Die Dominanz der Silberpfeile: "Motorsport muss unterhalten"

Toto Wolff
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Mercedes erlebt in dieser Formel-1-Saison ein Hoch und gibt der Konkurrenz Rätsel auf. Für den Wiener Toto Wolff ist es eine Genugtuung. Er ist als Motorsportchef für diese Entwicklung verantwortlich.

Mercedes ist die bestimmende Kraft in dieser Formel-1-Saison, die Szene rätselt, und Fans jubeln. Wie nehmen Sie als Motorsportchef diese Entwicklung war, und können Sie sich diesen Erfolg denn auch erklären?

Toto Wolff: Der eingeschlagene Weg stimmt bis jetzt, nicht mehr und nicht weniger. Es sind erst drei Rennen gewesen, viele sprechen aber jetzt schon von den großen Erfolgen der Silberpfeile in den 1950er-Jahren und dass wir an sie angeschlossen hätten – aber davon zu sprechen ist einfach noch zu früh und überheblich.

Die Formel 1 ist ein zyklisches Geschäft, mal ist ein Team oben, dann unten – aber Ihre Überlegenheit erinnert an Serien, wie sie Ferrari und Red Bull gelungen sind. Das geht nicht von heute auf morgen. Wann wurde der entscheidende Schritt gesetzt?

Als sich Mercedes entschlossen hat, ab der Saison 2010 in der Formel 1 mit einem eigenen Team teilzunehmen, waren die Rahmenbedingungen noch ganz andere. Zu diesem Zeitpunkt erwartete man Kostenreduktionen, doch die kamen nicht. Also verstärkte man das Engagement, auch in technischer Hinsicht. Es war auch der Zeitpunkt, als ich in das Projekt eingestiegen bin. Seitdem hat sich vieles weiterentwickelt. Die Ressourcen kommen aber nicht nur von Daimler, sondern hauptsächlich von den Sponsoren, unseren Partnern. Die frühen Erfolge in diesem Jahr helfen da natürlich.

Das klingt einleuchtend. Aber haben Sie bei Ihrem Einstieg dem Weltkonzern Mercedes und seinem Formel-1-Team gesagt: So und nicht weiter, Schlussstrich und Neuanfang?

Als ich kam, habe ich gefragt: „Was ist das Ziel?“ Man sagte, man wolle die Weltmeisterschaft gewinnen, und dann haben wir gemeinsam dieses Unternehmen analysiert. Bei Williams hatten wir damals das gleiche Budget – aber unser Ziel war es, Fünfter zu werden. Da stimmte also gehörig etwas nicht. Wir veränderten einiges, Mercedes sprang anfangs finanziell in die Bresche, und durch den zweiten Platz im Vorjahr hat sich die Einnahmensituation (TV-Gelder, Formel-1-Pool, Anm.) verbessert. Dann haben wir quer durch die Formel 1 neue Leute angeheuert. 30 Prozent der aktuellen Belegschaft sind weniger als eineinhalb Jahre dabei. Wir haben auch Ingenieure direkt von den Universitäten rekrutiert. Es wurde gezielt investiert, in technische Ressourcen, Infrastruktur und den Antriebsstrang. Und wir haben den Vorteil, in England ein eigenes Motorenwerk zu haben.

Beobachter der Szene wollen bemerkt haben, dass Ihr größter Erfolg die Kommunikation mit den englischen Technikern in Brackley sein soll. Ist es tatsächlich die Nähe? Der Wiener Schmäh allein kann es nicht sein. Und stimmt es, dass im Werk wieder laut und herzhaft gegrüßt wird?

Ich hatte bei meinem Einstieg den Eindruck, dass es ein losgelöstes, isoliertes Team in England war. Wir sind Mercedes-Benz, das habe ich ihnen gesagt. Es bringt nichts, wie ein Satellit allein unentwegt seine Runden zu ziehen, ohne auf die Ressourcen und das Know-how des großen Daimler-Konzerns zurückzugreifen. Wir haben das Glück, dass der Vorstand verstanden hat, dass wir als Formel-1-Team die Flexibilität und Effizienz eines kleinen Mittelständlers brauchen, in einem Racing-Mikrokosmos. Der ist anders zu managen als ein multinationaler, globaler Konzern wie Daimler. Wir haben genügend Spielraum, und man wollte mich auch als Managing Partner gewinnen – unter der Voraussetzung, dass ich in England sitze. Auch als Commitment gegenüber der Belegschaft.

