Das McLaren-Mysterium

Jenson Button McLaren Honda formula 1 GP Ungarn in Budapest 25 07 2015 Photo mspb Jerry Andre J
Jenson Button McLaren Honda formula 1 GP Ungarn in Budapest 25 07 2015 Photo mspb Jerry Andre Jimago/Thomas Melzer
  • Drucken

McLaren war Synonym für Erfolg in der Formel 1, Triumphe von Hunt, Lauda oder Senna sind legendär. Aktuell leidet das Team unter Fehlern und Problemen, es ist nur WM-Vorletzter.

Tradition ist im Spitzensport ein gern benütztes Schlagwort, um Erlebtes oder längst vergangene Erfolge neu auszuloben. Entgegen großer Traditionen, wie sie Familien pflegen – etwa mit der Weitergabe der Geschäfte an die nächste Generation –, dient dieser Begriff in der Formel 1 vorwiegend dazu, um über aktuelle Misserfolge hinwegzutäuschen. Dann zeigt man Pokale, Fotos großer WM-Feiern, oder man putzt sein Motorhome für Besucher besonders heraus.

Der Traditionsrennstall McLaren ist in dieser WM-Saison besonders darum bemüht, in der Boxengasse zu glänzen. Denn sein sportlicher Auftritt ist nach neun von 19 Grand Prix verheerend. Fünf Punkte konnten beide Piloten, Jenson Button und Fernando Alonso, erst ergattern. Der Brite vier, der Spanier immerhin einen zuletzt in Silverstone. Dieser Zähler wurde als größter Erfolg, Sensation und endgültige Trendwende eines vollkommen verkorksten Auftrittes verkauft. Die Sommerpause kommt wie gerufen, sie ist bitter nötig, um alle Ressourcen neu zu bündeln und Fehlerquellen vor dem GP von Ungarn (heute, 14 Uhr, ORF eins, RTL, Sky) auszumerzen.


Die Kälte der Statistik. Denn in Wahrheit stimmt so vieles nicht im Reich des mächtigen Teambesitzers Ron Dennis. Zwölfmal wurde die Fahrer-WM gewonnen, achtmal die Wertung der Konstrukteure – Piloten wie Emerson Fittipaldi (1974), James Hunt (1976), Niki Lauda (1984), Alain Prost (1985, 1986, 1989), Ayrton Senna (1988, 1990, 1991), Mika Häkkinen (1998, 1999), Lewis Hamilton (2008) oder auch Gerhard Berger (drei Siege) wurden zu Legenden des Motorsports. McLaren ist nach der Scuderia Ferrari (15 Mal Fahrer-WM, 16 Mal Konstrukteure) das erfolgreichste Team der Formel-1-Historie. Weiterhin ist McLaren der einzige Konstrukteur von Renn- und Straßenfahrzeugen, der sowohl in Monaco, Indianapolis (500 Meilen) als auch beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewonnen hat.

Nun steht die Kultmarke – trotz der millionenschweren Rückkehr des Motorenlieferanten Honda sowie des Engagements eines der teuersten Piloten im ganzen Fahrerfeld – vor einem Scherbenhaufen. Weder die Japaner noch der spanische Doppelweltmeister (2005, 2006 mit Benetton) haben die Erwartungen erfüllt.

Gute Miene zum bösen Spiel, Optimismus nach Ausfällen, das Positive finden und hervorheben, Testergebnisse abwarten und im nächsten Rennen das Gaspedal durchdrücken – der Antworten oder Ausreden hörte man von Fernando Alonso sonder Zahl. Aber der Output des 34-Jährigen fällt überaus bescheiden aus: beim Auftakt in Melbourne nach einem Unfall nicht am Start, fünf Ausfälle (davon vier in Serie), ein zwölfter, ein elfter und ein zehnter Platz. Der Star mit kolportierten 35 Millionen Euro Jahresgage ist enttäuschender WM-Achtzehnter.

