiele 2012 in London für Sie ein Thema.

Natürlich! Der Marathon-Olympiasieg fehlt mir ja noch. Das ist eines meiner größten Ziele. Darauf arbeite ich hin.

Und danach? Stürmen Sie in die Politik?

Vielleicht. Ich will den Menschen helfen. Ich will sie mit meinen Leistungen immer überraschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2011)

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