Sie sind Miteigentümer, dann kennen Sie sicher auch die Budgets. Wie viel Geld ist im Spiel – oder verraten Sie es nicht?

Ich besitze Anteile am Rennstall, ja. Ich bin mit 30 Prozent beteiligt, Niki Lauda mit zehn, der Rest gehört Daimler. Wir haben unsere Anteile 2012 von Aabar übernommen. 80 Prozent des Budgets kommen aus den TV-Rechten und von unseren Sponsoren. Im Erfolgsfall steigen diese und reduzieren den finanziellen Anteil von Daimler. Andere Zahlen kann ich Ihnen nicht nennen.

Daimlers Anteil reduziert sich jährlich – zu welchem Zweck?

Das muss das Ziel sein, das Mercedes-Team soll als Einheit finanziell auf eigenen Beinen stehen. Und das Branding muss der Mehrwert für die Marke sein.

Der Mehrwert für Mercedes ist in dieser Saison eindeutig auch der Motor. Force India fuhr in Bahrain auf das Podest, McLaren mischt auch wieder an der Spitze mit, Williams ebenfalls.

Im Moment sieht es danach aus. Wir haben bislang 75 Prozent aller Punkte gemacht.

Was halten Sie dann von Vorschlägen der Konkurrenz, die bei Ecclestone Sturm laufen und zehn Liter mehr Sprit verlangen? Ferrari-Präsident Di Montezemolo dachte sogar an, Rennen in Hinkunft um eine Runde zu verkürzen...

Es gibt Regularien, die kann man nicht einfach so mitten in der Saison verändern. Es wird keine Regel verändert, nur weil sich irgendjemand wünscht, plötzlich konkurrenzfähiger zu sein. Alles andere würde ich, ehrlich gesagt, auch nicht verstehen. Allerdings, man muss schon darauf hören und auch respektieren, was die Fans wollen. In welche Richtung geht der Sport? Formel 1 ist Entertainment, Motorsport muss unterhalten – doch es bedarf dabei Stabilität und richtiger Entscheidungen. Mit Hüftschüssen ist sicherlich niemandem geholfen.

Im September nimmt auch die Formel E, eine mit Elektromotoren funktionierende Rennserie, ihren Betrieb auf. Ist die Formel 1 deshalb so nervös und bedacht darauf, neue Technologien zu verwenden und sich ein besseres, sauberes Image zu geben?

Das ist eine ganz neue Formel, um die gab es zuletzt viel Aufsehen in den Medien. Man muss anerkennen, dass Promotor Alejandro Agag diesen Job schon einmal ganz gut gemacht hat. Das Auto sieht durchaus vernünftig aus, auch die Technologie ist sicherlich interessant. Aber ich denke, man muss sie erst einmal Rennen fahren lassen, dann wissen wir alle mehr. Ich kann dazu noch keine Meinung haben, weil noch kein Rennen bestritten wurde.

Bei der Suche nach neuen Märkten entdeckte Ecclestone, wohl auf gutes Zureden von Didi Mateschitz, seine Liebe zu Spielberg wieder. Am 22.Juni findet wieder der GP von Österreich statt...

...und es wird ein historischer GP, in Österreich, Europa. Für uns wird es ein Heimrennen. Extrem erfreulich ist es für mich aber auch, auf den Österreich-Ring zurückzukehren, weil dort meine Anfänge im Motorsport liegen. Toll, dass es Dietrich Mateschitz ermöglicht hat.

Wie groß ist eigentlich das Verlangen, selbst mit einem Formel-1-Rennwagen zu fahren? Sie waren früher ja Rennfahrer.

Ich bin selbst viele Jahre gefahren, ja. Auf Rennstrecken und Rallye, aber Formel 1 ist etwas völlig anderes. Mit diesem Rennwagen zu fahren reizt mich aber überhaupt nicht, denn es ist wirklich fern dessen, was ich getan habe. Es ist viel schwieriger und weitaus komplexer. Dieser Peinlichkeit setze ich mich nicht aus (lacht).

Also stimmt es, dass die Formel 1 mit dem Straßenverkehr nichts zu tun hat und viele deshalb entweder einen Mythos wittern oder von Fadesse sprechen, weil eben dieser direkte Vergleich fehlt?