Zumindest konnte er nach dem Punkt in Silverstone wieder durchatmen. Für wohltuende, erholende Zuversicht sorgte es bei dem ehrgeizigen, nach Jahren des Misserfolges bei Ferrari getrieben wirkenden Spanier aber nicht. Zumindest schaffte er es, das motorsportbegeisterte England mit einem Satz zu entzweien, nicht jeder Engländer ist Fan dieses schwarzen Humors. „Die Formel 1 ist langweilig? Dann habe ich einen guten Tipp für euch: Schaltet den Fernseher nicht mehr ein bis zum nächsten Jahr.“

Die Gründe dieser pompösen Talfahrt liegen auf der Hand, der Rennwagen ist schlichtweg nicht konkurrenzfähig. Aerodynamik und Antrieb stimmen nicht überein, beide sind im Vergleich zu Mercedes, Ferrari und ja, sogar Red Bull Racing haushoch unterlegen. Ron Dennis wollte die anhaltende Krise nicht überbewertet sehen, in jedem nächsten Rennen habe man wieder eine Chance. Und, die neu eingegangene Partnerschaft mit Honda sei definitiv besser als die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Mercedes. „Unser Ziel war es immer, die WM zu gewinnen. Diese Marke zu erreichen, war aus unserer Sicht mit einem Kundenmotor bei Mercedes nicht möglich. Wir werden aber, da bin ich mir sicher, früher wieder auf dem von uns erhofften Level sein, als mancher glauben mag.“

Noch tiefer zu sinken, ist allerdings kaum möglich. In der zehn Teams zählenden Konstrukteurswertung ist McLaren Neunter, Letzter ist Marussia...


Der Faktor Zeit. In den 1980er-Jahren war Honda die treibende Kraft dieses PS-Zirkus, an den Japanern gab es kein Vorbeikommen. 2008 hatten sie die Formel 1 aber verlassen, 14 Punkte und Platz 9 in der WM entsprachen nicht dem Image, das man sich als Autogigant in Tokio mit 22 Millionen Motoren pro Jahr, 170.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 110 Milliarden Euro geschaffen hat. Dass sich dieses Schicksal wiederholt, wies Dennis energisch zurück. „Auch Mercedes brauchte mehrere Jahre, um sich an der Spitze zu etablieren. Auch unser Start mit den Deutschen war sicher nicht einfach, alles dauert eben seine Zeit. Wir erleben die gleiche Challenge eben jetzt noch einmal.“

Silverstone habe gezeigt, dass die Richtung stimme. McLaren sei im Qualifying eine Sekunde schneller gewesen als Williams, das mit Mercedes-Antrieben fährt, „aber mit Kundenmotoren nie den Abstand zur Spitze wird schließen können“, behauptet Dennis. Dass der Gegner in Wahrheit schneller und auch im Rennen besser war, kehrt er unter den Tisch. Er warte, bis Honda und sein Rennauto im Einklang, Lebensdauer und Kraft der Motoren (ERS als Hauptproblem) gewährleistet wären. „Vielleicht gelingt ja heute auf dem Hungaroring eine Sensation.“

Nicht nur die Formel 1 und ihr Sound haben sich verändert, auch Ron Dennis. Früher wäre ihm so ein Satz nie über die Lippen gekommen.

McLAREN

1965
gründet Bruce McLaren den Rennstall.

1966
folgt das erste F1-Rennen, bis dato stehen 761 Grand Prix, 182 Siege, 155 Pole-Positions, acht Konstrukteurstitel
und zwölf Siege in der Fahrer-WM in der Bilanz.

2012
gelang Jenson Button in São Paulo der bislang letzte McLaren-Sieg.

2014
endete nach 20 Jahren die Allianz mit Mercedes. Neuer, alter Partner wurde Honda, das 2008 die F1 verlassen hatte. EPA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ferrari Formula One driver Vettel of Germany overtakes Mercedes Formula One driver Hamilton of Britain at the start of the Hungarian F1 Grand Prix at the Hungaroring circuit, near Budapest
Motorsport

Formel 1: Chaos-GP mit großen Emotionen

Perfekte Vorstellung von Ferrari-Pilot Vettel in Budapest. Hamilton nur Sechster, Red Bull heuer erstmals am Podest. Vor und nach dem Grand Prix kam es zu bewegenden Momenten.
HUNGARY FORMULA ONE GRAND PRIX
Motorsport

Bewegende Trauerminute für verstorbenen Bianchi

Die Formel 1 hat vor dem Grand Prix von Ungarn mit einer bewegenden Trauerminute des vergangenen Woche verstorbenen Piloten Jules Bianchi gedacht.
Motorsport

Formel 1: Hamilton in Budapest überlegen auf Pole

Topfavorit Lewis Hamilton nimmt am Sonntag auch den Formel-1-Grand-Prix von Ungarn aus der Pole Position in Angriff.
FORMULA 1 - Hungarian GP
Motorsport

„Ich habe keine Angst“

Formel 1. Jules Bianchis Tod löste Erschütterung aus, in Budapest sorgte Sergio Pérez für eine Schrecksekunde.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.