Die zwei Welten der Silberpfeile: Reifendruck im Millionentheater

Hamilton fuhr auch in Monza allen Verfolgern auf und davon, musste aber auf das Urteil der Rennkommissare warten. Rosbergs Motor ging in Flammen auf.

Monza/Wien. „Jetzt reden wir bitte nicht länger um den heißen Brei herum. Wir haben Hamilton gesagt, dass er schneller fahren soll, um gewisse Szenarien abzudecken. Im Rosberg-Auto ist zwei Runden vor Schluss der Motor hochgegangen, verstanden?“ Mercedes-Sportchef Toto Wolff kochte, der Wiener war offensichtlich genervt ob der vielen Fragen, die auf ihn nach dem GP von Monza niederprasselten. Dabei war es anfangs noch so ein schöner, gewohnt unbeschwerter Arbeitstag gewesen...

Der Brite Lewis Hamilton hatte das Formel-1-Rennen in Italien souverän gewonnen, den Vorsprung seiner WM-Führung auf „Teamfeind“ Nico Rosberg auf 53 Punkte ausgebaut – dessen Rennwagen und WM-Traum waren zwei Runden vor Schluss in Flammen aufgegangen. Doch Freude wollte sich partout nicht einstellen, am Kommandostand der Silberpfeile wurde eifrig debattiert, wenig später ging Wolff in die Offensive.

0,3 psi sichern F1-Skandal

Mercedes drohte schon während des Rennens Ungemach, das habe man gewusst, poltert Wolff, obwohl er dafür keineswegs Verständnis zeigte. Laut FIA-Kontrolloren war der Reifendruck bei der Messung vor dem Start links hinten am Hamilton-Mercedes um 0,3 psi (pound-force per square inch, US-Maßeinheit für Druck) zu niedrig. Diese Tatsache klingt für eine Millionenshow wie ein schlechter Scherz. Beide Ferraris waren über dem vorgeschriebenen Mindestdruck von 19,5 psi, Rosberg war sogar 1,1 psi drunter. Was bringt der Psi-Faktor? Ein weicherer Reifen liefert gemeinhin bessere Leistung (Grip, Haltbarkeit), zulasten der Sicherheit.

Also wurde Hamilton, der sich auf dem Weg zum 40. GP-Sieg seiner Karriere befand, kurzerhand angewiesen, doch etwas mehr Gas zu geben. Der Brite wirkte verwundert, befolgte aber artig den „Wunsch“. Eine Durchfahrtsstrafe stand im Raum, ebenso ein 25-Sekunden-Penalty oder eine Disqualifikation, verriet Wolff später. Hamiltons Vorsprung zeigt letztlich, wie sehr die Formel1 mittlerweile nicht mehr nur ferngesteuert anmutet – der Brite überquerte 25,042 Sekunden vor Sebastian Vettel (Ferrari) die Ziellinie...

Keine Regel, eine Empfehlung

Wolff, flankiert von einem selten so aufgeregt wirkenden Niki Lauda, reagierte unwirsch auf Fragen. Teams wie Williams (Massa wurde Dritter, Bottas Vierter) forderten mittlerweile lauthals die Disqualifikation; dass der britische Rennstall ein Motorenkunde von Mercedes ist, spielt in solchen Fällen keine Rolle. „Wir haben den Reifendruck das ganze Rennen genau beobachtet und sind nie unter das Limit von Pirelli gegangen. Ich habe keine Ahnung, was da los ist“, grollte Wolff. Lauda sah ausschließlich den Reifenhersteller in der Pflicht.

Das kollektive Im-Dunkeln-Tappen hatte jedoch durchaus unterhaltsamen Charakter. Zudem: Es gibt keine eindeutige FIA-Regel für die Handhabe des Reifendrucks, sondern lediglich eine „Empfehlung“ der Italiener. Dennoch, Mercedes musste mit beiden Fahrern und dem Teammanager zum Rapport bei den Rennkommissaren.

Auf der Rennstrecke aber führt kein Weg an Hamilton vorbei – der 30-Jährige liegt sieben Rennen vor Schluss mit 252 Zählern in Front, Rosberg fehlen 53 Punkte, Vettel als WM-Drittem sogar schon 74. Die Formel-1-WM ist entschieden, auch weitere Zahlen untermauern die Überlegenheit. Zwölf GP ist die Saison alt, er stand elfmal auf Pole-Position und hat sieben Rennen gewonnen. Hamilton: „Es war ein tolles Rennen, ich kann mich nur bei meinem Team bedanken. Grazie Italien, bravo Mercedes.“

Rosberg sah das Szenario mit ganz anderen Augen. In seinem Auto wurde zwischen Abschlusstraining und Qualifying der Motor getauscht. Ein Leck im Kühlsystem machte diesen Schritt erforderlich; es wurde ein Motor eingebaut, der bereits sechs GP bestritten hatte. Rosberg: „Es fehlten halt zwei Runden. Egal. Ich fahre jetzt nach Hause zu meiner Tochter.“

ENDSTAND GP VON IMOLA

1. Lewis Hamilton (GBR) Mercedes 1:18:00,688
2. Sebastian Vettel (GER) Ferrari 25,042 Sek.
3. Felipe Massa (BRA) Williams 47,635 Sek.

Weiters, 4. Bottas (FIN) Williams 47,996 5. Räikkönen (FIN) Ferrari 1:08,860 6. Pérez (MEX) Force India 1:12,783 7. Hülkenberg (GER) Force India 1 Runde 8. Ricciardo (AUS) Red Bull 9. Ericsson (SWE) Sauber 10. Kwjat (RUS) Red Bull je 1 Runde.

WM-Stand: 1. Hamilton 252 2. Rosberg 199 3. Vettel 178 4. Massa 97 5. Räikkönen 92 6. Bottas 91.
Konstrukteurswertung:
1. Mercedes 451.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2015)

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