Apnoetaucher: 214 Meter mit einem Atemzug

Apnoetaucher meter einem Atemzug
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Apnoetaucher Herbert Nitsch ist "the deepest man on earth". Er tauchte nahe der griechischen Insel Spetses auf 214 Meter hinab - mit einem Atemzug. Und das ist ihm noch nicht tief genug.

Es gibt einen Menschen, der diesen Artikel von Anfang bis Ende lesen könnte ohne auch nur einmal einzuatmen. Ruhig und ohne Eile. Und dann, weiterhin atemlos, auch noch die nächste Seite im Detail studieren: Herbert Nitsch, Freitaucher, kann die Luft über neun Minuten anhalten. Vor allem aber ist er „the deepest man on earth“: 214 Meter tief tauchte Nitsch 2007 nahe der griechischen Insel Spetses – mit einem einzigen Atemzug. Am 6. Juni will er vor Santorin erneut Grenzen sprengen – und auf 244 Meter abtauchen.

Diese „Erforschung der eigenen Grenzen“ treibe ihn an, sagt Nitsch, der bisher 31 Weltrekorde in verschiedenen Apnoedisziplinen aufgestellt hat. Apnoetaucher, auch Freitaucher genannt, verzichten auf Pressluftflasche und ähnliches Equipment, sie holen für ihren Tauchgang nur einmal Luft. Das dem Griechischen entlehnte Wort „Apnoe“ beschreibt diesen atemlosen Zustand. In der No-Limit-Kategorie, in der Nitsch mit der 214-Meter-Marke eine bis dato noch für unmöglich gehaltene Tiefe erreichte, zieht ihn eine Schlittenkonstruktion so schnell wie möglich nach unten. Zurück an die Wasseroberfläche gelangt der Wiener mithilfe eines mit Luft gefüllten Auftriebskörpers.

Den Adrenalinkick sucht der weltbeste Apnoetaucher dabei nicht. Im Gegenteil: Adrenalin würde die Herzfrequenz nach oben treiben – fatal in einem Sport höchster Konzentration, absoluter Ruhe und völliger Entspannung. „Es ist eine Art Tiefenkick“, sagt der Berufspilot, der vor eineinhalb Jahren seine Kapitänsuniform an den Nagel hängte, weil er sich noch intensiver dem Freitauchen und der Jagd nach Rekorden widmen wollte. Als lebende Apnoelegende arbeitet Nitsch mit dem Uhrenhersteller Breitling zusammen, hält Vorträge und gibt Kurse.

Die Lunge so groß wie eine Pflaume. In Tiefen um die 200 Meter ist es stockdunkel. Bei derartigen Unterwassertrips würde Nitsch aber so oder so nur schwarz sehen, da er die Augen hinter seiner eng anliegenden Spezialbrille weitgehend geschlossen hält. Enorme Kräfte wirken in solcher Tiefe auf den Menschen ein: Das Blut wird ihm aus Armen und Beinen in den Rumpf gepresst. Seine Lunge schrumpft auf die Größe einer Pflaume. Doch Nitsch, als erfahrener Apnoetaucher, nimmt diesen Druck unter Wasser nur geringfügig wahr. Aber: „Wie sich das Zwerchfell von unten nach oben schiebt, das spürt man schon.“

Am deutlichsten wahrnehmbar aber sei der alle zehn Tiefenmeter um ein Bar steigende Druck auf das Trommelfell. Apnoetaucher können diese Problematik mittels spezieller Technik lösen. Sie blähen den Mund mit so viel Luft wie möglich auf und regulieren damit den Druckausgleich. „Mouthfill“ nennt sich dieses Verfahren, jeder Taucher geht individuell damit um. Überhaupt sei das Freitauchen ein ständiger Entwicklungsprozess, erklärt Nitsch. Man lerne genau, „wie man welche Ventile steuert“. Die Koordination von Kehlkopfdeckel, Gaumensegel, Eustachischer Röhre – durch Ausprobieren findet Nitsch immer neue Wege. Er hat auch eine spezielle Technik mit der Zunge. Aber: „Das bleibt geheim.“

Nitsch hält neben dem „No-Limit“-Rekord unter anderen mit 120 Metern die Bestmarke in der Kategorie „Free Immersion“. Hier sind zusätzliche Ab- und Auftriebsgeräte verboten, nicht einmal Flossen sind erlaubt. Zur Fortbewegung zieht sich der Taucher an einem Seil hinunter und wieder hinauf.

