Vettel - das Erfolgsgeheimnis eines Seriensiegers

Sebastian Vettel
Sebastian Vettel (c) EPA (HARISH TYAGI)
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Sebastian Vettel erobert mit dem Sieg des GP von Indien zum vierten Mal in Serie die Krone der Fahrer-WM. Der Deutsche dominiert wie einst Michael Schumacher, der 26-Jährige und Red Bull liefern aber eine bessere Show.

Delhi/Wien. Wenn sich Rennfahrer nach der Zieleinfahrt mit rauchenden Reifen auf dem Asphalt verewigen, ist zumeist Großes geschehen. Es gilt auch als Attraktion. In der Formel 1 ist das Spektakel jedoch eine Seltenheit. Zumeist legen Teams, vor allem aber die Techniker, nach einem Grand Prix ein Veto ein. Für Späße ist in dieser teuren, sterilen Liga kein Platz. Doch sichert sich ein Fahrer den Titel, obendrein in so eindrucksvoller Manier wie Sebastian Vettel, drücken die strengsten Wegbegleiter gerne ein Auge zu. Nur Bürokraten des Weltverbandes ahnden solche Auftritte. 25.000 Euro muss Red Bull wegen „Verzögerung der Wagenkontrolle“ bezahlen...

Just beim GP von Indien, einem in der Formel 1 kaum beliebten Rennen, setzte sich Vettel zum vierten Mal in Serie die Krone der Fahrer-WM auf. Der 26-jährige Hesse spielte einmal mehr mit den Mitstreitern, einzig ein früher Reifenwechsel und der Schaden der Lichtmaschine des zweiten Teamautos (Mark Webber musste aufgeben) sorgten für kurze Aufregung, sonst verlief einmal mehr alles nach Plan. Was als Monotonie und Fadesse interpretiert werden kann, ist Vettels Alltag. Einer der derzeit besten Piloten sitzt eben im besten Rennwagen.

In Greater Noida, einem knapp eineinhalb Autostunden von Delhi entfernten Ort mit einer für über 400 Millionen Euro aus dem Boden gestampften Rennstrecke, demonstrierte Vettel, warum er für viele nicht mehr nur als „Baby-Schumi“ gilt. Denn ihm wird zugetraut – so Equipment und Evolution des Rennwagens weiterhin passen – die sieben Titel von Michael Schumacher zu überbieten. Der 26-Jährige fährt ungefährdet, er dreht beliebig schnell seine Runden – und obwohl er für den Titel nicht einmal mehr hätte gewinnen müssen, ließ er sich diesen Triumph trotz Aufforderungen partout nicht nehmen. Mit dem zehnten Saisonsieg, dem sechsten in Serie, sicherte sich die Ausnahmeerscheinung den vierten Titel.

Pfiffe, Missgunst – ratloser Neid

Das schafften in dieser Form vor ihm nur Schumacher und Juan Manuel Fangio. Alain Prost zählt auch vier Titel, aber der Franzose gewann sie nicht in Serie. Dass anhaltender Erfolg nicht nur Jubel, sondern auch Neid und Widerspruch wecken, musste selbst Vettel in deutlicher Form zur Kenntnis nehmen. Es passiert selten, wohl in dieser Stärke noch nie: Zweimal, in Monza und in Singapur, wurde der Formel-1-Sieger noch auf dem Podest ausgebuht und ausgepfiffen.

Eine missachtete Stallorder – er raubte Mark Webber den Sieg in Malaysia – ist aber nicht der Auslöser, sondern seine krasse Überlegenheit. Der Alleingang brachte ihm sogar Sympathien, weil er zeigte, dass auch ein als „Maschine“ bezeichneter Rennfahrer Herz und Emotionen hat. Die breite Missgunst wurzelt im Erfolg des Systems, der Stärke Red Bulls und der Ratlosigkeit aller Mitstreiter.

