Fauja Singh: Der 100-jährige Marathonläufer

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Fauja Singh 100Jaehriger aeltester(c) AP (Chris Young)
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Vor zwei Wochen stellte Fauja Singh in Toronto den Weltrekord als ältester Marathonläufer auf. Am Sonntag lief er in Frankfurt. Dazwischen besuchte ihn "Die Presse" in London.

London. Kurze, schnelle Schritte, die Körperhaltung etwas gebückt, der Rücken ein wenig krumm. Bei einer seiner Trainingseinheiten in einem Park in Ilford, Ost-London, lässt Fauja Singh nicht erwarten, dass er noch über lange Distanzen laufen kann. Die Falten auf der Haut und der lange graue Bart verraten, dass Singh ein alter Mann ist. Aber es funktioniert, für mindestens 42 Kilometer, wie der in Indien geborene Brite vor zwei Wochen bewiesen hat.

Als Fauja Singh am Nachmittag des 16. Oktober den Toronto Waterfront Marathon beendete, waren seit dem Start 8 Stunden, 11 Minuten und 5 Sekunden vergangen und ein neuer Weltrekord aufgestellt. Als erster 100-Jähriger hat Singh die Ziellinie eines Marathons überquert. Mit einem gelben Turban auf dem Kopf, als Zeichen seiner Religionszugehörigkeit der Sikhs, ging er müde ins Ziel. Umringt von einem Tross Unterstützer, Musik aus seiner indischen Heimat in den Lautsprechern und Dutzenden Kameras hinter der Ziellinie. Den Mikrofonen sagte Singh: „Diesen Rekord aufzustellen, ist für mich so, wie noch einmal zu heiraten.“

Das hat er nicht einfach so gesagt. Wenn Fauja Singh heute seine Laufschuhe schnürt, um durch den Londoner Regen zu joggen, ist das meist der Höhepunkt seines Tages, wie er sagt. „So lange du dein Alter ignorierst und dich körperlich fit hältst, bist du in guter Form“, pustet Singh beim Laufen und achtet auf einen gleichmäßigen Schritt.

50 Jahre ohne Sport

In Form ist der Mann allemal. Gestern startete er beim Frankfurt-Marathon. Der Stargast begnügte sich damit, nur sechs Kilometer zu laufen. Als Schlussläufer einer Staffel.

Auf die Rennen bereitet er sich gewissenhaft vor. Einige Meilen gehen, ein paar Parkrunden laufen, Dehnübungen.

Mehr als fünfzig Jahre hatte Fauja Singh keinen Sport getrieben. Am 1. April 1911 wurde er als Sohn einer Bauernfamilie in Punjab, Nordindien, geboren. Das Laufen wurde Singhs Hobby, mit Freunden verabredete er sich schon als Kind zu Wettläufen. „Das war unsere kindliche Ausgelassenheit.“ Seiner Leidenschaft ging Fauja Singh noch viele Jahre nach, bis 1947, dem Jahr der Unabhängigkeit Indiens von der britischen Krone. „Indien war ruiniert und musste sich neu ordnen. Wir hatten andere Probleme als joggen zu gehen.“ Hinzu kam die Familie. Sechs Kinder zog Fauja Singh auf. Dazu kam die Arbeit auf dem Bauernhof. An Sport sei nicht mehr zu denken gewesen.

Der Tod seiner Frau und eines Sohnes markierten einen Einschnitt. „Ich war unglücklich und suchte nach etwas, das mir wieder Freude bereiten könnte. Ich erinnerte mich an das Laufen.“ Singh zog zu seinem Sohn nach London, wo er mit 81 Jahren wieder mit dem Laufen begann. Ohne ein Wort Englisch lesen oder schreiben zu können, vertraute sich Singh der Londoner Sportszene an, begann mit Mittelstreckenwettkämpfen. Als er auch einen Halbmarathon geschafft hatte, wollte er schließlich den Marathon angehen. Sein Trainer Harmander Singh, der im Park an einem Baum lehnt, lacht und erzählt: „Fauja kannte den Unterschied zwischen Meilen und Kilometern nicht. Er dachte, von den 21 Kilometern beim Halbmarathon zu 26 Meilen eines Marathons sei es kaum noch ein Unterschied.“

Nach einem Jahr lief Singh im Alter von 89 Jahren seinen ersten Marathon, drei Jahre später, 2003 in Toronto, stellte er mit 5:40:01 Stunden den Weltrekord für über 90-Jährige auf. Der älteste Läufer der Welt war Singh aber nicht, dafür fehlten ihm als 92-Jährigen noch sechs Jahre. „Das wollte ich unbedingt schaffen. Eigentlich dachte ich schon bei meinem ersten Marathon, dass es keinen Älteren als mich gebe.“

Als die Trainingseinheit in die letzte Parkrunde geht, sagt Fauja Singh, er habe in keinem Lauf gezweifelt, dass er die Ziellinie überqueren würde. 2003 in New York war der wohl härteste Wettkampf: „Das war nur einige Wochen nach meiner Bestzeit in Toronto, ich ging müde ins Rennen, mit Gelenk- und Wadenproblemen. Alles tat weh.“

„Ich komme jedes Mal an“

„Fauja wollte nie wieder laufen“, erinnert sich Trainer Harmander Singh. Aber der „Turbaned Tornado“, der Turban tragende Tornado, wie Fauja Singh durch den Titel seiner im Sommer erschienenen Biografie genannt wird, beendete ein Jahr später den London-Marathon in sechs Stunden und sieben Minuten. „Ich brauche heute etwas länger als damals, aber ich komme jedes Mal ins Ziel, das ist mir am wichtigsten“, sagt Fauja Singh.

„Früher lief Fauja mehr und ging weniger. Heute geht er mehr, läuft deutlich weniger. Aber es sind noch immer zehn Meilen jeden Tag“, erzählt der Trainer. Für die Zukunft habe Fauja Singh „keine besonderen Wünsche“. Nach dem Training streift er eine lange Hose über die Schuhe und flüstert müde lächelnd etwas auf Panjabi zu seinem Trainer, damit dieser übersetzt: „Vielleicht schaffe ich noch einen oder zwei Marathons, vielleicht mehr. Bis ans Ende meines Lebens will ich laufen.“

Zur Person

Fauja Singh lief mit 89 den ersten Marathon. Als erster 100-Jähriger beendete er vor zwei Wochen den Toronto-Marathon. Das Guinness Buch der Rekorde hat einen Eintrag verweigert, weil er zwar über einen Personalausweis und ein Gratulationsschreiben der Queen zum 100. Geburtstag verfügt, aber keine Geburtsurkunde besitzt. Das Register der „World Masters Athletics“ akzeptiert seine Rekorde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2011)

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