Im Apnoetauchen hat der 42-Jährige neue Maßstäbe gesetzt. Der vielfache Weltmeister war durch Zufall auf diesen Sport gestoßen, dessen Wurzeln bis in die Steinzeit zurückreichen. 1999 nahm Nitsch in Hurghada an einer mehrtägigen Scuba-Diving-Safari teil. Da beim Reisetransport sein Tauchequipment verloren ging, bestritt er die Unterwassertour mit Taucherbrille, aber ohne Pressluftflasche. Nach zwei Wochen „Freediving“ bemerkte er, dass ihm nur noch zwei Meter zum damaligen österreichischen Apnoerekord im Tieftauchen von 34 Metern fehlten.

Sehr kritisch und akribisch. Über Emotionen spricht Nitsch kaum. Soll er über sich selbst etwas sagen, zögert er. Bohrt man nach, fallen Worte wie „analytisch, schon Emotionen zulassend“. Dann lässt er sich doch noch verleiten, ein paar Worte zu seinem Naturell zu sagen: „Ich bin sehr kritisch – gegenüber dem, was ich tue und gegenüber dem, was andere tun.“

Entsprechend akribisch geht Nitsch vor. Vor Wettkämpfen spielt er sämtliche Worst-Case-Szenarien durch. Er habe bei der Vorbereitung auf seine Tauchgänge unbewusst vieles aus seinem Beruf als Pilot in seinen Sport mitgenommen, erzählt Nitsch. Sein größter Kontrahent, der Franzose Loïc Leferme, starb vor vier Jahren vor der Küste Südfrankreichs. Beim Auftauchen blockierte das Seil. 2002 kam die Französin Audrey Mestre bei einem Weltrekordversuch ums Leben. In 171 Meter Tiefe versagte der Gastank, der den Ballon füllen und sie dadurch nach oben tragen sollte. Der Gerätetaucher, der sie auf 90 Metern erreichte, konnte mit ihr nicht schnell genug nach oben: Er musste Dekompressionszeiten einhalten, um nicht selbst sein Leben zu riskieren. Jahr für Jahr gibt es tödliche Unfälle von Apnoetauchern.

Nitsch ist sich dieser Gefahren bewusst. Wichtig seien das Vertrauen zu den Sicherheitstauchern und ein genauer Notfallplan. Letzten Endes müsse man selbst entscheiden, ob die Vorkehrungen ausreichen. Im Zweifelsfall handelt Nitsch kompromisslos: Mehrere Trainingsversuche hat er schon abgeblasen, auch Competitions. Bei seinen Tauchgängen hat er als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme einen „Deco-Stop“ eingeführt: Zehn Meter unter der Wasseroberfläche hält er nochmals für mindestens eine halbe Minute an, um die Möglichkeit von Dekompressionsproblemen zu mindern. Doch eines ist auch klar: „Für Angst“, sagt Nitsch, „ist beim Freitauchen kein Platz.“

Apnoetauchen

Apnoetaucher(Freitaucher) können durch gezieltes Training den Atemreiz mehrere Minuten lang hinauszögern.

Herbert Nitsch
(42), Berufspilot, hat als Freitaucher bisher 31 offizielle Weltrekorde aufgestellt. Der Wiener tauchte 2006 als erster Mensch ausschließlich mit eigener Kraft und einem Atemzug über 100 Meter in die Tiefe. 2007 stellte er mit 214 Metern den Tiefenrekord in der No-Limit-Kategorie auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2012)

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