Paula Radcliffe: "Laufen ist für mich auch Heilung"

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Die 38-jährige Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe spricht im Interview mit der "Presse" vor ihrem Wien-Gastspiel über den Mythos Laufen, sie schwärmt von Haile Gebrselassie und verrät ihre Tricks.

Die Presse: Unterhalten wir uns auf Deutsch? Sie sprechen es ja perfekt.

Paula Radcliffe: Gern, ich liebe Fremdsprachen und nachdem ich auch einmal in Düsseldorf gelebt habe, ist es für mich kein Problem.

Sie genießen als Marathon-Frau Weltruhm und halten den Weltrekord in 2:15:25 Stunden. Woher rührt Ihre Liebe zum Laufsport?

Die war immer da! Ich erinnere mich oft an meine Jugend, ich war sechs oder sieben Jahre alt und begann in der Schule mit dem Sport. Auch die Läufe im Wald oder hinter dem Elternhaus werde ich nie vergessen. Mit 19 bin ich einem Leichtathletikklub beigetreten und begann mit 800-Meter-Läufen. Die Distanzen wurden halt immer länger. Für mich gibt es nichts Schöneres. Laufen hilft mir.

Es hilft, inwiefern?

Wer läuft, muss mit Problemen und Verletzungen fertig werden, das ist bei jedem so. Damit ist Laufen für mich auch Heilung. Ich bin jetzt 38 Jahre alt und will noch solange laufen wie es mir möglich ist. Das spüre ich: Mich plagte über Ostern eine Bronchitis und erst nach einem Testlauf in Monte Carlo war ich wieder wie befreit. Und, ich bin für Wien bereit.

Am Sonntag warten ein Halbmarathon und das Duell mit Haile Gebrselassie. Hat er Sie nach Wien gelockt?

Ja. Haile hat mir von Wien erzählt. Es sei eine tolle Stadt, und dass er die Zeit hier genossen habe. Ich war oft in Österreich, aber noch nie in Wien. Wir haben lange geredet und nachdem ich vor Olympia in London einen Halbmarathon laufen wollte, habe ich mit Rennleiter Mark Milde gesprochen. Auch die Leute von der OMV waren sehr nett. Und jetzt laufe ich in Wien.

Sie liefern sich mit Gebrselassie ein eigenes Verfolgungsrennen. Was erwarten Sie sich davon?

Ich laufe gegen Haile, aber auch gegen alle anderen. Für mich ist es einmal etwas anderes, es ist lustig. Und ich will eine Topzeit abliefern.

Der Äthiopier wird als „Laufwunder“ gepriesen, ist er auch Ihr Vorbild?

Haile ist ein toller Typ. Seine 10.000-Meter-Läufe waren so dominant, einfach wow! Er hat einen so schönen Laufstil, bei ihm sieht alles so einfach aus. Ihn muss man einfach bewundern.

Marathonläufer werden auch für ihren Willen bewundert. Wie bewältigen Sie Krisen während eines Rennens?

In jedem Marathon kommt eine Krise, das ist normal. Wenn du Reserven hast, weißt, wo die Trinkstation ist oder wo du deine Kohlehydrate erhältst, kommst du da durch. Handelt es sich um um mentale Tiefs, habe ich einen Trick: Ich zähle nie die Kilometer! Ich laufe einfach weiter. 1,2 – 1,2. Immer einen Schritt nach dem anderen.

1,2 - 1,2, andere Dinge beschäftigen Sie da gar nicht?

Na ja, doch. Oft denke ich an meine Kinder oder was es zum Abendessen geben könnte. Auch über die Schule oder die Familie mache ich mir Gedanken. Im Wettkampf schaue ich auch auf die anderen Läufer, wie die unterwegs sind. Und ich frage mich, wo das Ziel ist.

Sie sind seit Jahrzehnten im Laufsport unterwegs. Wie sehr hat sich Ihr Leben durch den Sport verändert?