Schumacher hatte einst die Order des Teamchefs und heutigen FIA-Präsidenten, Jean Todt, benötigt, um Rubens Barrichello zu überholen. Vettel und Red Bull brauchen solch plumpe Manöver nicht, das Auto ist dem Sohn eines Zimmermannes ohnehin perfekt angepasst. Er legt größere Akribie in die Vorbereitung als Schumacher, sitzt länger in der Box als alle anderen und studiert unentwegt Telemetriedaten. Er geht während der Saison nicht feiern, gilt als Perfektionist, der den Aufstieg geschafft hat – und nun alles dafür tut, um tunlichst auch der Branchenprimus zu bleiben. Er sagt: „Als Persönlichkeit verändert man sich nicht, man entwickelt sich nur weiter. Man gewinnt an Erfahrung – auch an Lebenserfahrung.“

Verlust der Unbeschwertheit

Die Formel 1 ist ein zähes Geschäft. Tests, Reisen, Fahrten und Termine verlangen ihren Tribut. So sehr Vettel an Stärke und Souveränität gewonnen hat, einen Verlust musste er in den vergangenen sechs Jahren doch hinnehmen. Champions, die Sportart ist beliebig austauschbar, verlieren ihre Unbeschwertheit. Sie müssen, so das Verlangen von Sponsoren und Medien, greifbar und stets gut gelaunt sein. Ablenkungen sind dazu nicht förderlich, Vettel erteilte zuletzt sogar seinem Vater Fahrerlagerverbot. Dazu kommen Druck, Erwartung, eventuell doch Zweifel. Selbst sein Lächeln wirkte oft gezwungen – doch nach dem Sieg auf dem Buddh International Circuit flossen Tränen. Auch sein Siegesjubel klang plötzlich nicht mehr übertrieben gekünstelt, sondern ehrlich. Und das ist für viele auch der Beweis, dass Vettel erfolgshungriger ist denn je. Er ist authentischer, ehrlicher und zielstrebiger als Schumacher – er und sein Team bieten zudem die bessere Show.

Mit 26 Jahren und 116 Tagen ist Sebastian Vettel vierfacher Weltmeister – der mit Abstand jüngste der Geschichte. Weitere Triumphe und Auftritte (am 4. November bei ServusTV in Salzburg, Hangar-7) sind gewiss.

GP von Indien, Greater Noida

1. Sebastian Vettel (GER) Red Bull 1:31:12,187
2.
Nico Rosberg (GER) Mercedes 29,823
3.
Romain Grosjean (FRA) Lotus 39,892

Weiters, 4. Massa (BRA) Ferrari 41,692 5. Perez (MEX) McLaren 43,829 6. Hamilton (GBR) Mercedes 52,475 7. Räikkönen (FIN) Lotus 1:07,988 8. di Resta (GBR) Force India 1:12,868 9. Sutil (GER) Force India 1:14,734 10. Ricciardo (AUS) Toro Rosso 1:16,237.

Fahrer-WM (16 von 19 Rennen): 1. Vettel (GER)* 322 2. Alonso 207 3. Räikkönen (FIN) 183 4. Hamilton (GBR) 169 5. Webber (AUS) 148 6. Rosberg (GER) 144.

Konstrukteurs-WM: 1. Red Bull* 470 2. Mercedes 313 3. Ferrari 309 4. Lotus 285 5. McLaren 93.

* stehen bereits als Weltmeister fest

Nächstes Rennen: Grand Prix von Abu Dhabi, 3. November (Start: 14 Uhr). Yas-Marina-Circuit (55 Runden a 5,554 km, Gesamtdistanz 305,355 km).

ZUR PERSON

Sebastian Vettel, 26, gewann am Sonntag in Indien zum vierten Mal in Folge die Fahrer-WM in der Formel 1. Seine Karriere verdankt der Deutsche dem Getränkekonzern Red Bull.

Der Aufstieg im Rückspiegel:

1999 wurde der Hesse als Zwölfjähriger im Kartsport entdeckt, 2001 wird das Juniorteam unter Aufsicht von Helmut Marko als konzerneigenes Ausbildungsprogramm für Piloten gegründet. Vettel wird in weiterer Folge zu dessen Vorzugsschüler. 2004 dominiert er die BMW- ADAC-Meisterschaft nach Belieben, feiert 18 Siege in 20 Rennen.
Am 27. September 2005 fährt er als 18-Jähriger erstmals einen F-1-Boliden (Test bei BMW-Williams). Am 25. August 2006 bestreitet er den ersten Freitags-Test, am 17. Juni 2007 fährt er als Ersatzmann für Robert Kubica den GP der USA und wird Achter. Am 14. September 2008 beginnt seine Siegesserie: Vettel gewinnt in Monza im Toro Rosso.

Fünf Jahre, 117 GP-Starts, 36 Siege und 43 Pole-Positions später ist er Vierfach-Champion der Formel 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2013)

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