Die Technologie und die Forschung sind straßenrelevant. Mit dem neuen Reglement gewinnt der Hybridbereich enorm an Bedeutung! Dies ist auch für die Straße und letztlich für die Serienproduktion von Interesse. Diese Saison fahren wir schneller als im Vorjahr mit einem knapp 50 Kilogramm schwereren Auto und härteren Reifen, verbrauchen aber ein Drittel weniger Benzin. Das ist doch bahnbrechend, und das wird sich – deshalb macht Mercedes u.a. auch in der Formel 1 mit – in der Serienproduktion wiederfinden.

Ihre Frau Susie ist Testpilotin bei Williams. Dreht sich also auch daheim alles um die Formel 1, oder ist das ein Tabuthema?

Zu Hause wird über die Formel 1 sehr viel gesprochen, aber im Gegensatz zu mir kann sie dieses Auto auch fahren. Das ist ihr Beruf, und das überlasse ich auch gern ihr. Im Rennauto fährt sie, im Straßenauto aber fahre ich...

Warum?

Ich bin ein sehr schlechter Beifahrer!

Im Rennen vertrauen Sie auch Ihren Piloten. Wie verstehen sich Rosberg und Hamilton, und besteht nicht die Gefahr der Hahnenkämpfe? In Bahrain hat es reibungslos funktioniert, aber eine Kollision kann schnell passieren – wie etwa einst bei Red Bull, bei Vettel und Webber.

Unsere Piloten sind Teil einer 800 bis 1000 Mann starken Belegschaft, das sage ich den beiden auch immer wieder vor jedem Rennen. Sie sind unsere „first line of attack“. Sie zählen für mich aber genauso viel wie alle anderen Mitarbeiter. Es gibt keine Allüren, sie sehen das übrigens genauso. Vor allem im Hinblick auf das Team. So hart sie sich in Bahrain gematcht haben, es war von Anfang an klar, dass es nicht sein kann, dass sie sich gegenseitig ins Kiesbett schießen.

Hatten Sie kein Nervenflattern? Strebt man als Sportchef nicht nach Kontrolle, Macht?

Wenn das Visier heruntergeklappt ist, wird ein Rennen gefahren. Es kann immer etwas passieren. Aber wir nehmen uns vor jedem Rennen die Zeit, mit den Fahrern Ziele und Strategien zu besprechen. Sie dürfen niemals das Team im Stich lassen um des eigenen Vorteils wegen. Es sind Topfahrer, die verstehen, worum es geht. Aber das ist jetzt alles nur akademisches Gerede: Es kann uns natürlich passieren, dass sie einander ins Auto fahren.

Eine gesunde Rivalität im Team kann Früchte tragen, außer es wachsen daraus Hass und Missgunst wie bei Prost und Senna oder bei Piquet und Mansell.

Ja, so sehe ich es auch. Wenn man das große Glück hat, dass man zwei Topfahrer in einem Team hat, darf man sich nicht auf Nummer 1 und Nummer 2 festlegen, sondern muss beide auf dem gleichen Status fahren lassen. Das hilft auch dem Team. So pushen und fordern sie sich gegenseitig, das steigert die Gesamtleistung.

In jedem Rennen geht es um Zeit – aber was ist danach? Kennen Sie noch Momente der Einhalt, der Ruhe?

Diese Augenblicke gibt es tatsächlich noch, aber sie werden immer seltener. Auf dem Rückflug von Bahrain nach Hause, da war es einen kurzen Augenblick lang wirklich ruhig. Aber dann war es schon wieder vorbei mit dem Nichtstun.

Steckbrief

1972
wird Torger Christian Wolff am 12.Jänner in Wien geboren.

1992
fährt „Toto“ erstmals in der Formel Ford.

1998
gründete er das Capital-Unternehmen Marchfifteen (Investment in Internet, Technologie).

2002
wurde Wolff Sechster in FIA-GT-Tourenwagen-Meisterschaft.

2006
wurde er Rallye-Vizestaatsmeister, Sieg bei den 24h von Dubai.

2009
erwarb er Williams-Anteile, 2011 führte er Williams GP als erstes F1-Team an die Börse.

2013
wird Wolff am 21.Jänner Motorsportchef bei Mercedes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2014)

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