Ich verfolge das mit gemischten Gefühlen. Mein Leben hat sich vor allem durch meine beiden Kinder sehr verändert – es ist besser geworden. Geht es ihnen gut, bin ich zufrieden und laufe noch besser. Wenn man älter wird, treten mehr Verletzungen auf. Im Kopf ist zwar noch alles so, wie es immer war, aber dein Körper reagiert anders. Das Wichtigste ist, dass ich nie den Spaß am Laufen verloren habe.

Wenn Sie so in Erinnerungen schwelgen, welches Ihrer Rennen ist für Sie unvergesslich?

O je, das ist schwer. Vielleicht ist es 2003 passiert, in London, da lief ich ja den Weltrekord. Aber mein erster London-Marathon 2002 war noch wichtiger. Ich war ohne Erwartungen und Erfahrungen unterwegs und hatte Spaß, weil alle Zuschauer hinter mir standen. Im Ziel habe ich sofort gewusst, dass ich noch einmal laufen muss.

All Ihre Rekorde, waren die von langer Hand geplant oder sind sie passiert?

Für den Weltrekord 2003 hatte ich wirklich trainiert, sehr lange und sehr hart. Ich war toll in Form, du weißt aber nie, ob es dir gelingt. So etwas passiert, es ergibt sich.

Nimmt der Begriff Zeit eine große Bedeutung in Ihrem Leben ein?

Uuh, das ist nicht so einfach. Wenn ich nicht laufe, muss ich mich um zwei Kinder kümmern. Spielen, kochen, in die Schule bringen – und da darfst du ja auch nie zu spät kommen. Zeit ist mir sehr wichtig. Habe ich früher das Training mit Gewichten für meine Stabilität auf 40 Minuten beschränkt, so dauert es jetzt eine Stunde. Denn ich spiele im Gym noch mit den Kindern – diese Zeit nehme ich mir.

Im Sommer finden in London die Olympischen Spiele statt. Wird dieser Marathon das Rennen Ihres Lebens?

Sicher, das ist das Rennen meines Lebens, keine Frage. Es sind meine fünften Spiele, ich habe noch nie eine Olympiamedaille gewonnen. Olympia ist für mich mit vielen Enttäuschungen verbunden, vor allem Athen 2004 und Peking 2008 waren nicht so toll. Den London-Marathon habe ich dreimal gewonnen und jetzt muss es mit einem Topergebnis klappen. Mit 38 habe ich zwar nicht mehr die besten Chancen, aber why not?

Bedeutet Alter aber nicht auch einen Vorteil, im Sinn von Erfahrung?

Es kann sein, Erfahrung und Geduld sind wichtig. Du darfst nicht zu viel erwarten und verlangen, du darfst auch keine Panik vor kleinen Verletzungen haben. Wer älter ist, trainiert vielleicht intelligenter und regeneriert intensiver. Aber da gehen die Meinungen auseinander.

Wird das Event in London ein Erfolg?

Ich erwarte mir in London Superspiele. Britain ist eine Sportnation, für Europa wird es das Event des Jahres. Das ganze Gerede über Stau und Sicherheit verstehe ich nicht, das gibt es doch überall – und der Verkehr war in Athen noch viel schlimmer. Das einzige Problem gibt es vielleicht bei den Tickets. Alle wollen welche, es gibt aber keine mehr.

Kinder und Jugendliche haben zumeist das gleiche Problem, sie bewegen sich zu wenig. Kann der Laufsport das Rennen gegen den Computer gewinnen?

Das ist eine sehr schwere Frage! In den Medien müsste mehr Platz für Leichtathletik sein, dann wäre das Interesse größer. Auch helfen Charaktere wie Haile oder ich, wir sind Vorbilder, wir zeigen den Weg vor. Aber vor allem muss sich in Schulen etwas ändern, dort beginnt mit dem Lernen auch die Bewegung. Leichtathletik ist so einfach. Du brauchst doch nur Laufschuhe...

Zur Person

Paula Radcliffe wurde am 17. Dezember 1973 in Northwich geboren. Die Britin ist die schnellste Marathonläuferin der Welt (2:15:25 Stunden).
Die zweifache Mutter
gewann jeweils dreimal in London und Berlin, am Sonntag bestreitet sie beim Wien-Marathon das Rennen über die Halbdistanz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2012)

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