Formel 1: Das Geheimnis der schwarzen Lotusblüten

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Lotus steht dank Kimi Räikkönen im Blickpunkt. Auto, Reifen und Team sind mit dem Finnen im Einklang. Es bleibt aber ein Balanceakt.

Sepang. Man fährt an der Farm des Bauern Oathill vorbei durch eine Waldlichtung – und plötzlich steht da mitten im grünen Nirgendwo das vielleicht kreativste Geheimlabor der Formel 1. Ein niedriges, weißes Gebäude trägt die dezente Aufschrift „Lotus F1 Team“.

Hier wurde der Lotus E 21 gebaut, aus 30.000 Einzelteilen. Konzipiert von James Allison, dem Stardesigner der jungen Generation. Der Sohn eines Kampffliegers aus dem ersten Irak-Krieg, der später bei Jaguar arbeitete – bis zu dem Tag, an dem Red Bull die Formel-1-Fabrik übernahm.

Enfant terrible als Segen

Ist es nun Rache des Schicksals, dass ausgerechnet sein Auto Red Bull nach drei Jahren der Dominanz überflügeln kann? Geht es nach dem Gesetz des Aberglaubens, und der zählt etwas in einem Sport, in dem die Startnummer 13 nicht vergeben wird, dann: ja. Denn Lotus zählt nach dem Auftaktsieg in Melbourne durch Kimi Räikkönen auch am Sonntag in Sepang, Malaysia, zu den Favoriten.

Immer dann, wenn das in Enstone, England, stationierte Team den Auftakt-Grand-Prix einer Saison gewann, egal, ob unter den Namen Benetton oder Renault, wurde es später auch Weltmeister. Das war 1994, 1995, 2005 und 2006 so.

Es wäre ein WM-Titel des Anachronismus. Räikkönen schert sich nicht um Sportwissenschaften und Technik. Er raucht, trinkt und schweigt. Er tut alles, was ein Rennfahrer nicht tun soll. Im Vorjahr fehlte er in São Paulo am Donnerstag etwa an der Rennstrecke. Er hatte Teamchef Eric Boullier ein SMS geschrieben, sinngemäß mit diesem Text: „Bin in Los Angeles. So geil hier. Kann ich einen Tag später kommen?“ Boullier hat es ihm erlaubt, und Kimi dankt es auf seine Weise. Das letzte Enfant terrible der Formel 1 ist auf der Rennstrecke ein Muster an Konstanz.

„Es ist ein Segen, einen Fahrer zu haben, dessen Form so konstant ist wie bei Kimi“, lobt Boullier, und auch Alexander Wurz ergänzt: „Seine Übersicht ist beeindruckend. Er hat ein extrem dreidimensionales Denken und ist so gut wie nie in Zwischenfälle verwickelt. Kimi holt immer das Maximum heraus.“

Reifen wichtiger als Qualifying

In dieser Saison ist viel möglich. Denn das schwarz-goldfarbene Auto passt perfekt zum schwarzen Gold der Formel 1, den Reifen, die von Pirelli hergestellt werden. Das komplizierte Reifenmanagement 2013 führt dazu, dass der richtige Umgang mit den Gummis im Rennen wichtiger geworden ist als das Qualifying. Auf einer Runde gilt Red Bull noch als wesentlich schneller, doch im Rennen blüht die schwarze Lotusblüte auf. In Melbourne war Lotus im Training noch eine halbe Sekunde hinter Vettel. Im Rennen konnte Räikkönen pro Runde um 1,2 Sekunden schneller fahren als der dreifache Weltmeister, der als sein einziger echter Freund im Fahrerlager gilt.

Teamchef Christian Horner hat den Feind, der ja bis vor zwei Jahren noch in den Farben des Energy-Drink-Imperiums in der Rallye-WM seine Runden gedreht hat, längst ausgemacht. „Kimi ist unglaublich souverän. Und Lotus hat ein innovatives Auto, das auf langen Distanzen seine Stärke entfaltet.“ Schon 2012 wurde Räikkönen in seinem Comeback-Jahr WM-Dritter, trotz einiger Orientierungsprobleme am Anfang und einiger Lehrstunden. In China 2012 lag er auf Podestkurs, dann brachen die Reifen zwei Runden vor dem Ende plötzlich weg. Jetzt scheint sein sanfter Fahrstil, der an Alain Prost und Jenson Button erinnert, ideal.

Kann Lotus Weltmeister werden? „Ja“, sagt Räikkönen, „wenn wir genug Geld für die Entwicklung haben. Wir haben nicht das Budget von Red Bull, Ferrari und Mercedes.“ In Wahrheit balanciert Lotus sogar am Abgrund. Namensgeber Lotus Cars borgt nur den Namen her, gibt aber kein Geld aus. Ein potenzieller Hauptsponsor entpuppte sich als Hochstapler, die Schuldenlast ist enorm. Ewig wird Teameigner Gerard Lopez, der einst mit dem Verkauf von Skype zum Milliardär wurde und 85 Luxusautos in der Privatgarage stehen hat, nicht allein für die Betankung seiner schwarzen Renner sorgen wollen und können.

Deshalb ignorierte Boullier nach dem Auftaktsieg stundenlang seine Anrufe. Stattdessen flog er sofort nach London, um mit Sponsoren zu verhandeln: „Jetzt haben wir bewiesen, dass wir nicht gelogen haben, als wir gesagt haben: ,Dieser E21 ist ein Siegerauto. Vertraut uns!‘“ Boullier setzt auf Allisions Genieblitze und auf die Atmosphäre im Rennstall, in dem 550 Mitarbeiter – unter ihnen mit Corporate-Managerin Anita Nyers sogar eine Österreicherin – am Erfolg arbeiten. „Die Erfolge sind Zeugnis der tollen Arbeit dieser Leute, die mit ihrer Leidenschaft Lotus ausmachen.“ Und Räikkönen setzte das Hoch fort. Der Finne fuhr am Freitag Tagesbestzeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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